Das Interview zum Webinar am 23.4.2020: Oliver Tabino, Q Agentur für Forschung "Es geht ja nicht darum, seine Lieblingsmethode auf ein Problem zu stülpen"

marktforschung.de: In der Webinar-Ankündigung sprechen Sie von KI-basiertem Textmining, Netnographie, crawlerbasierten Netzwerkanalysen und Social Media Monitorings. Können Sie kurz anreißen, wie man sich den Einsatz dieser Methoden im Kontext von Pharmaforschung vorstellen kann? Welche Netzwerke werden etwa analysiert, was wird in Sozialen Netzwerken unter die Lupe genommen?
Oliver Tabino: Wir haben neben klassischen qualitativen und quantitativen Methoden über die Jahre hinweg unterschiedliche Methoden und Tools genutzt und selbst entwickelt, die letztendlich darauf basieren, öffentlich verfügbare Daten zu analysieren. Wir haben beispielsweise gerade eine Grundlagenstudie zum Thema Brustkrebs durchgeführt. Aufgrund der Fragestellungen unseres Auftraggebers haben wir einen Methodenmix eingesetzt. Wir haben relevante Webseiten und Accounts erfasst, deren Struktur und deren Interdependenzen quantitativ erfasst und in einer Netzwerkkarte dargestellt. Auf Basis netnographischer Analysen konnten wir eine Patient Journey erstellen, die wir mit emotionalen und rationalen Bedürfnissen der Patientinnen angereichert haben. Das sind Themen wie Wahrnehmung, Umgang und Alltagsprobleme mit der Krankheit und ihren Symptomen, die Fragen, die sie beschäftigen, die Schwierigkeiten auf die sie stoßen, die Wahrnehmung von Therapien, Medikamenten, Ärzten und Gesundheitsinstitutionen. Dazu wurden ebenfalls Daten aus Instagram oder Twitter genutzt. Wir sind dadurch in der Lage, über viele Kanäle hinweg sehr umfassende Bilder der Realität der Krankheiten aus Sicht der Patienten und Angehörigen zu erstellen, und das auch für viele Länder und Sprachräume.
Sie weisen in der Ankündigung mehrfach darauf hin, dass durch den Einsatz der zuvor genannten Methoden Health Care Professionals (HCPs) bei der Untersuchung nicht miteinbezogen werden müssen. Was hat es damit auf sich?
Oliver Tabino: Da Health Care Professionals im Moment extrem unter Druck stehen und die Lage sehr wahrscheinlich immer heftiger wird, kann und sollte man auf Primärmarktforschung mit HCPs verzichten. Viele Pharmaunternehmen haben deswegen ihre laufenden Studien gestoppt, um die HCPs nicht noch zusätzlich zu belasten. Deswegen können natürlich auch wir keine IDIs mit Ärzten durchführen. Da wir die oben beschriebenen Methoden in unserem Portfolio haben, können wir weiterhin Studien durchführen, ohne HCPs zu belasten. Diese Ansätze eignen sich hervorragend für die Forschung über Patienten und Angehörige, ein Feld, dass nach unserer Erfahrung immer bedeutsamer für die Unternehmen wird. Aber es ist auch erstaunlich, wie viel man dabei über die HCPs lernt.
Die Pharmaforschung kann durch den Einsatz Ihrer Methoden also besonders in Zeiten der Coronakrise profitieren, da das medizinische Fachpersonal nicht mit Befragungen o. ä. von der Arbeit abgehalten wird, richtig?
Oliver Tabino: Das ist absolut richtig. Wobei wir bei jeder Fragestellung, bei jeder Indikation und bei jeder Zielgruppe immer eine Art Machbarkeitsprüfung machen, weil natürlich nicht alle Fragestellungen mit webbasierten Ansätzen beantwortet werden können. Gerade Ärzte sind beispielsweise in Deutschland immer noch sehr zurückhaltend in Bezug auf Social Media Aktivitäten. Patienten in verschiedenen Indikationsgebieten sind dagegen sehr gut webbasiert zu erforschen. Das gilt übrigens auch für Krankheiten, von denen nur sehr kleine Patientengruppen von zwei- bis dreitausend Personen betroffen sind. Solche Zielgruppen können sie oft gar nicht in ausreichender Zahl für IDIs rekrutieren. Webbasiert ist ihre Basis da viel besser.
Und in "gewöhnlichen" Zeiten? Wie schätzen Sie die Stärken von KI und webbasierten Methoden unabhängig von der gegenwärtigen Situation ein? Wieso sollte ich mich für sie und nicht für das "klassische" Methodenportfolio entscheiden?
Oliver Tabino: Die Frage für oder gegen "klassische Methoden" stellt sich für uns nicht. Um ehrlich zu sein, hat sich diese Frage noch nie für uns gestellt und ich halte sie nicht für zielführend. Es geht ja nicht darum, seine Lieblingsmethode auf ein Problem oder eine Fragestellung zu stülpen, sondern das Forschungsdesign so zu gestalten, dass es unter den gegebenen Rahmenbedingungen die besten Ergebnisse für unsere Auftraggeber liefert.
Wir hoffen für alle Beteiligten, dass sich die Lage wieder entschärft, denn Face-to-Face Befragungen, egal ob analog oder digital, werden wir auch in Zukunft brauchen und das wird bei Q ein wichtiger Bestandteil des Methodenportfolios bleiben. Wir führen seit 10 Jahren webbasierte Studien durch. Die Methoden und technischen Möglichkeiten haben sich extrem verändert, aber eines bleibt für uns immer gleich. Es geht darum Verhalten zu verstehen und daraus Insights abzuleiten. Das ändert sich durch Corona nicht.
Besten Dank für Ihre Zeit, Herr Tabino. Und bis zum 23. April!
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Das Interview führte Julian von der Meden
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