Kolumne Unstatistik des Monats Fake-News: Interpretation der „Studie zum Einfluss von E-Bikes auf Fitness und Unfallrisiko“

Reduziert E-Bike-Fahren das Herzinfarktrisiko wirklich um fast die Hälfte? Die Unstatistik des Monats beschäftigt sich mit einer Studie der Hochschule Hannover zum Vergleich von E-Bike-Fahren mit normalem Radeln (Bild: picture alliance / dpa-tmn | Zacharie Scheurer).
Regelmäßiges E-Bike-Fahren soll das Herzinfarkt-Risiko senken
Die Unstatistik des Monats April berichtet über eine Studie der Medizinischen Hochschule Hannover zu den Auswirkungen des regelmäßigen Radelns mit einem E-Bike („Impact of electrically assisted bicycles on physical activity and traffic accident risk: a prospective observational study“). Das Risiko eines Herzinfarktes reduziere sich dadurch um 40 Prozent, berichtete beispielsweise die „Frankfurter Rundschau“ („Sportmediziner überrascht: E-Bike fahren reduziert Herzinfarktrisiko fast um die Hälfte“) am 3. April, „Regelmäßiges E-Bike-Fahren senkt das Herzinfarkt-Risiko“ schrieb auch die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“.
Eigentlich geht es um den Vergleich von E-Bike-Fahren mit normalem Radeln
Hierzu sind zwei Dinge klarzustellen: Erstens ist in der zitierten Studie von einer Senkung des Herzinfarktrisikos keine Rede. Es ging den Autoren einzig um einen Vergleich der körperlichen Belastung beim E-Bike-Fahren mit normalem Radeln, sowie um das Risiko von Verkehrsunfällen. Die Studie kommt zu dem wenig verblüffenden Ergebnis, dass Nutzer von E-Bikes etwas seltener die von der Weltgesundheitsorgansatin angemahnten 150 Minuten von „moderate to vigorous physical activity“ pro Woche erreichen, selbst wenn man berücksichtigt, dass die Nutzerinnen und Nutzer von E-Bikes älter sind und im Durchschnitt in einem schlechteren Gesundheitszustand als Nicht-E-Bike-Nutzer. Aber im Großen und Ganzen seien die Gesundheitskonsequenzen durchaus ähnlich.
Die 40-Prozent-Reduktion des Herzinfarktrisikos für E-Bike-Fahrer resultiert offenbar aus einer Nebenbemerkung eines der Studienautoren in einem Spiegel-Interview zu Radfahren und Herzinfarkt ganz allgemein.
Angaben zur Risikoreduktion sind nur mit Angabe von Alter oder Zeitraum sinnvoll
Diese viel kolportierten 40 Prozent gelten also nicht nur für E-Bike-Fahrer oder heben diese, wie von den Medien insinuiert, sogar positiv von normalen Radlern ab. Darüber hinaus sind sie noch aus einem zweiten Grund sehr missverständlich: Dergleichen Risikoreduktionen ergeben ohne Angabe eines Alters oder eines Zeitraums keinen Sinn.
An irgendetwas stirbt jeder Mensch, und sollte das Radfahren tatsächlich das lebenslange Risiko eines Herzinfarktes um 40 Prozent reduzieren, stiege damit die Wahrscheinlichkeit für einen Tod etwa durch Krebs dramatisch an.
Das hört vermutlich kein Radfahrer gern. Gemeint war wohl: in jeder Altersgruppe sinkt das Herzinfarktrisiko um 40 Prozent. Irgendwann sterben dann vielleicht genauso viele Menschen wie immer am Herzkreislaufkrankheiten aller Art (aktuell rund ein Drittel aller Todesfälle), aber eben nicht so früh.
Quelle: Unstatistik.de
Über die Personen
Walter Krämer war bis 2017 ordentlicher Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik an der TU Dortmund, bis Mitte 2021 Sprecher eines DFG-Sonderforschungsbereiches zur angewandten Statistik. Zahlreiche Rufe an auswärtige Universitäten hat er abgelehnt. Träger verschiedener Auszeichnungen und Preise („Lesbare Wissenschaft“, DAGStat-Medaille für herausragende Verdienste um die deutsche Statistik), ordentliches Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften (von 2016 bis 2021... mehr
Prof. Dr. Thomas K. Bauer hat 2003 den Lehrstuhl für Empirische Wirtschaftsforschung an der Ruhr-Universität Bochum übernommen. Seit 6. Februar 2004 ist er Vorstandsmitglied des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, seit 2009 dessen Vizepräsident. Er betreut bereichsübergreifend Forschungsprojekte und begleitet die Kooperation zwischen RWI und Ruhr-Universität Bochum. Von 2011 bis 2019 war er Mitglied im Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration, von... mehr
Prof. Gerd Gigerenzer, langjähriger Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, leitet das Harding-Zentrums für Risikokompetenz an der Universität Potsdam. Er war Professor an der University of Chicago und John M. Olin Distinguished Visiting Professor an der School of Law der Universität von Virginia. Er ist Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften (Leopoldina), der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, der American Academy of Arts and Sciences und der... mehr
Katharina Schüller leitet seit fast 20 Jahren das Beratungsunternehmen STAT-UP mit Fokus auf Datenstrategien, Data Science und KI und ist Vorstandsmitglied der Deutschen Statistischen Gesellschaft. Als Expertin für Datenkompetenz verfasste sie u. a. für das BBSR Studien und Beiträge, etwa zur Smart City Charta des Bundes. Sie berät das BMBF zur „Initiative Digitale Bildung“ sowie zur „Roadmap Datenkultur und Datenkompetenz“ im Rahmen der Datenstrategie und ist festes Mitglied des Digital-Gipfels... mehr
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