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Konstantin Patsavas: Mehr Zeit, weniger Budget "Erzähl mir, wofür du stehst." Kaufentscheidungen werden bewusster getroffen; Markenloyalität infrage gestellt.

Aktuelle Grundstimmung ist lähmend
Unabhängig von ihrer individuellen Lebenssituation empfinden alle Probanden die aktuelle Lage während der Corona-Pandemie als lähmend. Dies verdeutlicht sich in Beschreibungen von "verlorenen Jahren", oder "fehlenden Zielen": Weiterbildungen oder Geschäftserweiterungen wurden auf Eis gelegt, die Zukunft sei nicht mehr planbar – "Hätte man mich vor 1,5 Jahren gefragt, hätte ich gesagt, ich will expandieren", nun gehe es nur noch darum den "Job zu behalten".
Es hat sich ein Unsicherheitsgefühl entfaltet, welches geprägt ist durch aktuelle Einkommenseinbußen sowie durch projizierte Zukunftsängste. Manche sind durch Kurzarbeit oder aber auch durch den kompletten Wegfall von Nebenjobs akut finanziell hart getroffen. Andere befürchten, dass ihre Jobs in den nächsten Monaten wegfallen könnten.
Bewältigungsstrategien beim Kaufverhalten: Reduzieren, vergleichen, verschieben, ausweichen
Diese beiden Faktoren, akute Einbuße und Zukunftsängste, haben bewirkt, dass alle Befragten ihre Ausgabenseite reduziert haben und folgende Bewältigungsstrategien anwenden:
- Weniger einkaufen: Insbesondere Kleidung ist durch den Lockdown verzichtbar
- Nach Angeboten suchen, günstig einkaufen: Ganz unterschiedliche Kategorien sind betroffen (auch Lebensmittel)
- Einkäufe verschieben: Primär bei größeren Anschaffungen wie Technik und Autos
- Andere Marken in Betracht ziehen: Down-Grading, vor allem bei Technik und Autos
Einflussfaktoren auf das Kaufverhalten: Mehr Zeit, weniger Budget!
Diese vier Bewältigungsstrategien sind das Ergebnis von zwei hauptsächlichen Einflussfakten: Mehr Zeit, weniger Budget. Alle Befragten haben mehr Zeit zur Verfügung – entweder durch Kurzarbeit oder durch den Wegfall ihrer Hobbys.
Sie beschäftigen sich nun ausgiebiger mit Produkten, nutzen öfter Vergleichsportale, suchen nach "guten Deals" und stoßen bei ihrer Recherche auf neue kleinere Marken oder ihnen bislang unbekannte Produktlinien wie die vegane Linie von Adidas. Neue häusliche Hobbys wie Kochen halten Einzug, bisherige Treffen mit Freunden werden nun durch Video-Chats "mit einem Glas Wein" als Begleiter ersetzt.
Chancen für Marken: Mehr Zeit von Kunden für eigene Geschichte nutzen
Für Marken bedeutet das, dass sie während der Corona Pandemie mehr Zugang zu ihren Nutzern erlangen und diesen vertiefen können, denn Konsumenten beschäftigen sich nun auch mit der Geschichte des Unternehmens, deren Hauptbotschaften und Prinzipien. Ob Lego, Volkswagen, Adidas, Quicksilver oder Ikea. Mit all diesen Marken werden Geschichten verbunden und bei allen schauen die Käufer nun genauer hin!
Risiken für Marken: Weniger Budget stellt etablierte Markenpräferenzen infrage
Durch Einkommenseinbußen wiederum steigt die Tendenz, die bisherigen Markenpräferenzen infrage zu stellen. Die Suche wird breiter, und so fragt man sich: "Brauche ich diese Marke wirklich?". "Was können eigentlich die Produkte der Wettbewerbsmarke?" In der vorliegenden Studie haben wir uns zwei Produktkategorien näher angeschaut: Technikprodukte, insb. Smartphones, und Autos.
Smartphones: Ausweichen auf "gut und günstig"
Bei Technikprodukten wie Smartphones etwa schauen sich aktuelle Samsung-Nutzer nun genauer um, vergleichen rational und schließen auch günstigere, chinesische Hersteller wie z.B. Huawei oder Xiaomi in Zukunft nicht mehr prinzipiell aus. Denn diese "bringen frischen Wind rein", "sehen gut aus" und bieten teils mehr Perfomance als die etablierten Marken. Während das Markenbild von Xiaomi derzeit noch sehr diffus ist, punktet Huawei mit Features wie "super Kamera", die bei den Probanden durch die Kooperation mit Leica für "gute Qualität" steht. Leica strahlt hier positiv auf die Marke Huawei ab. Auch wenn Huawei durch den "Trade Ban" bei Neugeräten aktuell keine Google Apps mehr verwenden darf und somit Wettbewerbsnachteile hat, können bislang unbekanntere, günstigere Marken durch technische Kompetenz punkten. Aus Probandensicht strahlt selbst die teils negativ besetzte 5G Technik Kompetenz aus – der Rest sei lediglich "Politik".
Darüber hinaus bieten diese "Newcomer" günstige Einstiegs-Smartphones, die teils schon für die Kinder in der Familie gekauft wurden und somit wurde ein wichtiger Zugang für Neukunden, nebst Mundpropaganda von Freunden, gelegt.
Auch Samsung selbst leistet einen Beitrag, dass seine aktuellen Nutzer andere Marken erwägen: Aus Probandensicht drehe Samsung die Preisspirale mit jedem neuen Modell nach oben, wolle Apple angreifen. Ein Hauptgrund für ein Samsung-Gerät war bei den aktuellen Nutzern hingegen ein gutes Preisleistungsverhältnis. Dieses steht nun zur Disposition. Mit dieser neuen Positionierung schafft Samsung zusätzlich Raum, in dem sich neue Marken platzieren können. Günstigere Anbieter aus China, die technisch als ebenbürtig angesehen werden, drängen in diese Lücke.
Für Marken aus dem unteren Preissegment bietet sich hier die Chance aufzusteigen, sofern Grundanforderungen erfüllt werden, u.a.:
- Günstiger als der Benchmark
- Ansprechendes Design
- Gute Haptik
- Hochwertige Kamera
- Regelmäßige Innovationen, wobei keine Innovationsführerschaft erwartet wird
Wenn eine günstige Marke darüber hinaus bestimmte Anforderungen erfüllt, kann der Kunde eine Loyalität zur neuen Marke entwickeln:
- Preisbeständigkeit: Smartphone der gleichen Kategorie darf nicht jedes Jahr teurer werden.
- Verlässlichkeit: "Smartphone darf nicht abstürzen."
- Gute Qualität, z.B. Akkuleistung, robustes Display
Autos: Vergleichen und verschieben, downgraden, oder bei Deals 'zuschlagen'
Mehr als beim Smartphone ist es beim Autokauf wichtig, dass die Käufer sich mit ihrer Marke identifizieren können. Die Marke soll den Lebensstil und auch die Position innerhalb der Gesellschaft ausdrücken. Volkswagen repräsentiert die Mittelschicht, zu der sich alle Befragten unserer Stichprobe zählen, auch diejenigen, die gerade am finanziellen Limit leben. Daher möchten aktuelle VW-Fahrer den Wechsel zu günstigen Marken vermeiden, denn das würde in ihrer Wahrnehmung den sozialen Abstieg sichtbar machen.
Daher wird die Marke von allen Probanden nach wie vor begehrt. Wer aktuell den Autokauf verschieben kann, tut dies. Andere weichen gerne auf Marken des Dachkonzerns wie Skoda und Seat aus. Damit müssen sie die Volkswagen-Welt nicht verlassen, treffen einfach eine "clevere Entscheidung", denn man "zahlt weniger für die gleiche Qualität" (Skoda) und "das schöne Design" (Seat).
Die aktuellen Fahrer der Marke Hyundai und Kia in dieser Stichprobe können sich selbst nicht mit der jeweiligen Marke identifizieren. Der Kauf war budgetgetrieben, eine Vernunftsentscheidung. Die Aussagen von aktuellen Nutzern, wie "Traumwagen ist was anderes" oder "für mehr hat es nicht gereicht", sind ernüchternd. Sie beschreiben ihr Fahrzeug als reines Fortbewegungsmittel. Die fehlende emotionale Bindung ans Fahrzeug wird teilweise durch Features wie Abbiegeassistent oder Regensensor, oder durch größere Fahrzeugklasse mit mehr Raumangebot ausgeglichen.
Ähnlich wie bei Smartphones können günstigere Automarken durch einen Blumenstrauß an Features punkten. Im Gegensatz zu Smartphones scheint die Kaufentscheidung unter günstigeren Automarken stärker von Deals getrieben zu sein. Von einer zukünftigen Markenloyalität ist bei günstigeren Automarken wie Hyundai oder Kia nicht auszugehen.
Fazit:
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Zugehörige der Mittelschicht, die aktuell spürbare finanzielle Einbußen haben, verschiedene Bewältigungsstrategien entwickeln: Käufe reduzieren, Marken und Produkte stärker vergleichen, nach Angeboten suchen, Käufe verschieben oder günstigere Marken erwägen. Je nach Produktkategorie ergeben sich für Marken Chancen und Risiken: Einerseits kann es neuen Marken gelingen, ihre Botschaften nun zu positionieren und somit aufzusteigen. Andererseits müssen etablierte Marken die Unsicherheit ihrer Zielgruppe erspüren und sinnvolle Antworten hierauf finden, um sie nicht an aufstrebende, aber günstigere Marken zu verlieren.
Über den Autor

Methodik
Erhebungsmethode | Tiefenpsychologische Interviews |
Befragte Zielgruppe | Deutsche Bevölkerung zw. 25-40J., Eigenes Netto-Einkommen <2500 EUR, HH Netto-Einkommen <4000, Aktuell von Corona-Maßnahmen betroffen, z.B. Kurzarbeit / Geschäftsschließungen; Zukunftsängste bestehen |
Wie wurde die Zielgruppe rekrutiert? | extern beauftragt N=6 und N=4 selbst telefonisch rekrutiert |
Stichprobengröße | N = 10 |
Feldzeit | Januar 2021 |
Land | Deutschland |
/mvw
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