Die Zukunft des Einzelhandels "Es fehlt Mut und Fantasie"

In der Weihnachtszeit gehen die Umsätze im Einzelhandel nach oben, doch was zählt, ist das Gesamtjahr. Und diese Zahlen zeigen: Das Online-Geschäft boomt, der stationäre Handel hat ein Problem. Immer mehr Ladeninhaber müssen schließen, die Prognosen sind düster. Aber muss das sein? Wir haben uns mit Jürgen Schröcker unterhalten, er berät Unternehmen im Marketing und Einzelhandelsmanagement. Schröcker war viele Jahre als Marketing- und Personalvorstand der Hornbach Baumarkt AG tätig.

Jürgen Schröcker

marktforschung.de: Herr Schröcker, Sie waren viele Jahre in leitenden Positionen bei Hornbach und anderen Einzelhändlern in Lohn und Brot und beraten heute Unternehmen, die sich fragen: Macht es überhaupt noch Sinn, einen richtigen Laden aufzumachen? Müsste die Marktforschung nicht längst sagen: "Bitte macht es nicht, das gibt der Markt einfach nicht mehr her"?

Schröcker: Und ob es Sinn macht – sofern die Strategie stimmt und Kunden ein Erlebnis geboten wird. Ein großer Vorteil gegenüber Online-Shops ist, dass Kunden die angebotenen Produkte anfassen, anprobieren oder ausprobieren können. Das ist ja auch ein Grund, warum Onlinehändler jetzt auch physische Geschäfte aufmachen – Amazon oder MyMuesli zum Beispiel. 

marktforschung.de: Sie haben in einem Fachbeitrag geschrieben, der Einzelhandel solle sich "nicht so gehen lassen". Tut er das?

Schröcker: Es gibt immer auch Best-in-Class-Beispiele. Aber generell vertrete ich schon die Meinung, dass sich viele stationäre Einzelhändler gehen lassen. Das fängt bei der Sortimentsgestaltung an. Diese ist oftmals eine Routine, bei der nicht nachgedacht wird. Alles, was Verkaufsverband und Lieferanten vorgeben, wird stur gelistet. Das Resultat ist: Durchschnitt. Es fehlt Mut und Fantasie, sich vom Wettbewerb abzuheben und wahren Kundennutzen zu stiften.

marktforschung.de: Wir bei marktforschung.de kümmern uns im Wesentlichen um Themen, die das Kaufverhalten analysieren, die Wünsche der Konsumenten, wie sehen die aus? Frage an Sie jetzt: Gibt es überhaupt noch in dem Maße den Wunsch der Kunden, in einen Laden zu gehen, um damit eine sichere und stabile Grundlage für die grob 400.000 Einzelhändler und ihre Mitarbeiter in Deutschland zu schaffen?  

Schröcker: Ob die vielen Arbeitsplätze im Einzelhandel bestehen bleiben, kann ich nicht vorhersagen. Dass Kunden weiterhin in Geschäfte gehen möchten, glaube ich aber bestimmt – unter anderem aus dem Grund der Haptik, den ich vorher genannt habe. Die Frage ist halt: Können Einzelhändler Kundenwünsche auch erfüllen? Nur mit Rabatt-Aktionen kommen sie sicherlich nicht weit. Wer sich nicht mit seinen Kunden, technischen Möglichkeiten und internen Prozessen auseinandersetzt, wird in der Bedeutungslosigkeit verschwinden. 

marktforschung.de: Sie sagen, in vielen Regalen gebe es austauschbaren Durchschnitt. So könne der Einzelhändler im Kampf gegen Online nicht bestehen. Ist Spezialisierung eine Lösung? Und erreiche ich damit auch die Köpfe der Menschen in der Umgebung? 

Schröcker: Spezialisierung ist sicher eine Lösung, das wird in Zukunft auch verstärkt Thema sein. Die Bio-Branche hat es beispielsweise geschafft, aus einen Nische einen sehr attraktiven und enorm großen Markt zu machen. Es muss aber nicht Spezialisierung sein. Optimierte Prozesse, eine durchdachte Sortimentsorganisation, emotionale Produktpräsentation, strategische geschickte Preisgestaltung und wesentlich besserer Service reichen aus. Es gibt so viele strategische Punkte, wie sich der stationäre Handel fit für die Zukunft machen kann, ohne Angst vor dem Internet haben zu müssen. Darüber schreibe ich auch in meinem Buch „Fit & Sexy – Die Formel für mehr Erfolg im Einzelhandel“. 

marktforschung.de: Wie sehen Sie das Thema Marktforschung im Handel?

Schröcker: Der wichtigste Beitrag, den Marktforschung leisten kann, ist, die Kunden besser zu verstehen. Kunden Nutzen zu bieten und sich ihnen als „Bruder im Geiste“ zuzuwenden, das ist der wesentliche Schlüssel für Erfolg im Handel. Und natürlich auch für Erfolg in der Werbung. Dazu muss ich erstmal überlegen, für welche Kunden ich eigentlich da sein will. Dann muss ich ihre Bedürfnisse und ihre Motive und Werte kennenlernen. Hierzu kann Marktforschung einen elementaren Beitrag erbringen.

marktforschung.de: Was würden Sie sich von der Marktforschung wünschen?

Schröcker: Es gibt viele Themen, die den Marketing-Abteilungen ins Auftragsbuch geschrieben werden: Dynamic Pricing, CRM und Kundenkarten, Automatisiertes Marketing und Targeting, Beacons in den Geschäften und personalisierte Push-Angebote aufs Smartphone. Wie aber empfinden Kunden, wenn sie damit konfrontiert werden? Welche dieser Themen sind wirklich zielführend? Wo kann man unterschiedliche Positionen beziehen? Würde die Marktforschung dazu Hilfestellungen geben, hätte der Einzelhandel Leitplanken für die Zukunftsausrichtung.

marktforschung.de: Vielen Dank!

 

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