Food-Blogger – ein europäisches Phänomen


Seit einigen Jahren lässt sich in Europa beobachten, dass Essen und der Esskultur im Allgemeinen eine gesteigerte Wertschätzung zuteil wird. Tiefgekühltes und Fertiggerichte sind bei vielen passionierten Essern zum No-Go verkommen, Grünkohl hingegen und anderes aus der Mode gekommenes, regionales wie saisonales Gemüse erleben geradezu eine Renaissance. Zusätzlich zeigen sich diese Trends durch ein steigendes Interesse an Slow Food, Street Food Markets und Supper Clubs. Auch im Supermarkt begegnen uns nicht nur in Deutschland immer mehr regionale, saisonale, biologisch-angebaute Gemüsesorten sowie gesund-exotische Superfoods à la Goji-Beere, neben fertig-gemixten Detox-Smoothies und indischen Daal-Eintöpfen im Kühlregal.

Die Vorreiter dieses Trends bezeichnen sich selbst als Foodies und erfreuen sich einer immer größer werdenden Anhängerschaft. Häufig tauschen sie sich im Internet aus und betreiben Blogs rund ums Thema Essen. Sie schreiben unter anderem über Street Food, Wochenmärkte, kleine Manufakturen und teilen neue Rezept-Kreationen, die sehr professionell inszeniert werden. Aufgrund der immensen Anzahl an Food-Blogs und den reichhaltigen Inhalten eignet sich diese Gruppe sehr gut, um sie netnographisch zu untersuchen. Wir haben Foodies in unterschiedlichen Ländern analysiert und konnten somit nachweisen, dass Foodies ein europaweites Phänomen sind – in unterschiedlichen Ausprägungen. Der Artikel beruht auf Studienergebnissen aus fünf unterschiedlichen netnografischen Studien zu Schokoladen-Trends, Nachhaltigkeit und Essen, Superfoods, Smoothies und Fruchtsäften sowie Food-Blogs.

Für Markt- und Sozialforscher sind die Foodies eine interessante Quelle, um Foodtrends zu untersuchen, aber auch soziokulturelle Strömungen und die Einbettung von Essen in die nationalen Kulturen aufzuzeigen.

Die Food-Avantgarde

Foodies – wie auch viele andere Gruppen – achten auf die Herkunft von Lebensmitteln und den Grad der Verarbeitung. "Du bist, was du isst." ist wieder in Mode und wird zum Mantra erhoben. Dabei sind das eigene Kochrepertoire, der heimische Gewürzschrank, die Art wie das Essen zelebriert wird, Bestandteil und gleichzeitig Ausdruck dieses Lifestyles. Aussagen, Motive und visuelle Codes erlauben Rückschlüsse auf die Einstellung von Foodies. So kann zum Beispiel ein Faible für exotische Gerichte als Ausdruck für Weltoffenheit verstanden werden, selbst hergestellte grüne Smoothies als Inbegriff von gesundheitsbewusster Ernährung sowie nachhaltiger Resteverwertung, eingemachte Gurken oder Sauerteig-Brote als Symbole für Bodenständigkeit, aber auch Traditionsbewusstsein. Außerdem drückt das Wissen um spezielle Zutaten, wie etwa regional angebaute marokkanische Nana-Minze, Kennerschaft und Distinktion aus.

Trotz der gemeinsamen Passion fürs Essen, lassen sich viele landesspezifische Besonderheiten feststellen, welche sich in unterschiedlichen Ausprägungen von Motiven zeigen. Selbst im Zusammenhang mit Foodies stellt sich heraus, dass Essen immer stark identitätsstiftend und die Esskultur stark von Traditionen und Althergebrachtem geprägt ist. Die Auswahl der Gerichte und Zutaten spiegelt die Eigenheiten, die Lebensart und Einstellung eines Kulturkreises wider. Wieviel diese Unterschiede über einen Kulturkreis aussagen, hat uns bei den Analysen selbst erstaunt.

So konnten wir zum Beispiel feststellen, dass der schwedische Foodie in Sachen nachhaltig-angebauten oder produzierten Nahrungsmitteln weit vorn liegt und die Qualität der Nahrung fast schon dogmatisch geprüft wird, während sich Finnen nie weit von der traditionellen Beschaffung von Nahrungsmitteln, wie dem Sammeln von Pilzen im Wald, entfernt haben und das Thema somit einen weniger innovativen und exklusiven Charakter hat. Ungarische Foodies kochen vor allem traditionelle Gerichte mit viel Fleisch. Im Gegensatz dazu halten in französischen und deutschen Foodie-Speisekarten immer mehr vegane oder vegetarische Gerichte Einzug. Im Vordergrund steht hierbei mehr das Entdecken von neuen geschmacklichen Erfahrungen zur Steigerung der Kreativität beim Kochen und weniger der Tierschutz. Im Folgenden stellen wir einzelne Foodie-Besonderheiten der unterschiedlichen Länder dar. Die Ergebnisse sind aus unterschiedlichen Studien zusammengetragenen und verdeutlichen, wie viel Kultur in Essen beziehungsweise Essen in Kultur steckt.

Food im Google Trend (Quelle: Google Trends)
Google Suchtrends in Deutschland: Foodies sind oft die ersten, wenn es um Food-Trends geht. ("Datenquelle: Google Trends; www.google.com/trends)

Deutschland: Persönlichkeit und Regionalität sind die Prädikate für Qualität

Auch wenn für die deutschen Foodies Essen eine Passion ist, liegt das Hauptaugenmerk oft darauf, dass der Aufwand im Verhältnis zum Genuss stehen muss. Inspirationen holt sich der deutsche Foodie aus der ganzen Welt und dem reichhaltigen internationalen Angebot vor der Haustür, so dass auffällig viele exotische Gerichte und mit regionalen Spezialitäten gepaarte Fusion-Kreationen auf dem Speiseplan stehen. Bei der Qualität der Zutaten werden allerdings keine Kompromisse eingegangen. Deshalb werden lieber kleine Betriebe und Manufakturen unterstützt, die dem Anschein nach mit Herzblut und großer Sorgfalt produzieren. Zusätzlich unterstreicht der Lieblings-Bauernhof, die Lieblings-Kaffeerösterei oder -Metzgerei die Exklusivität und Kennerschaft der Foodies. Angebote, die den Aufwand der Zutatenbeschaffung erleichtern, werden nur dann genutzt, wenn die Qualität stimmt. Viele kleine Familienbetriebe haben sich deshalb auf diesen Markt ausgerichtet und bieten Gemüse-Lieferdienste oder fertig zusammengestellte Koch-Pakete an, die insbesondere innerhalb der Woche gerne genutzt werden.

Österreich: Gesund und Fastfood ist kein Gegensatz

Gesunde Fastfood-Varianten und asiatische Genüsse sind omnipräsent in der Foodie-Szene in Österreich. Auch hier gilt die Devise: Schnell, gesund und kulinarisch attraktiv. Gerichte wie Burger, Sushi oder asiatische Salate erlauben zudem viel kreativen Spielraum, was in besonderem Maße geschätzt wird. Neben der asiatischen wird besonders der heimischen Küche gefrönt. Viele Traditionen, wie das Einmachen von Gurken, oder altertümliche Formen des Brotbackens, wurden von den Foodies neu entdeckt. Auch sie legen den Fokus auf die Qualität der dafür verwendeten Zutaten. Regionalität und der Rückbezug auf traditionelle Handarbeit bei der Herstellung von Nahrungsmitteln ist dabei besonders wichtig, aber auch Produkte von Bio-Handelsmarken großer Handelsketten werden häufig im Alltag verwendet.

Finnland: Fusion made in Finland

Essen und Kochen ist eine Lebensaufgabe, die mit besonderer Hingabe und Freude zelebriert wird. Neben vielen traditionellen Gerichten gilt die Aufmerksamkeit auch immer mehr internationalen Esskulturen. Da die Verfügbarkeit von exotischeren Zutaten oft eingeschränkt oder sehr kostspielig ist, wird aus der Not eine Tugend. Kombinationen aus exotischen Gerichten mit heimisch angebauten Gemüsearten wie Wurzelgemüse erhalten eine große Aufmerksamkeit und sind in nahezu jedem Foodie-Blog zu finden. Bei den Zutaten gilt generell "Made in Finnland" als höchstes Prädikat für Qualität. Produkte aus dem Inland gelten für viele grundsätzlich als "regional" sowie besonders "transparent". Außerdem möchte man mit dem Kauf die nationale Wirtschaft unterstützen. Traditionelle Nahrungsbeschaffung wie das Sammeln und Pflücken von Kräutern, Pilzen und Beeren war in Finnland immer aktuell und wird im Gegensatz zu anderen Ländern weniger als neuer Trend sondern als vollkommen natürlich empfunden.

Frankreich: Kulinarische Abenteuer à la maison

Ähnlich wie in Deutschland dominieren hier einfache und schnelle Gerichte, die vorzugsweise für den Alltag gedacht sind. Allerdings ist ein Hang zur Extravaganz der französischen Küche, die man in vielerlei Hinsicht zelebriert, nicht zu übersehen. Doch neben traditionellen Gerichten, werden hier im Besonderen Kreativität und Individualismus hervorgehoben. Einflüsse kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen von Sternenköchen, der Familie und eigenen zum Beispiel im Urlaub gemachten Erfahrungen. Auch Nahrungstrends wie glutenfreie oder vegane Ernährung dienen häufig als Mittel um die eigene Kreativität zu fördern, da man auf Alternativen zurückgreifen muss und so neue Ess-Territorien kennenlernt. Obwohl Gesundheitstrends wie das Reduzieren von Zucker und Fetten auch hier eine Rolle spielen, sind der Genuss und die Qualität zentral und erlauben selten Kompromisse.

Spanien: Unverarbeitete heimische Zutaten überzeugen

Spanische Foodies sind ebenfalls auf einfache Gerichte mit dem gewissen Etwas aus. Auch hier dient die renommierte spanische Küche als Hauptinspirationsquelle, die durch kreative Einflüsse oft neu erfunden wird. Als Zutaten wird häufig auf heimische und saisonale Nahrungsmittel zurückgegriffen. Auf verarbeitete Lebensmittel wird weitestgehend verzichtet, was besonders mit dem geringen Vertrauen in die eigene Nahrungsmittelindustrie zu begründen ist. Im Gegensatz dazu lassen sich auch bei den spanischen Foodies Anzeichen eines Trends hin zum Kauf von Nahrungsmitteln direkt vom Erzeuger erkennen. Besonders auffällig ist jedoch, dass die Qualität zwar besonders wichtig ist, jedoch nicht jeder Preis akzeptiert wird. Daher werden innovative Wege gesucht, um ein gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis zu erhalten. Tipps zur Resteverwertung und alternative Zutaten lassen sich häufig in den Rezeptbeschreibungen finden. Die aktuell schwierige Wirtschaftslage kann damit durchaus im Zusammenhang stehen.

Ungarn: Von Traditionen geprägt

Die ungarische Foodie-Szene ist etwas kleiner als in den anderen untersuchten Ländern, aber dennoch erfreuen sich die Blogs einem starken Zuspruch und weisen eine hohe Reichweite auf. Traditionelle ungarische und oftmals zeitaufwendige Rezepte sowie heimische Esskulturen stehen hier stark im Fokus. Die Rezepte sind jedoch nicht minder kreativ und werden häufig durch interessante Kompositionen der Zutaten veredelt. Der starke Bezug auf die heimische Küche bedingt, dass besonders viel Wert auf frische, regionale Produkte gelegt wird. Der Markt ist daher die Haupt-Bezugsquelle für Lebensmittel, was dazu führt, dass besonders viele saisonale Zutaten verwendet werden. Das im Sommer herrschende Überangebot an Früchten und Gemüse im heimischen Garten, verleitet viele Foodies auch dazu, diese auf kreative Weise zu konservieren. Marmelade, eingemachte Aufstriche, Saucen und getrocknete Früchte sind gängige Methoden, um die Haltbarkeit von Nahrungsmitteln zu verlängern.

Litauen: Familientraditionen teilen

Auch in Litauen lässt sich ein besonderer Bezug zur traditionellen Küche feststellen. Zubereitungsformen und Gerichte, die man von den Eltern und Großeltern erlernt hat, werden dabei nachgekocht, neu erfunden und mit anderen Foodies geteilt. Internationalen Gerichten wird ebenfalls ein gesteigertes Interesse entgegengebracht. Sie dienen häufig als Inspirationsquelle. Die Zutaten werden zum Großteil auf dem Markt gekauft, aber immer mehr Foodies kultivieren Gemüse, Kräuter und Früchte selbst. Das Einmachen, Einlegen und Konservieren von Pilzen, Gurken, Roter Beete und Tomaten hat eine lange Tradition und gilt bei vielen Foodies als typisch litauisch. Auf selbst-konservierte Lebensmittel wird besonders im Winter zurückgegriffen, wenn die Verfügbarkeit von Zutaten abnimmt.

Schweden: High-End-Foodies

Als Foodie-Elite kann man die schwedischen Foodies bezeichnen, denn hier spielen neben der Bewahrung von Esskulturen auch ökologische und gesundheitliche Aspekte eine große Rolle. Das begründet die sehr hohen Ansprüche an die Gerichte und dafür verwendeten Zutaten. Die Foodies sehen sich als Gegenentwurf zur weitverbreiteten ungesunden Ernährungsweise und legen Wert darauf, weniger Fleisch zu essen, auf regionale, saisonale und ökologisch angebaute Zutaten zurückzugreifen, nichts zu verschwenden und weniger verarbeitete Lebensmittel zu nutzen. Viele Foodies wissen, dass dieser Lebensstil sehr teuer ist und geben daher Tipps, wie man Geld spart oder sehr teure Lebensmittel durch Günstigere ersetzt. Auch das Sammeln, Anbauen und Konservieren von Beeren, Früchten, Kräutern und Pilzen ist ähnlich wie in Finnland eine gelebte Tradition. Die Hingabe zur Natur ist fast schon als dogmatisch zu bezeichnen und zeigt sich auch in den vielen frischen Salat- und Suppen-Kreationen, die entweder roh oder mit niedriger Temperatur gegart werden. Inspirationen dafür finden sie in traditionellen Rezepten, in Kochbüchern oder auf Reisen. Der Fokus auf saisonale Zutaten und die geringe Verfügbarkeit von frischen Lebensmitteln im Winter trägt ebenfalls zur Kreativität bei.

Fazit: Kulturgut Essen

Unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass Foodies ein internationales Phänomen sind. Neben übergeordneten Foodtrends wie Frische, Regionalität und Nachhaltigkeit, die den europäischen Foodies gemein sind, prägen vor allem soziokulturelle Entwicklungen, Werte und Lebensstile die Esskultur eines Landes.

Durch die Erforschung der Foodies wird einmal mehr deutlich, dass Essen nicht nur ein Grundbedürfnis ist, sondern eben auch ein Spiegel der Gesellschaft und des Zeitgeistes. Neben klassischen Forschungsmethoden bieten netnographische Analysen Einblicke in die Lebenswelten und ästhetische Codes von thematischen Zielgruppen im Web, die hoch involviert und engagiert sind. Gerade für die Trend- und qualitative Webforschung ein unschätzbarer Datenkorpus.

Der Autor

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Yannick Rieder ist Research Manager bei Q Agentur für Forschung.

 

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