Interview zum WdM Web-Seminar mit Interrogare "Es geht nicht immer darum, das Rad neu zu erfinden"

Wie lässt sich der Fingerprint der Kaufentscheidung genau erfassen?
Sören Scholz: Bei neuen radikalen Innovationen lässt sich der Fingerprint nicht immer einfach bestimmen – vor allem weil für diese Produkte und Dienstleistungen noch keine Erfahrungen vorliegen. Für die meisten Produktkategorien und Dienstleistungen bestehen allerdings schon weitreichende Erfahrungen und Kaufbeobachtungen, die im Zweifel auch durch Customer Journey-Studien noch verifiziert bzw. ergänzt werden können. Dabei beschreibt in unserer Definition der „Fingerprint“ die generelle Kaufsituation – z.B. in Form von Marken- und Produktkenntnis, genutzte Kaufkanäle und deren Begebenheiten (z.B. Anzahl an Wettbewerbsprodukten, kommunizierte Produkteigenschaften sowie klassische Customer Journeys etc.) und nicht die individuellen Bedürfnisse, Präferenzen und Zahlungsbereitschaften der Konsumenten und Konsumentinnen, die schlussendlich die Kaufentscheidung determinieren.
In Preisforschungsstudien gilt es die Kaufentscheidung entsprechend des „Fingerprints“ zu sezieren und zu analysieren, um am Ende über möglichst realistische Befragungsszenarien Ergebnisse zu erhalten, die valide Aussagen über die Kaufprozesse und Zahlungsbereitschaften der Konsumenten erlauben.
Ich muss mir demnächst ein neues Auto kaufen. Den Prozess der Entscheidung und des Aussuchens finde ich lästig. Für Autofans ist der Prozess wahrscheinlich wie Weihnachten und Ostern zusammen. Ist eine Kaufentscheidung immer eindeutig in ihrem Modell klassifizierbar?
Sören Scholz: Bereits seit den 70er Jahren ist es wissenschaftlicher Konsens, dass Präferenzen nicht stabil sind, sondern während der Entscheidungssituation konstruiert werden. Dies hat zwei Implikationen: Zum einen kann eine falsch spezifizierte Entscheidungssituation im Rahmen der Befragung zu massiven Abweichungen zum Entscheidungsverhalten in der realen Situation bedeuten und somit zu invaliden Prognosen führen. Zum anderen können – selbst bei einem guten Studiendesign – die Entscheidungen von Situation zu Situation abweichen, genauso wie wir uns an einem Tag für Produkt X und am anderen Tag für Produkt Y entscheiden.
Die zentrale Frage ist somit nicht das Vorhandensein von Mess- bzw. Klassifikationsfehlern, sondern der Umgang damit: Habe ich eine hohe Heterogenität bzgl. zentraler Größen wie Involvement oder Zahlungsbereitschaften?
Dann sollten diese Aspekte im Modell berücksichtigt werden. Darüber hinaus beruhigt es zu verstehen, dass nicht zwingenderweise jede einzelne Kaufentscheidung exakt richtig bestimmt werden muss, sondern vielmehr Aussagen über alle Konsumenten bzw. relevante Zielgruppen getroffen werden sollen. Mit anderen Worten: Es ist in erster Linie entscheidend, wie viele Konsumenten bei einem Preis von X ein Produkt kaufen würden als genau vorherzusagen, welche Konsumenten das sind. Und genau hier helfen quantitative Studien, bei der sich einige potenzielle Fehlerquellen auch rausmitteln und trotz individueller Mess- bzw. Klassifikationsfehler immer noch relativ präzise und valide Ergebnisse auf aggregierter Ebene erzielt werden.
Sie schreiben „Quick & Dirty“ ist keine Option. Andererseits gibt es auch im Bereich Pricing Research immer mehr Standardtools und fertige Umfragelösungen, die ich als Nutzer vergleichsweise einfach anpassen muss. Wo ordnet sich das Angebot von Interrogare genau ein?
Sören Scholz: Wir müssen hier zwischen standardisierten und sehr simplifizierten („Quick & Dirty“) Befragungsmethoden unterscheiden: Die Standardisierung von Verfahren muss nicht zwingenderweise ein Problem darstellen – sofern die untersuchte Fragestellung durch den Standard gut abgebildet wird. So kann die Untersuchung von unterschiedlichen Warenkategorien im LEH durchaus sehr ähnlich ausfallen und somit auch mittels desselben Befragungsansatzes passgenau ermittelt werden.
Viele „Quick & Dirty“-Ansätze, die auch häufig in Standardtools implementiert sind, basieren aber auf starken Vereinfachungen (wie z.B. die Nichtberücksichtigung des Wettbewerbs) oder fehlenden Anpassungsmöglichkeiten für die konkreten Märkte und Kaufprozesse (z.B. die oben schon erwähnten Unterschiede im Involvement) und bieten somit häufig nur einen verzerrten Blick auf die tatsächlichen Kaufentscheidungen. Letztes kann für die Anwender entsprechender Standardtools sogar sehr hilfreich sein: Denn die Auswahl und Anpassung von Pricing-Research Modellen erfordert Erfahrung, die von vielen Nutzern und Nutzerinnen entsprechender fertiger Umfragelösungen nicht existieren. Und genau hier sehen wir auch das Angebot von Interrogare: Es geht nicht immer darum, den innovativsten Ansatz zu finden oder an jeder Stelle das Rad neu zu erfinden.
Auch wir nutzen durchaus Standards.
Allerdings haben wir durch Hunderte von Projekten zum Thema Pricing einen sehr reichhaltigen Erfahrungsschatz, der es ermöglicht ein passgenaues Analysemodell zu nutzen, welches die Kaufsituation zu gut wie möglich abbildet. Und diese Expertise ist – wie in der berühmten Werbung – unbezahlbar.
In welchen Produktbereichen ist Pricing Research besonders schwierig?
Sören Scholz: Generell gibt es viele verschiedene Faktoren, die Pricing Research schwierig machen. Dieses reicht von uneinheitlichen Preisen (z.B. bei nichtstandardisierten Dienstleistungen, wie Handwerksarbeiten) über einen umfangreichen Wettbewerb bis hin zu erklärungsbedürftigen Produkten wie radikale Innovationen, deren Mehrwerte teilweise schwer zu vermitteln sind.
Sie waren in den vergangenen Jahren häufiger Gast bei unseren Web-Seminaren auf marktforschung.de und haben auch auf dem BVM-Kongress die Keynote gehalten. Warum sollten selbst Personen, die Sie schon häufiger dieses Jahr gesehen haben, wieder mit dabei sein?
Sören Scholz: Hierfür sprechen verschiedene Gründe: Zum einen hat nicht jeder die Möglichkeit gehabt bzw. genutzt, unsere anderen Web-Seminare zu besuchen. Zum anderen decken wir in unseren Web-Seminaren unterschiedliche Themenfelder, die von Emotional Branding über Kundensegmentierungen bis hin zum Feld Präferenzmessung und Pricing reichen. D.h. wir erzählen nicht zwingend immer wieder dasselbe.
Zu Sören Scholz

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