Professoren Christa Wehner, Dirk Frank und Ulrich Föhl, Hochschule Pforzheim „Fehlt den Marktforschenden Beratungskompetenz? Der Verdacht besteht seit Jahrzehnten, bewiesen wurde er nie“

Viele Insights Manager haben ihre Ausbildung an der Hochschule Pforzheim absolviert, der Studiengang "Marktforschung und Konsumentenpsychologie" prägt bis heute die Marktforschungslandschaft. Die drei Pforzheimer Professoren Ulrich Föhl, Dirk Frank und Christa Wehner haben gemeinsam ihre Gedanken zu den „Insights-Managern von morgen“ verfasst.

Hochschulen und Universitäten werden die Insights Manager von morgen ausbilden, dabei sollten jedoch auch Themen wie Analytics und KI in den Lehrplan integriert werden. (Bild: Hochschule Pforzheim)

Uns interessiert Ihre Vision: Wie wird sich die Position des betrieblichen Marktforschers bis zum Jahr 2025 verändert haben? Was denken Sie?

Föhl, Frank, Wehner: Vermutlich wird zu diesem Zeitpunkt niemand mehr „Betriebliche/r Marktforschende“ heißen, auch wenn die Customer Insights- oder Consumer & Marketing-Intelligence-Manager der „Insights Industry“ nach wie vor die Kooperation mit externen Instituten und die Beratung bei strategischen Entscheidungen im eigenen Unternehmen verantworten. Die fortschreitende Digitalisierung und Automatisierung wird die Bedeutung etwa von do-it-yourself-Marktforschung oder Social-Media-Analysen erhöhen. Data Analytics und Data Mining helfen dabei, die zunehmende Datenflut auf die wesentlichen Erkenntnisse zu konzentrieren.

Werden zukünftig Data Scientists die betrieblichen Marktforschenden ablösen?

Föhl, Frank, Wehner: In aller Regel erweitern neue Methoden das bisherige Portfolio und führen zu Verschiebungen in Art und Häufigkeit des Einsatzes einzelner Methoden, ohne diese jedoch gänzlich abzulösen. Mit Sicherheit wird es in den kommenden Jahren weiter steigenden Bedarf an Data Scientists geben, die im Zuge der Digitalisierung anfallende große Datenmengen verknüpfen und analysieren, KI-basierte Lösungen entwickeln und zur Automatisierung von Prozessen in der Insights-Branche beitragen. Daneben wird es allerdings weiterhin Fragestellungen geben, die sich besser durch Fragebögen, Interviews oder auch experimentelle Ansätze mit kleineren Stichproben beantworten lassen.

Wenn es um ein tiefgreifendes Verständnis des menschlichen Erlebens und Verhaltens geht, das „Warum“ hinter individuellen Präferenzen, Käufen, Klicks und Likes, werden etwa klassische qualitative Methoden auch künftig wertvolle Antworten liefern, weil es ihnen gelingt, noch näher „ranzuzoomen“ als es anderen Formen der Datenerhebung und -analyse bislang möglich ist.

Somit ist davon auszugehen, dass auch betriebliche Insights Experten und Expertinnen sich nicht ausschließlich auf Data Science konzentrieren, sondern auch weiterhin mit anderen Methoden in Kontakt kommen und solche Studien zumindest mit koordinieren werden.

Wie wird sich die Position eines Consultants im Full-Service-Institut bis zum Jahr 2030 verändert haben? Was denken Sie?

Föhl, Frank, Wehner: ESOMAR schätzt den Wert der globalen Insights Industrie auf rund 120 Milliarden US Dollar. Hiervon werden künftig nur noch 40 Prozent auf "klassische" Marktforschung entfallen, während digitale Data Science Services den Löwenanteil beanspruchen werden. "Full-Service" bedeutet also in Zukunft das Vorhandensein von Wissen und Kompetenzen in beiden Welten, um Kunden und Kundinnen holistisch beraten zu können und Daten - unabhängig von ihrer Provenienz -  im Sinne eines integrativen Data Storytelling so zu analysieren, aufzubereiten und kommunizieren, dass optimaler Nutzen für den Kunden oder die Kundin entsteht.

Was fehlt den heutigen Marktforschenden, um Insights-Manager von morgen zu sein? Gibt es auch Kompetenzen/Fähigkeiten, die den Marktforschenden bereits heute fehlen?

Föhl, Frank, Wehner: Die Universalgelehrten sind insgesamt ausgestorben, das ist in der Marktforschung nicht anders.

Auch heute schon ist die Branche so diversifiziert, so dass man bei etwas bösem Willen immer „blind spots“ finden kann.

Gute Marktforschende werden künftig ein fundiertes Wissen klassischer und moderner Marktforschungsmethodik sowie Data-Science-Kompetenzen brauchen, die eigentliche Funktion ist aber die „Übersetzungsleistung“ von der Datenwelt in die Welt der „actionable insights“ für die Auftraggebenden.

Fehlt den Marktforschenden in der Summe Beratungskompetenz? Und wenn Ja, wie entwickelt man diese?

Föhl, Frank, Wehner: Der Verdacht besteht seit Jahrzehnten, wirklich bewiesen wurde er nie. Sicher fehlt dem Marktforschungsnachwuchs zu Beginn die Beratungskompetenz, das gilt aber nun auch für den Beraternachwuchs selbst.

Marktforschende benötigen Marketingkompetenzen, diese können bereits im Studium vermittelt werden, bei Praktika und Hospitationen in Unternehmen und natürlich durch die Arbeit auf Unternehmensseite. Wie Marktforschende generell ihren Impact steigern können, lässt sich ebenfalls schön bei ESOMAR nachlesen, die Publikation „How to demonstrate the value of investing in customer insights“ elaboriert im Detail, was Marktforschende an fachlichen und emotionalen Kompetenzen brauchen, damit ihre Stimme im Unternehmen gehört wird.

Wer wird die Insights Manager von morgen ausbilden? Wie sollten Universitäten und Hochschule Menschen auf einen Job in der Marktforschung vorbereiten? Was sollte sich von heute unterscheiden?

Föhl, Frank, Wehner: Auch künftig wird die Ausbildung von Insights Managern überwiegend an Universitäten und Hochschulen stattfinden, die den Veränderungen der Branche Rechnung tragen müssen. Schön wäre es natürlich, wenn „neue“ Themen wie Analytics und KI einfach zusätzlich in die Ausbildung integriert werden könnten. Da Ausbildungsdauer und -umfang konstant bleiben, stellt sich aber auch die Frage, welche Inhalte künftig gekürzt werden oder entfallen können.

Künftige Professionals sollten auf alle Fälle das „Big Picture“ aktueller methodischer Ansätze und Herausforderungen der Insights Industrie kennen. Welche Methoden und Analyseformen existieren und wofür sie jeweils valide eingesetzt werden können, sollte Teil jeder Ausbildung sein.

Zusätzlich sollten Studierende zumindest ausgewählte Methoden in der Tiefe kennenlernen, um in diesen Feldern beim Berufseinstieg unmittelbar handlungsfähig zu sein. Hier muss künftig noch stärker auf Wahlmöglichkeiten gesetzt werden. So entwickeln Studierende meist früh Präferenzen für bestimmte Felder der Marktforschung wie etwa die quantitative Datenanalyse. Wenn hierfür vertiefende Kurse rund um Statistik und Data Analytics als ergänzende Wahlfächer angeboten werden, schafft dies eine Basis für eine individuelle Weiterentwicklung im quantitativen Bereich. Idealerweise wurde dann aber auch gelernt, in welchen Fällen Tiefeninterviews die Methode der Wahl sind, selbst wenn keine weitergehende Spezialisierung in diesem Bereich gewählt wurde. Dieser breite Horizont bei bestehender individueller Spezialisierung reduziert einen möglichen Bias zugunsten des eigenen Methodenwerkzeugkastens bei Projekten und vor allem in der Beratung deutlich.

Sollen Marktforschende eher generalistische Studiengänge wie Psychologie oder BWL mitbringen oder eher spezialisierte Studienprogramme wählen?

Föhl, Frank, Wehner: Eine ideale Vorbereitung bietet eine Kombination aus generalistischer Ausbildung und Spezialisierung. Unabhängig davon, ob Marktforschende auf Institutsseite oder in der betrieblichen Marktforschung tätig sind: Ein breites Fundament an betriebswirtschaftlichen Kenntnissen ist eine wichtige Basis für die Zusammenarbeit mit verschiedenen Stakeholdergruppen und daher grundsätzlich wünschenswert.

Eine zusätzliche Spezialisierung liefert hingegen die Methoden, Tools und das fundierte Fachwissen, das die Einarbeitungsphase deutlich verkürzt und es an vielen Stellen ermöglicht, direkt loszulegen.

Diese Balance zwischen generalistisch und spezialisiert lässt sich auf unterschiedliche Arten realisieren. So können beide Elemente bereits Teil eines ersten (Bachelor-)Studiums sein, sie können aber auch durch die Kombination aus generalistischem Bachelor und spezialisiertem Master (oder umgekehrt) erworben werden.

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Powerpoint   Ja  
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Wissen, wie KI funktioniert Ja    
Moderation von Gruppendiskussionen     Ja
Führen von Tiefeninterviews     Ja
Programmieren von Online-Frageböge mittels entsprechender Software     Ja
Umgang mit Dashboards Ja    
Beratungsskills Ja    
Umgang mit KI-Tools (z.B. Textanalyse, Social Listening) Ja    
Apparative Verfahren (z.B. Eyetracking, FacialCoding) bleibt     Ja
 

Über die Personen

Dr. Christa Wehner ist Professorin an der Hochschule Pforzheim und leitet den Studiengang Marktforschung und Konsumentenpsychologie. Nach einer Journalistenausbildung studierte sie Publizistik- und Kommunikationswissenschaften, Soziologie und Literaturwissenschaften an der Universität Münster. Berufserfahrung in der empirischen Marketingforschung sammelte sie bei ZUMA/Gesis, der GfK und RSG Marketing Research. Ihrer Assistententätigkeit an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover... mehr

Ulrich Föhl ist seit 2013 Professor für psychologische Marktforschung an der Hochschule Pforzheim. Davor war er 10 Jahre in der Automobilbranche bei Mercedes-Benz im Bereich der Usability- und Konsumentenforschung tätig. An der Hochschule Pforzheim leitete er den Studiengang Betriebswirtschaft/Media Management und Werbepsychologie und baute den Masterstudiengang Marketing Intelligence auf.

Dirk Frank ist geschäftsführender Gesellschafter bei ISM GLOBAL DYNAMICS, einem Full-Service Forschungsinstitut mit Sitz in Bad Homburg.

Als Honorarprofessor lehrt er an der Hochschule Pforzheim im Studiengang Marktforschung und Konsumentenpsychologie mit den Schwerpunkten
Marktforschungsmethoden, internationale Marktforschung und Marketing Intelligence. Seine berufliche Laufbahn startete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter
an der Goethe-Universität Frankfurt am dortigen Institut für... mehr

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