Interview mit Dr. Roland Abel, Qualtrics "Es gibt nichts Schlimmeres für Kunden, als wenn sie sich nicht wahrgenommen fühlen"

Dr. Roland Abel, Qualtrics (Bild: messerPR)
marktforschung.de: Herr Dr. Abel, es ist relativ unstrittig, dass Feedback und Anerkennung im Job wichtig ist und dass gerade Führungskräfte bei diesem Thema viel richtig, aber auch viel falsch machen können. Unstrittig ist auch, dass Kunden eine möglichst positive Customer Experience haben sollten. Sie verbinden jetzt diese beiden Stränge und sagen: Kundenfeedback muss Mitarbeitern zugänglich gemacht werden, weil das Urteil der Kunden stark motiviert. Habe ich das richtig wiedergegeben?
Roland Abel: Ja, die Rückmeldung seitens des Endabnehmers – also des Kunden – ist im positiven Fall sehr förderlich für das Engagement der Mitarbeiter. So werden sie sich ihres eigenen Beitrags eher bewusst. Falls das Feedback Kritik enthält, ist dies vom Kunden aufrüttelnder als eine interne Rückmeldung durch eine andere Abteilung. Viele Unternehmen sehen in ihren Befragungen, welche Hebelwirkung das Thema Kunde für das Engagement der Mitarbeiter hat, weil es statistisch als einer der Top-Treiber identifiziert wird. Auf Grundlage dieses Feedbacks ist auch der Eindruck der Führungskräfte zur Leistung ihrer Mitarbeiter realistischer - vom Nutzen für das Unternehmen ganz zu schweigen, immerhin enthält das Kundenfeedback wertvollen Input für Verbesserungspotenzial.
marktforschung.de: Viele Angestellte von Unternehmen haben regen Kontakt mit Kunden, sie telefonieren oder besuchen sie, sie bekommen auch unmittelbares Feedback und haben daher in der Regel auch einen guten Eindruck darüber, wie es den Kunden geht. Ob sie mit dem Unternehmen zufrieden sind. Ihnen geht es aber ja eher um die Mitarbeiter, die diesen direkten Kontakt aber nicht haben, richtig?
Roland Abel: In vielen Unternehmen hat nur ein kleiner Teil der Mitarbeiter direkten Kundenkontakt – da ist das Potenzial für Engagement sicherlich am größten. Hingegen haben die Bereiche Produktion, HR oder teilweise die Finanzabteilung nur indirekten Einfluss. So veranstaltet beispielsweise die Personalabteilung ein Sales Effectiveness Training für die Vertriebsmitarbeiter, die im direkten Kundenkontakt stehen. Sollte das Schulungsprogramm das Kundenfeedback positiv beeinflussen, ist es wichtig, dass HR davon erfährt. Aber auch in Unternehmen, in denen es einen hohen Anteil an Mitarbeitern mit Kundenkontakt gibt und die individuelle Performance aus Kundensicht leicht zu erfassen wäre, besteht noch viel Aufholbedarf. Ich denke, dass dabei die Sorge vor transparentem negativem Feedback eine große Rolle spielt, obwohl sich die meisten Kunden meiner Erfahrung nach freuen, wenn sie nach Feedback gefragt werden – insbesondere im B2B-Bereich.
Das Thema Kundenorientierung spielt in den typischen Engagement-Befragungen nur eine kleine Rolle, obwohl der Erfolg im Kundenaustausch entscheidend ist. Das Engagement für den Kunden stärker in den Vordergrund zu rücken, was auch Einholen von Feedback seitens des Kunden bedeuten kann, halte ich bisher für vollkommen vernachlässigt. Mit dem Einzug neuer Technologien wird es aber viel einfacher, themenspezifischer vorzugehen als noch vor wenigen Jahren. Damals wurde von allem nur das nötigste erfasst.
marktforschung.de: Wie bringt man nun Führungskräfte dazu, das Thema Kundenfeedback im Sinne dieses Ansatzes zu optimieren? Was ist zu tun?
Roland Abel: Erstens sollten Führungskräfte das Kundenfeedback ernst nehmen, die Kritik konstruktiv aufgreifen und dafür sorgen, dass es die eigenen Mitarbeiter auch tun. Zweitens sollte regelmäßig Feedback eingeholt werden, um zu sehen, was die eigenen Anstrengungen bewirken oder wo Nachholbedarf besteht. Drittens sollten Unternehmen mit neuen Anreizsystemen in Hinblick auf die Kundenzufriedenheit mit Augenmaß vorgehen: Wird beispielsweise mehr Geld für höhere Kundenzufriedenheit geboten, kann das ein Anreiz sein, der in der einen Abteilung funktioniert und in der anderen Abteilung nicht zielführend ist. Zusätzlich stellen sich Fragen zur Methodik, Beeinflussbarkeit oder Integration ins Zielsystem. Viertens ist wichtig aufzuzeigen, welche Wechselwirkungen zwischen Kundenzufriedenheit und Employee Experience sowie den operativen Kennzahlen generell bestehen. Welche Auswirkung hat die Employee Experience auf die Sales-Zahlen, die Kundenloyalität oder den ROI. Durch die Verknüpfung solcher Daten mit neuen technischen Möglichkeiten zeigt sich überzeugend, welche Wichtigkeit diese Soft-Themen für den Unternehmenserfolg haben.
Die anderen typischen Hebel für Change sind der "Tone from the Top", Erfolge im Unternehmen sichtbar zu machen, das geeignete Format (wie Stichprobe oder Vollbefragung) zum Einholen des Feedbacks zu bestimmen und den Informationsfluss zu organisieren. Der Kunde wird auch sicher gerne hören, dass sein Feedback aufgegriffen wurde und sich nur deshalb etwas zum Besseren verändert hat.
marktforschung.de: Nun gibt es ja auch viel negatives Kundenfeedback, vor allem auch in den sozialen Medien schimpfen unzufriedene Kunden. Nehmen wir doch mal das Beispiel Deutsche Bahn. Muss ich als Führungskraft in einem solchen Fall nicht eher dafür sorgen, dass meine Mitarbeiter vor der teilweise ja auch berechtigten, aber eben oft wütenden und natürlich demotivierenden Schimpferei geschützt werden?
Roland Abel: Nein, keineswegs. Sonst bräuchte die Deutsche Bahn Roboter, statt Zugbegleiter. Denn sie sind die Projektionsfläche für die Fahrgäste. Sie bekommen zwar viel ab, können sich aber auch um die Kunden kümmern. Das Menschliche ist ja gerade in schwierigen Situationen der Faktor, der den Kunden besänftigen kann. Es gibt nichts Schlimmeres für Kunden, als wenn sie sich nicht wahrgenommen fühlen, sie möchten mit jemandem reden. Natürlich muss ich hier differenzieren: Die lautesten Stimmen sind nicht unbedingt die nützlichsten. Zudem wird ja auch viel positives Feedback gegeben; bei Verspätungen sind vermutlich gerade die Zugbegleiter der "Fels in der Brandung". Kein Feedback einzuholen kann aus meiner Sicht keine Alternative sein – das würde einem Blindflug gleichkommen.
marktforschung.de: Wie geht man Ihrer Meinung nach eigentlich systematisch vor, wenn es positives und negatives Feedback gibt? Wie geht man mit einer großen Flut von Rückmeldungen vor, man kann sie ja schlecht alle an die Kollegen weiterleiten, oder? Gibt es auch in diesem Bereich das Erfordernis einer repräsentativen Auswahl, um zu einem validen Feedback zu kommen?
Roland Abel: Das hängt von den Ebenen ab. Geht es um eine kleine Abteilung, kann das Kundenfeedback 1:1 weitergegeben werden. Bei Unternehmensbereichen, die mit tausenden von Kunden zu tun haben, wird das Feedback statistisch ausgewertet und in Form aggregierter Aussagen und Muster zurückgespielt. Zudem muss nicht auf jedes einzelne Feedback mit neuen Maßnahmen reagiert werden, wenn es bereits mehrmals genannt wurde. Oft reichen Stichproben, wenn es um die reinen Ergebnisse auf übergeordneten Ebenen geht – doch das holt viele Kunden nicht ab und ermöglicht keine Abteilungs-, Team- oder individuellen Rückschlüsse, um die es hier geht.
marktforschung.de: Positives Feedback motiviert, negatives Feedback kann aber ungemein wertvoll sein, um Produkte oder Dienstleistungen zu verbessern. Oder um eine Customer Journey zu verbessern. Hier tritt doch ein Zielkonflikt zutage, oder? Wie löse ich das auf?
Roland Abel: Ich denke, negatives Feedback wirkt nur dann demotivierend, wenn alle Anstrengungen nichts gebracht haben oder für den einzelnen Mitarbeiter oder die jeweilige Abteilung nicht die Chance besteht, etwas zu ändern. In der Regel können Mitarbeiter die Kundenzufriedenheit immer positiv beeinflussen, wenn sie sich engagieren. Einen Zielkonflikt sehe ich nicht. Was ist motivierender, als einen unzufriedenen Kunden in einen zufriedenen zu verwandeln?
marktforschung.de: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Dr. Abel!
Dr. Roland Abel ist Head of Growth & Strategy - Employee Experience (EX) DACH von Qualtrics und unterstützt Qualtrics-Kunden bei der Erhebung von Experience-Daten. Er blickt auf über zwölf Jahre Erfahrung im Bereich Employee Experience zurück. Bei einer großen HR-Beratung führte er als Practice Head Employee Insights Germany & Austria multinationale Mitarbeiterbefragungen für internationale Konzerne in der DACH-Region durch. Dabei kümmerte er sich um die Konzeption und Auswertung der Umfragen, die Besprechung der Ergebnisse mit der Führungsebene und um die Planung von Folgeaktivitäten. Zuvor promovierte er in Sozialwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum.
Das Interview führte Tilman Strobel
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