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Panasonics Angriff auf ein Heiligtum der Marktforschung Falsch positive Selektion - Was Umfragen verhindernde Telefone mit Betrügereien aus Nigeria zu tun haben

"Keine Umfragen"
Ein Telefon mit Filter gegen akustischen Spam, das auch CATI blockieren wird? Welche Unverschämtheit mir als Marktforscher das anzubieten! Damit hat sich ein Tech-Konzern mit nur zwei Worten in einer Mail für mich als Marktforscher disqualifiziert.
Keine Telefonumfragen mehr? Seit meiner Zeit bei FORSA Ende der 80er kenne ich die Segnungen von CATI für unsere Zunft und weiß, mit welchem Aufwand aus vorhandenen Telefonnummern randomisierte Ziffern wurden. Habe erlebt, wie dabei die Kurzfristbewohner von Aufzügen, aber auch Promis oder Personen mit Geheimnummern von einer Umfrage überrascht wurden. Und entweder amüsiert Auskunft gaben oder entsetzt eine neue Telefonnummer beantragten. Also die Promis. Aufzüge weniger.
Ok, es gibt noch ein zweites Versprechen:
"Keine Werbeanrufe mehr. Klingt das nicht herrlich?"
Oft ärgere ich mich über werbliche Anrufe, die sich zudem noch als Mafo tarnen. Oder mir Gutes tun wollen, indem mir Autos, Reisen oder Geldgewinne angeboten werden.
Ein Tipp: Die Anrufenden nehmen schnell Abstand von weiterer Überzeugungsarbeit, wenn man sich aktiv nach persönlich und für den Clan interessanteren Gewinnmöglichkeiten aus dem Themenkreis "Drogen, Waffen oder Prostitution" erkundigt. Meistens sogar ohne Beschimpfung wird einfach aufgelegt.

Falsch positive Selektion
Ich klicke und staune. Gerade noch als potentieller Nutzer des Telefons davor geschützt, darf ich bei einer Befragung mitmachen. Und danach das Gewinnspiel wagen.
Gleich zwei der vom Telefon blockierten Gattungen werden auf der Website angeboten? Ein "Gewinnspiel" und eine "Kurzumfrage"? Sapperlot.

Der ganze Aufwand für zehn Adressen?

Wenn Sie Mafo-Studien durchführen lassen, könnte Ihnen - wie mir - aufgefallen sein, dass gerade gegen fundamentale Regeln bei der Rekrutierung verstoßen wurde. Das könnte zusätzlich kostspielig werden. Aber wir können endlich noch mal über "false positive selection" sprechen.
Vorab, wie rekrutieren wir üblicherweise?
- Wir versuchen, durch selektierendes Fragen die Zufallsauswahl z.B. von CATI spezifischer zu machen.
- Ziel: Keine Selbstselektion nur durch Erreichbarkeit zulassen. Sondern die Zielgruppe vor der eigentlichen Befragung aktiv selektieren. Durch Fragen, zum Beispiel nach Führerscheinbesitz, bevorzugter Waschmittelmarke oder Smartphone Nutzung, wählen wir aus einer Zufallsstichprobe die gewünschten Repräsentant*innen für die angestrebte Zielgruppenbefragung aus.
- Ziel: Die Ressourcen (Interviewer-Kapazität, Kosten) werden nur für Personen aus der Zielgruppe genutzt (positive Selektion).
- "Falsch positiv" selektierte Befragte (Menschen wollen teilnehmen, gehören aber nicht zur Zielgruppe) werden ressourcenschonend ausgeschlossen.
Was macht der Tech-Konzern?
- Lockt mit der E-Mail Menschen auf seine Webseite, die sich von Umfragen, Gewinnspiel- und Werbeanrufen belästigt fühlen.
- Um sie dort zu einer "Umfrage" und einem "Gewinnspiel" zu "bewegen".
- Und ihre Adresse und das Geburtsdatum abzugeben
- Die laut Teilnahmebedingungen nach Ermittlung der Gewinner wieder gelöscht werden.
Falsch positive Selektion
Übersetzt könnte die Aktion so laufen: "Haben Sie auch die Nase voll von diesen ganzen telefonischen Umfragen und Gewinnspielen? Da haben wir was für Sie. Kommen Sie auf unsere Webseite, nehmen Sie an einer Umfrage und einem Gewinnspiel teil." Ob man mal als Fallstudie die Auswertung des Kampagnenerfolgs einsehen könnte?
Halt - da wurde noch was im Titel versprochen: Was das mit betrügerischen E-Mails aus Nigeria zu tun hat? Die uns ja nur einen Schmunzler kosten und - Klick - gelöscht in den Spam wandern.
Diese offensichtlich betrügerischen und schlecht formulierten Mails, schon auf zehn Kilometer Entfernung als "Scam" erkennbar, sind allerdings hoch effiziente Kommunikationsmittel, wie der Forscher Cormac Herley von Microsoft Research 2012 bereits feststellte. In seinem fachlich interessanten Artikel "Why do Nigerian Scammers Say They are from Nigeria?" weißt er nach, wie ausgefeilt die Methode "Gesteuerte Selbst Selektion" ist. Denn für die Unternehmen, die diese Mails versenden, haben sie einen überlebenswichtigen Nutzen: Sie schrecken "false positive" Interessenten ab. Sie selektieren sehr präzise leichtgläubige, finanziell klamme Menschen, denen auch noch ein wenig nach Abenteuer ist.
Gedankenspiel: Wie würden sie auf wasserdicht formulierten E-Mails aus Basel oder Bern reagieren? Vielleicht würde eine ganze Gruppe von erfahreneren und schlaueren Menschen im ersten Schritt reinfallen. Um dann eine Menge Fragen zu haben und die Betrüger ganz schön auf Trapp zu halten. Das Geschäft wäre bei diesem Einsatz von Ressourcen nicht profitabel.
Die Selektion von "false positive" hilft, die Ressourcen nur für die Leichtgläubigen einsetzen zu können. Das erhöht den Return on Invest durch eine höhere Conversion Rate. Anstatt hunderttausende von Mails müssen wenige hundert von hochwahrscheinlichen Opfern weiter bearbeitet werden. Sinnvolle Selektion. Sie sehen: Die Mails sind nicht "doof", sondern mit viel Überlegung formuliert.
Und eigentlich könnten wir Marktforscher von den Betrügern noch etwas lernen. Oder diejenigen, die E-Mail-Kampagnen durchführen.
Nachtrag:
Gerade war ich noch mal auf der Website. Diesmal gibt es da auch eine echte Online-Umfrage von den Kollegen Fittkau & Maaß. Am Ende war ich dann doch wieder fast versöhnt. Und vielleicht gewinne ich ja auch was...
Über den Autor

kl
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