Heinz Grüne, rheingold institut "Es ist, als ob der Beruf sich seine Leute selbst aussucht"

Wie wird man eigentlich Marktforscher? Heinz Grüne, Geschäftsführer des rheingold instituts, kam vor über 30 Jahren auf Umwegen in die Branche. Was ihn vor allem an der morphologischen Vorgehensweise so fasziniert, erzählt er im Interview.

Heinz Grüne, rheingold institut

Heinz Grüne, rheingold institut

marktforschung.de: Herr Grüne, wie gradlinig sind Sie zum Beruf des Psychologen und Marktforschers gekommen?

Heinz Grüne: Da lagen auf jeden Fall ein paar Kurven dazwischen – ich habe als Spätstarter erst einige andere Studienanläufe unternommen - unter anderem auch Medizin. Mehr durch Zufall bin ich an der Kölner Uni in eine Vorlesung meines späteren großen Lehrmeisters gerutscht – Wilhelm Salber, dem Begründer der Psychologischen Morphologie. Es ging um Psychologie und Literatur, genauer gesagt um Cervantes‘ Don Quixote, ein Buch, das ich schon relativ gut kannte. Salber hat mir damals ganz neue Perspektiven eröffnet, ich war tief beeindruckt. Von dem Moment war klar, dass ich Psychologe werden wollte.

marktforschung.de: Was war so besonders an der in Köln gelehrten Richtung der Psychologie?

Heinz Grüne: Zwei Stichworte: Ganzheitlichkeit und Sinnhaftigkeit. Jedem Aspekt eines Themas, einer Fragestellung wird Bedeutung zugemessen Die Morphologen haben schon immer iterativ gearbeitet, lange bevor diese Vorgehensweise durch das Silicon Valley zum Trend wurde. Auch beim rheingold Institut arbeiten wir nach dieser Methode. Wie Detektive identifizieren wir Phänomene, bilden Thesen, entdecken Muster – und verdichten diese so lange, bis alles am Ende Sinn ergibt. Wenn zum Beispiel ein Unternehmen rätselt, warum eine Produkteinführung nicht funktioniert, dann bekommen wir so sehr valide Antworten, da wir die Widersprüchlichkeit der menschlichen Psyche in der Tiefe verstehen.

marktforschung.de: Sie ziehen ein offenes Gespräch dem standardisierten Fragebogen vor. Warum?

Heinz Grüne: Der Mensch ist von jeher ein kommunikatives, in soziale Kontexte eingebettetes Wesen. Nach unserer Erfahrung ist die zwischenmenschliche Kommunikation so etwas wie das natürliche Habitat der Konsumenten. Weder das Bedienen von Maschinen noch das Ausfüllen von Fragebögen gehört zu unseren unmittelbaren Verhaltensweisen – sie müssen erst gelernt und antrainiert werden. In einem direkten, vertrauensvollen Gespräch zwischen Proband und dem wissenschaftlich ausgebildeten Interviewer hingegen kann sich die Welt einer Marke oder die Wirkungs-Faktoren einer kommunikativen Maßnahme komplett entfalten.

marktforschung.de: Nennen Sie doch mal ein Beispiel...

Heinz Grüne: Wenn zum Beispiel von einem Baum die Rede ist, wird erst im direkten Gespräch, auf mehrmaliges Nachfragen und im jeweiligen Bedeutungskontext wirklich klar, ob es sich in erster Linie um ein geschätztes Natursymbol, einen einfachen Schattenplatz, ein Ärgernis in Nachbars Garten, einen Lieferanten für Möbelholz oder aber einen Versorger für Obstsorten handelt! The meaning ist the message!

marktforschung.de: Aber wie gehen Sie denn ganz konkret mit den erhobenen Daten um?

Heinz Grüne: Nun zunächst einmal so: indem wir sie gar nicht als berechenbare "Daten" im engeren Sinne ansehen! Sondern als das was sie sind: Phänomene im Kontext des jeweiligen Themas! Durch die psychologische Analyse fahnden wir nach wiederkehrenden Mustern, typologischen Differenzierungen und vor allem durchgängigen "Qualitäten". Und dies immer mehrschrittig: erst Gespräch für Gespräch, dann übergreifend für alle Gespräche, dann sortiert nach den unterschiedlichen Zielgruppen. Diese kaskadierende Analyse überführt so praktisch die Einzelhaftigkeit der geführten Einzel- und Gruppengespräche in die Form einer Auswertungs- und Verstehens-Gestalt.

marktforschung.de: Warum halten Sie gerade diese morphologische Vorgehensweise für so alternativlos?

Heinz Grüne: Nur solche von Menschen mit Menschen durchgeführte Forschungen können aus unserer Sicht garantieren, dass auch teilweise verborgene, peinliche, schwer verbalisierbare Aspekte angesprochen und im Gesamtbefund gewichtet werden können.

marktforschung.de: Obwohl doch gerade das rheingold Institut in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe digitaler Tools und CoCreation-Methoden entwickelt hat.

Heinz Grüne: Weil sie viel können! Zum Beispiel in Form der Quantifizierung einer qualitativen Typologie oder einer co-kreativen Veranstaltung zur strategisch-fundierten Neu-Entwicklung von Produkten oder Werbemaßnahmen. Aber sie sind Ergänzung und Erweiterung, weniger Alternative unserer face-2-face-Methodik. Die morphologische Forschung blickt tief in die menschliche Seele, da geht es um Themen wie Zugehörigkeit, Identität oder Sicherheit. Solche Grundbedürfnisse sind sehr elementar, sie spielen in analogen wie auch in digitalen Welten eine Rolle, auch wenn sie sich jeweils in einem anderen Gewand zeigen. Für mich hat diese Vorgehensweise trotz aller neuen Verfahren daher nichts an Relevanz verloren.

marktforschung.de: Für welche Fragestellungen eignet sich denn die morphologische Vorgehensweise besonders?

Heinz Grüne: Nach unserer Erfahrung empfehlen sich "konfrontative" Befragungen stets, wenn der Fokus auf Fragestellungen liegt wie: Was denken und fühlen die Verbraucher, wenn es um meine Marke, meine Werbung, meine Produkte und Verpackungen geht? Was soll geändert werden? Welche meiner neuen Ideen sind erfolgversprechend? Welchen Weg gehen die Verbraucher mit, wo steigen sie aus?

marktforschung.de: Sie arbeiten jetzt seit rund 30 Jahren in der tiefenpsychologischen Marktforschung und dennoch spürt man noch Ihre Begeisterung.

Heinz Grüne: Es ist einfach ein Geschenk, sich immer wieder in die unterschiedlichsten Phänomene versenken zu dürfen. Ob es um Schokoriegel, Weizenbier, Politik oder Medien geht – ich darf meine Neugier ausleben und in jeden Winkel, jede Absurdität des Alltags reinschauen. Dabei lerne ich auch immer etwas über mich und werde für diese Erkenntnisreisen auch noch bezahlt. Was für ein Glück!

marktforschung.de: Welches Produkt hat Sie denn in Ihrer Laufbahn am meisten gepackt?

Heinz Grüne: Ich habe eine große Leidenschaft für Bier und Bierkultur entwickelt, beruflich wie privat. Durch zahlreiche Studien in diesem Bereich habe ich außerdem erkannt, dass sich in einem Markt, sogar in einem einzigen Produktsegment, das ganze Seelenleben wie in einem Prisma bricht. Ganz gleich welchen Teilaspekt des Lebens man betrachtet, es geht immer ums große Ganze.

marktforschung.de: Was würden Sie jungen Leuten raten, die in Ihren Beruf einsteigen wollen?

Heinz Grüne: So eine Berufswahl ist keine rationale Entscheidung, bei der es nur um äußere Faktoren wie Gehalt oder Karrierechancen geht. Wir haben bei rheingold immer wieder Praktikanten, bei denen wir schnell spüren, dass sie "infiziert" wurden. Es ist, als ob der Beruf sich seine Leute selbst aussucht. Wen es betrifft, der merkt es schnell – und dann lässt die Leidenschaft ihn nicht mehr los.

marktforschung.de: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Grüne!

Zur Person:

Heinz Grüne arbeitete schon während seines Studiums der Psychologie an der Universität Köln an zahlreichen Forschungsprojekten im Bereich der qualitativen Marktforschung. Er ist seit 1988 Geschäftsführer bei rheingold. Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen in der Erforschung der digitalen Medien und ihrer Auswirkungen auf den Alltag, in der Betrachtung der Seniorenkultur und der Psychologie des Konsums von Lebensmitteln. Spezialisiert hat er sich auf das Thema Bier.

 

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  1. Stefan Haberstroh am 15.11.2018
    Heinz,
    ich danke Dir für diese kurzweiligen und schlüssigen Anmerkungen. Besonders gefällt mir der Ansatz, dass der Beruf sich seine Leute aussucht. Nach vielen Jahren ist mir das erst selbst bewusst geworden. Deshalb heißt es wohl Beruf-ung.
    Darauf ein Pils, ein Kölsch, ein Hefe, ein Rauchbier und einen Weizenbock.
    Bis bald mein Freund,
    Stefan

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