Die Frage zum Sonntag! Es geht um mehr als Niedersachsen

Niedersachsens Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU, links) und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD, rechts) vor Beginn des TV-Duells am 27. September zur Landtagswahl in Niedersachsen. (Bild: picture alliance/dpa | Ole Spata)
Der Blick zurück
2017 trat die damalige Grünen-Abgeordnete Elke Twesten aus der Fraktion aus und die rot-grüne Regierungskoalition verlor ihre Ein-Stimmen-Mehrheit. Es kam zu vorzeitigen Neuwahlen, an denen sich 63,1 Prozent der Wahlberechtigten beteiligten. Dabei fehlten der rot-grünen Koalition zwei Sitze, um weiter regieren zu können. Die Grünen schlossen eine Koalition mit CDU und FDP aus, die FDP wiederum schloss eine Koalition mit SPD und Grünen aus. Es blieb nur eine denkbare Koalitionsoption übrig und so regierte in den letzten fünf Jahren eine Große Koalition mit Stephan Weil (SPD) als Ministerpräsident in Niedersachsen.
Wie viele Koalitionsmöglichkeiten dieses Mal zur Debatte stehen, hängt ganz entscheidend von einer Frage ab: Schafft es die FDP über die Fünf-Prozent-Hürde oder fliegt sie aus dem Niedersächsischen Landtag?
Der Blick nach Berlin
Die derzeitige Ampel-Regierung im Bund ist nicht mal ein Jahr im Amt. Ein Jahr, das alles andere als ein „normaler“ Beginn einer Regierungskoalition war: Die „Fortschrittskoalition“ konnte ihrem Namen noch nicht gerecht werden – die Corona-Krise ist noch lange nicht ausgestanden und der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat massive Auswirkungen auf den Energiesektor, aber auch das Gemüt in Deutschland. Die amtierende Ampelkoalition hat alle Hände voll damit zu tun, die Krisen zu managen und bleibt damit weit hinter den Erwartungen der Menschen, aber wohl auch den eigenen zurück.
Kurzfristig drehen sich die Diskussionen weniger darum, wie Deutschland die dringend benötigte sozial-ökologische und digitale Transformation angehen, sondern vielmehr darum, wie der bereits beschlossene Ausstieg aus Atom- und Kohlekraft pausiert werden kann. In der Bevölkerung machen sich Abstiegsängste breit. Ängste um die eigene Sicherheit in Deutschland, nachdem wir erleben mussten, dass die Sicherheitsarchitektur auf weniger stabilem Fundament fußte, als wir uns ausmalen konnten. Ängste um die Versorgungssicherheit und nicht zuletzt auch um den sozialen Frieden.
Der heiße Herbst
In den Feuilletons wird der möglicherweise zu erwartende „heiße Herbst“ hoch- und runtergeschrieben. Die Deutschen sind hin- und hergerissen zwischen Solidarität mit der Ukraine und der Angst, im Winter im Kalten zu sitzen. Sie blicken mit Sorge auf die Ukraine, auf die globalen Märkte, auf die Bundespolitik – mit wenig Fokus auf das eigene Bundesland. Das berichten auch die Wahlkämpfenden aus Niedersachsen: Die Menschen kommen zu ihnen und sprechen keine niedersächsischen Themen an, sondern stellen Fragen, die eine bundesdeutsche Antwort erfordern.
Und Unrecht haben sie nicht: Landesregierungen haben aktuell wenig Spielraum und Einfluss in der derzeitigen Situation. Damit wird die niedersächsische Wahl in besonderem Maße von der Bundespolitik überschattet.
Der Blick auf die veröffentlichten Sonntagsfragen seit der Bundestagswahl 2021 zeigt deutliche Verlierer und Gewinner: Während die SPD bei der letzten Bundestagswahl als stärkste Kraft hervorging, liegt sie heute (wieder) auf Platz drei (18,5 Prozent, einem Minus von 7,2 Prozentpunkten) hinter der CDU/CSU (27,7 Prozent, einem Plus von 3,6 Prozentpunkten) und den Grünen (19,7 Prozent, einem Plus von 4,9 Prozentpunkten). Der dritte Ampelkoalitionspartner FDP liegt mit 7,4 Prozent (einem Minus von 4,1 Prozentpunkten) auf Platz fünf hinter der AfD (14,1 Prozent), die seit der Bundestagswahl 3,8 Prozentpunkte gewonnen hat. Einzig die Linke zeigt kaum Veränderungen und bleibt mit 5,2 Prozent auf niedrigem Niveau (+0,3 Prozentpunkte). Die Ampelregierung käme demnach auf insgesamt 45,6 Prozent, einem Minus von 6,4 Prozentpunkten.
Die Stimmung in Niedersachsen
Die jüngsten veröffentlichten Sonntagsfragen zur Wahl in Niedersachsen suggerieren einen erneuten Sieg des amtierenden Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD) über seinen Herausforderer und derzeitigen Vize Bernd Althusmann (CDU). Die SPD käme derzeit auf 31,6 Prozent, die CDU auf 28,2. Damit verlöre die SPD 5,3 Prozentpunkte, die CDU mit 5,4 Prozentpunkten ähnlich viel. Der Wunschkoalitionspartner von Stephan Weil, die Grünen, käme auf 16,5 Prozent, die sich gegenüber 2017 beinahe verdoppeln (+7,8 Prozentpunkte). Die FDP verlöre 2,5 Prozentpunkte und droht nun an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern. Die Linke wird diese wohl erneut nicht überspringen (3,6 Prozent, -1,0 Prozentpunkte), die AfD hingegen ist mit derzeit 10,0 Prozent sicher erneut im Landesparlament vertreten, und zwar deutlich stärker als noch 2017 (+3,8 Prozentpunkte).
Die Stärke der AfD wird sich darauf zurückführen lassen, wie viele Wählerinnen und Wähler durch die demokratischen Parteien mobilisiert werden und wie hoch die Wahlbeteiligung ausfällt. Ob der als gering wahrgenommenen Relevanz dieser Wahl ist zu befürchten, dass die Wahlbeteiligung rückläufig sein und der zuletzt positive Trend (2008: 57,1 Prozent, 2013: 59,4 Prozent, 2017: 63,1 Prozent) gestoppt wird.
Die FDP wird bei dieser Wahl bei der Frage, ob in Niedersachsen Rot-Grün regieren kann oder die Große Koalition fortgesetzt wird, das Zünglein an der Waage sein. Sollte die FDP den Einzug in das niedersächsische Parlament verpassen, kommt für die Ampel im Bund ein weiteres Problem hinzu. Und ein weiteres Problem kann man der derzeitigen Regierung in der momentanen Lage nun wirklich nicht wünschen, unabhängig davon, wie sehr sie hinter Erwartungen zurückgeblieben sein mag. Bleibt zu hoffen, dass zumindest die Wahlbeteiligung nicht sinkt, um dem rechten Rand nicht weiter Luft unter die Flügel zu pusten. In diesem Sinne: Geht wählen, liebe Wählerinnen und Wähler in Niedersachsen – es geht um mehr als euer Bundesland!
Über die Person
Jana Faus ist Diplom-Sozialwissenschaftlerin, Co-Gründerin und geschäftsführende Gesellschafterin der pollytix strategic research gmbh in Berlin, der Agentur für Meinungsforschung und forschungsbasierte Beratung an der Schnittstelle von Politik, Wirtschaft & Gesellschaft. Seit mehr als 15 Jahren forscht sie zu gesellschaftspolitischen Themen in Asien, Australien und Europa. Sie berät Wahlkämpfende auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene.
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