Researchability - Verantwortung für Markt und Daten Erschlichene Haustürselfies

Bei der Betätigung von Klingelanlagen mit eingebauter Kamera fotografiert sich der Klingelnde ohne es zu merken selbst. Das Foto wird in der Klingelanlage gespeichert und der Hausherr kann es einsehen. Sind Klingelanlagen, die solche Selbstportraits erzwingen erlaubt?


Von Prof. Dr. Rolf Schwartmann

Selfies sind heutzutage an der Tagesordnung und viele mögen es, Bilder von sich zu schießen. Das geschieht immer öfter auch an Haustüren. In moderne Klingelanlagen sind knopfgroße Kameras integriert. Betätigt man sie, fotografiert man sich. Das Foto vom Klingelnden wird dann in der Anlage gespeichert und der Hausherr kann sehen, wer bei ihm geschellt hat. Er entscheidet darüber, ob das Foto gelöscht wird oder gespeichert bleibt und was er damit macht. Eine hübsche Segnung der Technik, denn schließlich kann nun vom potentiellen Einbrecher, der klingelt um zu testen, ob die Luft rein ist, über den Postboten bis zum Sankt Martins-Sänger niemand mehr klingeln, ohne dass sein Bild gespeichert wird. 

"Klingelblitzen" sind etwas anders als "Verkehrsblitzen"

Derartige Anlagen für unbemerkte Selbstportraits sind zunächst in verschiedener Hinsicht speziell. Es fängt damit an, dass der Fotografierende das Selfie nicht für sich schießt, sondern für den Besitzer der Klingelanlage, wobei der Fotografierende davon in der Regel noch nicht einmal etwas weiß. Es ist hier nicht so, wie bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung im Straßenverkehr, bei der man beim Fahren eine Kamera auslöst und ein Selfie macht. 

Beim Klingeln ist es erstens deshalb anders, weil man keinen Verstoß begangen hat, zu dessen Beweissicherung das Foto entsteht. Zweitens wird die Blitze an der Haustür nicht durch den Staat aufgestellt, sondern von einem Mitbürger. Damit rechnet man nicht. Drittens ist man beim Klingeln, anders als beim Auslösen einer Kamera im Starenkasten im Straßenverkehr, in der Regel unschuldig. Klingeln ist kein Fehlverhalten, sondern eine sozialadäquate Handlung. Sie ist in vielen Fällen auch vom Hauseigentümer erwünscht. Wie sollen Müllabfuhr und Postbote sich sonst bemerkbar machen? 

Ist es verboten Menschen zu veranlassen, sich unbemerkt zu fotografieren? – Recht am eigenen Bild

Ist es denn verboten Menschen zu fotografieren, die an der Haustür klingeln? Das kommt darauf an, ob sie in ihrem Recht am eigenen Bild betroffen sind. Relevant ist auch, ob man ein Foto veröffentlichen will. Geregelt ist das im Kunsturhebergesetz. Das macht das Verbreiten und Zur Schau stellen von Fotografien zum Schutz des Rechts am eigenen Bild der Abgelichteten von einer Einwilligung abhängig, wenn kein Erlaubnistatbestand vorliegt. Wer die Bundeskanzlerin fotografiert, wenn sie an der Tür klingelt, muss sie als Person der Zeitgeschichte nicht um Erlaubnis fragen. Wer seinen Postboten ablichtet aber schon. 

Die besondere Problematik des erschlichenen Selbstportraits 

Beim Klingelselfie ist es aber komplizierter. Es geht nämlich nicht darum, dass der Hausherr einen Klingelnden fotografiert. Dieser fotografiert sich beim Klingeln selber und das auch noch ohne es zu wissen und zu merken. 

Darf man Selbstbildnisse erschleichen?

Darf man denn einen anderen unbemerkt faktisch dazu zwingen, ein Foto von sich zu machen, um sich ein Bild von ihm zu erschleichen? Wegen des damit verbundenen Verstoßes gegen das Recht am eigenen Bild darf man das nur aus besonderem Grund. Die Rechtsprechung lässt etwa unautorisierte Fotos von Beteiligten eines Verkehrsunfalls zu, wenn das Interesse an der Aufklärung des Unfallherganges groß genug ist. Aber weder der Postbote noch die Müllabfuhr noch ein Klingelmäuschen kann man mit einem unvorhergesehenen Ereignis vergleichen, dessen Hergang zu Beweiszwecken dokumentiert werden müsste. 

Praktisch aber rechtlich problematisch 

„Selfieklingeln“ sind zwar praktisch aber rechtlich problematisch: Sie sind auch perfide, weil sie arglose Besucher faktisch zu Selbstbildnissen zwingen, von denen diese noch nicht einmal etwas ahnen. Dass sie von dem Rechtsverstoß nichts merken, mildert ihn nicht. Dass der Betreiber der Klingel und vielleicht auch deren Hersteller oft kein Unrechtsbewusstsein haben dürften, macht das Fotografieren auch nicht rechtmäßig. 

Ein Hinweis wäre fair

Zumindest schuldet man jedem, der klingelt, einen Hinweis: „Achtung, wer hier klingelt fotografiert sich.“ Dann kann der Gast entscheiden, wieder zu gehen und der Paketzusteller kann sich weigern zu klingeln und das Paket einfach vor die Tür stellen, oder es wieder mitnehmen. Er kann auch klopfen oder eine Maske aufsetzen. Das wäre fair. 

Zur Person:

Prof. Dr. Rolf Schwartmann ist seit 2006 Leiter der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht an der Fachhochschule Köln. Zwischen Promotion 1994 in Köln im Verfassungsrecht und Habilitation 2004 in Mainz mit einer völkerrechtlichen Arbeit war er Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Medien- und Datenschutzrecht. Er ist Vorsitzender der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit e.V. (GDD) und des Gesprächs- und Arbeitskreises Geistiges Eigentum (enGAGE!). www.medienrecht.fh-koeln.de

 

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