Interview mit Thomas Walter, Supersieben "Es gibt definitiv ein parteiübergreifendes Idealbild eines Kanzlers"

Wer ist der ideale Kanzler? (Bild: picture alliance - Ulrich Baumgarten)
Ihre Studie heißt: „Der ideale Bundeskanzler / die ideale Bundeskanzlerin“. Frage vorab: Passt emotional grundsätzlich besser eine Frau oder ein Mann für die Deutschen?
Thomas Walter: Das „Unfaire“ an der Frage nach einem Ideal ist, dass man natürlich auch immer ein Idealbild erhält. Und das ist für die realen KandidatInnen natürlich schwer zu erreichen. Die Studie zeigt, dass es im Idealbild Wertefelder gibt, bei denen eine Frau einen Heimvorteil hat (z.B. „sich kümmern, ohne zu erdrücken“); andere, bei denen man vielleicht Männer weiter vorn vermutet („Powertyp“). Fazit: Es ist für beide Geschlechter gleich schwer, das Ideal zu erreichen.
Knapp 30 Prozent der Wähler sind fünf Wochen vor der Wahl noch unentschlossen. Wenn Sie einen Abgleich zwischen den drei Kandidaten und Ihren Ergebnissen machen: Welcher der drei Kandidaten passt am besten auf das ideale Profil?
Thomas Walter: Wir lassen parallel eine nichtrepräsentative Befragung der Besucher laufen – jeder kann selbst die aktuellen Kandidaten hinsichtlich ihrer emotionalen Eigenschaften beurteilen.
Wenn man nur die drei wichtigsten Eigenschaften anschaut („Berechenbarer Arbeiter“, „Powertyp“, „Original“) decken sich die bisher eingelaufenen Antworten mit meiner persönlichen Einschätzung: Olaf Scholz hat emotional die Nase vorn. Man hält ihn für berechenbar und fleißig, er hat ein höheres Powertyp-Potenzial als Armin Laschet. In diesem Feld liegt Annalena Baerbock derzeit vorn.
Und Olaf Scholz hat eine Nasenlänge Vorsprung in Sachen Originalität vor Baerbock und Laschet. Wenn die Kandidaten Wählende emotional für sich gewinnen wollen, sollten Sie also versuchen, in diesen Kerngebieten zu punkten.
Gibt es überhaupt ein geteiltes Profil eines Kanzlers, auf das wir uns alle einigen könnten? Oder gibt es verschiedene passende Profile, so wie Sebastian Kurz und Angela Merkel ganz unterschiedlich erscheinen.
Thomas Walter: Es gibt definitiv ein parteiübergreifendes Idealbild eines Kanzlers.
Die Präferenzen der einzelnen Parteianhänger unterscheiden sich gar nicht so sehr. Es gibt ein paar wenige Eigenschaften, die man haben muss und ohne die es nicht geht. Und ein paar Eigenschaften, die man haben sollte, die auf jeden Fall im Wahlkampf helfen.
Unsere Einschätzung ist: Angela Merkel erfüllt sehr viele dieser emotionalen Eigenschaften sehr gut. Gegen solch eine Allrounderin kann man sich nur schwer durchsetzen. Wenn die Mitbewerbenden aber selbst „emotionale Lücken“ haben, kann sich auch ein weniger kompletter Kandidat durchsetzen. Auf etwas ähnliches wird es im jetzigen Wahlkampf auch hinauslaufen. Jeder der drei Kandidierenden hat Stärken und Schwächen in wichtigen Feldern. Und man darf nicht vergessen, dass neben den Emotionen auch Inhalte noch eine Rolle spielen.
Die Emotionalen Territorien verwenden Sie sonst für die Bestimmung von Marken. Ist das Kaufen eines Produkts und das Wählen eines Kandidaten vergleichbar?
Thomas Walter: Wenn man an den Kauf eines Autos denkt, ist wählen und kaufen absolut vergleichbar: komplexer Sachverhalt, rational schwer zu durchschauen, faktisch nur wenig Unterschiede, hohe persönliche Relevanz, langfristige Bindung.
In solchen Fällen sind Menschen bei Ihrer Entscheidungsfindung überlastet und greifen auf Heuristiken zurück, die leichter ans Ziel führen als ein objektiver Vergleich: Sie nehmen ihr Bauchgefühl zur Hilfe und entscheiden sich für den oder die, bei dem sie sich am wohlsten fühlen. Sei das nun eine Automarke oder ein Bundeskanzler.
Weil das so ist, ist es für Entscheider auch so wichtig, die Emotionen Ihrer Zielgruppe genau zu kennen. Egal ob sie Bundeskanzler werden möchten oder Marktführer. Aus dem Grund haben wir Emotional Territories entwickelt. Die Bundeskanzler-Studie war ein guter Anlass, die Leistungsfähigkeit des Tools auch auf anderen Gebieten zu demonstrieren4.
Welche Eigenschaften des idealen Bundeskanzlers hätten Sie erwartet? Welche Eigenschaft hat Sie überrascht?
Thomas Walter: Ich hätte mir einen optimistischen, eigenständigen Anpacker erhofft. Zum Großteil haben die Studienergebnisse den auch ergeben. Vor allem hätte ich erwartet, dass die Menschen nach 16 Jahren Merkel noch mehr Veränderung wollen. Dafür schneidet das Wertefeld „Innovator“ aber relativ schwach ab.
Drei Dinge, die für mich überraschend waren:
Erstens:Wie sehr sich die Deutschen einen „Anti-Trump“ wünschen: Berechenbar, zuverlässig, fleißig, fair sind absolute „Must-haves“, wenn man Kanzler werden will.
Zweitens: Wie konservativ die Grünen-Wähler sind: Werte wie „Powertyp“, „gewissenhafter Arbeiter“ sind bei ihnen am weitesten verbreitet. Insgesamt unterscheidet sich das grüne Idealbild nur in ein oder zwei von zwölf Feldern vom dem der CDU. Finde ich erstaunlich.
Drittens: Wie desinteressiert die AfD-Wähler sind: Ihr Profil unterscheidet sich kaum von dem der Nichtwähler. Bei allen Wertefeldern wünschen Sie sich am wenigsten Emotionen von einem Kanzler. Einzige Ausnahme: Ein Patriot muss er sein. Und er sollte nicht übermäßig tolerant sein.
Über die Person:

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