Marktforschung für neue Arzneimittel "Evidence-based value" statt "unmet medical need"

Von Carolin Knorr, Market Access Managerin (EBS) und Geschäftsführerin von KNORR Health Strategy
Es genügt nicht, an den Fluss zu kommen,
nur mit dem Wunsch, Fische zu fangen.
Man muss auch das Netz mitbringen.
(Chinesisches Sprichwort)
Die Arzneimittelbewertung segmentiert die Pharmamarktforschung
In der Pharma-Marktforschung findet eine zunehmende Segmentierung statt. Bisher wurde nach verschreibungspflichtigen und nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln oder nach Originalpräparaten und Generika unterschieden. Mit dem Inkrafttreten des AMNOG hat sich eine dritte Spaltungslinie etabliert: Jetzt muss differenziert werden, ob ein Arzneimittel von einem Nutzenbewertungsverfahren betroffen ist oder nicht. Ist es das, ist es die Aufgabe der Pharmamarktforschung den Unternehmen dabei zu helfen, den Wert des Arzneimittels bestmöglich darzustellen. In Deutschland geht es dabei um die Evidenz des klinischen Nutzens. Der „medical need“ spielt kaum noch eine Rolle.
Value based Pricing: Wenn der Erstattungspreis vom Nutzen abhängt
Für alle erstattungsfähigen Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen, die erstmalig in Verkehr gebracht werden, findet seit dem 1. Januar 2011 eine frühe Nutzenbewertung nach § 35a SGB V statt. Ziel dieses Verfahrens ist, den Preis eines neuen Arzneimittels von seinem Nutzen abhängig zu machen. Mit der frühen Nutzenbewertung wird nun für neue Arzneimittel innerhalb der ersten drei Monate nach dem Markteintritt der Zusatznutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie ermittelt. Die Bewertung erfolgt nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin. Der Erstattungspreis wird an das Ausmaß des Zusatznutzens geknüpft. Damit ist in Deutschland das System des value-based pricing für neue Arzneimittel etabliert. Die Möglichkeit, den Preis für neue Arzneimittel frei festzusetzen, besteht nur noch für die ersten 12 Monate nach Markteintritt. Danach gilt bei vorhandenem Zusatznutzen der mit dem GKV-Spitzenverband verhandelte Preis oder bei nicht vorhandenem Zusatznutzen - sofern möglich - ein Festbetrag.
Relevant ist jetzt die Frage: Was muss ein Arzneimittel leisten, damit der G-BA einen Zusatznutzen erkennt?
Die Regelung des §35a SGB V hat gravierende Folgen: Die entscheidende Frage ist für neue Arzneimittel jetzt nicht mehr: Was muss ein Arzneimittelmittel leisten, damit der Arzt es verordnet? Relevant ist jetzt die Frage: Was muss ein Arzneimittel leisten, damit der G-BA einen Zusatznutzen erkennt? Die Pharmamarktforschung muss also an einem viel frühen Zeitpunkt im Produktlebenszyklus ansetzen als dies bisher der Fall war. Sie muss sich gemeinsam mit den Herstellern auf den Launch- notwendig sogar auf den Prälaunchprozess konzentrieren. In das Blickfeld rückt die Optimierung klinischer Studien insbesondere der Phase III. Nach positivem Abschluss der Phase III erlangt das Arzneimittel nach Antragstellung die Zulassung. Daten aus Phase III-Studien bilden daher regelmäßig die Grundlage für die einzureichenden Nutzendossiers: Welche Daten müssen vorgelegt werden? Welche Endpunkte sind relevant? Gegen welche Komparatoren sollte getestet werden? Das sind entscheidenden Fragen einer am evidence-based value orientieren Pharmamarktforschung. Und diese Fragen kann nicht der normale niedergelassene Arzt beantworten. Hier braucht die Pharmamarktforschung Experten, die mit der Bewertung von Arzneimitteln befasst sind: Entscheidungsträger aus dem Netzwerk des Gemeinsamen Bundesausschusses aber auch Kliniker und Pharmakologen.
Payer Research: Wenn es um Market Access geht
Bis zum Inkrafttreten des AMNOG lag der Schwerpunkt des Payer Research in der Postlaunchphase des Market Access. Selektivvertragsoptionen, von Rabattverträgen über Integrierte Versorgungsverträge bis hin zu Disease Management Programmen spielten eine große Rolle. Zielgruppen waren die Vertreter der gesetzlichen Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigungen. Die Bewertung von Arzneimitteln war mangels umfassender Betroffenheit der Unternehmen und Dank nach wie vor freier Preisbildung bei Nicht- Festbetragsarzneimitteln nur für wenige Unternehmen Thema. Seit 2011 orientieren sich viele Unternehmen der pharmazeutischen Industrie aber neu: Es geht ihnen um die Antizipation von Bewertungsergebnissen, um die optimale Vorbereitung auf den Bewertungsprozess einschließlich der Neuausrichtung der klinischen Prüfung und um die Vorbereitung auf die Preisverhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband. Zudem betrifft die Vorbereitung auf die Nutzenbewertung seit Mitte 2012 auch den Bestandsmarkt. Nach § 35a Absatz 6 SGB V in Verbindung mit Kapitel 5 der Verfahrensordnung (VerfO) des G-BA kann der Gemeinsame Bundesausschuss für bereits im Verkehr befindliche Arzneimittel eine Nutzenbewertung veranlassen, wenn sie für die Versorgung relevant sind oder wenn sie mit Arzneimitteln im Wettbewerb stehen, für die bereits eine Nutzenbewertung nach § 35a Absatz 3 SGB V durchgeführt wurde. Der G-BA hat von dieser Regelung bereits Gebrauch gemacht und nach der frühen Nutzenbewertung für den neuen Wirkstoff Linagliptin weitere Gliptine aus dem Bestandsmarkt zur Nutzenbewertung aufgerufen. Obwohl das Verfahren derzeit juristisch noch nicht gesichert ist - einer der betroffenen Hersteller hat erfolgreich einstweiligen Rechtsschutz begehrt - werden die Unternehmen dafür sorgen, dass sie über die richtigen Daten verfügen, um im Fall des Aufrufs bereits im Verkehr befindlicher Produkte ein Nutzenbewertungsverfahren erfolgreich zu bestehen.
Dazu kommt, dass die deutschen Niederlassungen globaler Firmen ihre nationalen Interessen gegenüber den Headquaters künftig wesentlich stärker darlegen müssen. Die Pharmamarktforschung wird deshalb auch die Aufgabe haben, die nationalen Anforderungen an die Studiendesigns gegenüber der Konzernzentrale neutral zu belegen. Umgekehrt werden sich die Headquaters nationaler Dienstleister bedienen, insbesondere, wenn sie in Europa noch über kein umfassendes Niederlassungsnetz verfügen.
Die Ökonomisierung des Gesundheismarktes wird auch Medizinprodukte betreffen
Noch richten sich die Fragen der Wirtschaftlichkeit und des Nutzens in erster Linie auf Arzneimittel. Doch bewertet das IQWiG im Auftrag der G-BA auch bisher schon in erheblichem Umfang Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. Auf der Basis dieser Bewertungen entscheidet der G-BA, ob eine Untersuchungs- oder Behandlungsmethode zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung durchgeführt werden darf oder nicht. Sofern die technische Anwendung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode auf einem Medizinprodukt beruht, sind Medizinprodukte bereits unmittelbar von diesem Bewertungen betroffen. Eine eigenständiges Bewertungsverfahren für Medizinprodukte ist noch nicht etabliert. Dies soll nach Einschätzung von Experten nach dem Vorbild der frühen Nutzenbewertung für Arzneimittel aber nach der nächsten Bundestagswahl folgen.
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