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Dr. Kai Adolphs, Kantar Erfolgreiches individuelles Pricing – Kunden verstehen und die richtige Strategie entwickeln

Preisstrategien sind langfristig erfolgreich, wenn sie den Kunden und seine Zahlungsbereitschaften in den Mittelpunkt der Überlegungen stellen. Hierzu bieten neue Technologien immer bessere Möglichkeiten, den Kunden individuelle Preisangebote zu machen. Allerdings ist nicht alles was technologisch möglich ist, auch sinnvoll. Für eine erfolgreiche Strategie zum individuellen Pricing sind wichtige Grundprinzipien zu berücksichtigen.
Kunden mit individuellen Preisen ansprechen
In den meisten Märkten sind die Zahlungsbereitschaften der Kunden heterogen verteilt, d. h. die Zahlungsbereitschaft für ein Produkt ist nicht bei allen Kunden gleich, sondern es gibt Kunden, die mehr bezahlen würden und andere weniger. Dies hat sich trotz der Zunahme an Preistransparenz nicht substanziell geändert.
Die Preisstrategie kennt verschiedene Konzepte, um unterschiedliche Zahlungsbereitschaften der Kunden auszunutzen. Viele der daraus resultierenden Preispraktiken kennen wir aus dem täglichen Leben. So führt bei Airlines ein ausgeklügeltes Revenue-Management dazu, dass die meisten Sitznachbarn im Flugzeug unterschiedliche Ticketpreise bezahlt haben. Ein weiteres Beispiel sind personalisierte Sales-Coupons, die einem persönlich per E-Mail/App zugestellt oder über Social-Media angezeigt werden. Häufig gibt es auf Handelsplattformen spezielle Mitglieder- oder Stammkundenpreise, die man nur zu sehen bekommt, wenn man sich auch eingeloggt hat.
Diese Preispraktiken begründen sich in Strategien, die unter den Begriffen dynamisches Pricing, Preisdiskriminierung und individuelles Pricing bekannt sind.
- Beim dynamischen Pricing erfolgen Preisanpassungen im Abgleich von Angebot und Nachfrage in bestimmten Zeitintervallen – von mehrmals täglich bis saisonal ist da alles möglich. Zum jeweiligen Zeitpunkt sehen alle Kunden den gleichen Preis.
- Bei der Preisdiskriminierung verlangen Anbieter von unterschiedlichen Kunden für ein identisches Produkt unterschiedliche Preise. Im Falle von vertriebskanalspezifischen Preisen – z.B. Online-Handel vs. stationärer Handel – sehen alle Kunden, die einen bestimmten Kanal gewählt haben, den gleichen Preis.
- Individuelles Pricing ist ein neueres Konzept, bei dem das Kundenverständnis in den Mittelpunkt rückt und der Anbieter versucht, jedem Kunden abhängig von Charakteristika, Zahlungsbereitschaft und Verhalten ein individuelles Preisangebot zu machen.
Für individuelles Pricing sind umfassende Daten über die Kunden erforderlich, die zudem Realtime verarbeitet werden müssen, um Kunden während des Kaufprozesses zu identifizieren und automatische Preismechanismen zur Anwendung bringen zu können.
Die technologischen Entwicklungen der letzten Jahre haben genau dies ermöglicht. Heute werden nicht nur gigantische Datenmengen über Kunden gesammelt – oft aus unterschiedlichen Quellen auch zusammengespielt – sondern moderne Data Management Plattformen, Big Data Analytics und Künstliche Intelligenz ermöglichen es Anbietern, die Kunden umfassend zu profilieren und auch individuell anzusprechen.
Diese individuelle Kundenansprache ist in der Marketingkommunikation schon seit längerer Zeit gängige Praxis. Aber auch das Preismanagement entdeckt zunehmend die Möglichkeiten, den Kunden Preisangebote zu machen, die sich am jeweiligen Kundenprofil orientieren. Hierzu gibt es auch eine Vielzahl von IT-Lösungen, die sich z. B. in die E-Commerce-Plattformen integrieren lassen.
Individualisierte Preise aus Kundensicht
Wie wird individuelles Pricing wahrgenommen und wollen die Kunden überhaupt individuelle Preise? Die Europäische Union hat 2018 eine große Marktforschungsstudie mit mehr als 20.000 Befragten zum Thema individuelles Pricing durchgeführt – mit interessanten Ergebnissen:
- Etwas mehr als 40 Prozent der Befragten kennen das Konzept des individuellen Pricing, weitere 18 Prozent haben zumindest davon gehört. Fast 30 Prozent haben aber keine Kenntnis des Konzepts. Es gibt also eine Vielzahl von Kunden, die beim Besuch eines Onlineangebots nicht davon ausgehen, dass ein individueller Preis angezeigt wird.
- Die allermeisten Befragten sehen im Konzept die Vorteile auch eher auf der Anbieterseite. Lediglich acht Prozent der Befragten sehen in dem Konzept primär Vorteile für sich selbst.
- Eine Vielzahl von Befragten steht dem Konzept des individuellen Pricing kritisch gegenüber. Die Mehrzahl der genannten Bedenken lässt sich thematisch in die Blöcke Vertrauensrisiko und Preisfairness-Risiko clustern. Beim Vertrauensrisiko geht es den Befragten um den Umgang mit den Daten – welche Daten werden erhoben? Was passiert mit den Daten? Beim Preisfairness-Risiko befürchten die Befragten, dass sie durch das Konzept des individuellen Pricing letztendlich zu viel bezahlen – also die Produkte und Dienstleistungen teurer angeboten bekommen als sonst üblich.
Die Wahrnehmungsprobleme, eine eher negative Einstellung und die Bedenken der Kunden gegenüber dem individuellen Pricing, sind wichtige Themen, auf die eine Preisstrategie Antworten finden muss, wenn sie denn langfristig erfolgreich sein soll.
Ungeachtet der enormen technologischen Möglichkeiten zur individuellen Kundenansprache ist davon auszugehen, dass auch im digitalen Zeitalter wichtige Marketinggrundprinzipien weiterhin gültig bleiben. Insofern bleibt die Schaffung einer loyalen Kundenbasis auch davon abhängig, dass die Kunden Vertrauen in den Anbieter entwickeln oder schon haben und die erhaltenen Preisangebote – auch nach dem Kauf – als fair empfinden.
Die Kernfrage ist daher: Wie können Anbieter eine geeignete Strategie zum individuellen Pricing entwickeln und implementieren, um die unterschiedlichen Zahlungsbereitschaften im Markt für mehr Wachstum oder höhere Profitabilität zu nutzen? Sie müssen eine Strategie finden, die gleichzeitig nachhaltig auf das Kundenvertrauen einzahlt und von den Kunden als fair wahrgenommen wird.
Grundprinzipien für individuelles Pricing
Eine leistungsfähige IT-Infrastruktur und geeignete Data Management Plattformen sind notwendig, um eine Strategie des individuellen Pricing zu implementieren und effizient mit automatisierten Preisfestlegungen zu betreiben.
Diese Technologien allein – wie eingangs beschrieben – sind jedoch noch nicht hinreichend, um individuelles Pricing auch erfolgreich zu machen. Anbieter müssen gleichermaßen auch Einstellungen, Bedürfnisse und Kundenverhalten berücksichtigen.
Vier Grundprinzipen definieren den Rahmen für eine kundenzentrierte individuelle Pricing-Strategie:
1. Kundenvertrauen monitoren und managen
Kundenvertrauen ist eine wichtige Voraussetzung, um langfristig eine loyale Kundenbasis zu schaffen. Dieses Vertrauen muss ein Anbieter kontinuierlich tracken und aktiv managen, um Vertrauensproblemen frühzeitig entgegenzusteuern. Vertrauen lässt sich durch Transparenz über die Sammlung, Nutzung und den Schutz der Kundendaten sammeln. Dies ist wichtig, da Kunden beim individuellen Pricing bezüglich der Kundendaten besonders kritisch sind.
2. Business Cases quantifizieren
Individuelles Pricing soll zu mehr Umsätzen und/oder zu besserer Profitabilität führen. Dies setzt aber voraus, dass ein Anbieter die Zahlungsbereitschaften der Kunden möglichst genau kennt – idealerweise für jedes angebotene Produkt. An dieser Stelle hilft Marktforschung, die Zahlungsbereitschaften der Kunden zu verstehen und zu quantifizieren, für jedes Produkt geeignete Preisranges (z.B. Minimum-Preise, die nicht unterschritten werden dürfen und Maximum-Preise, die noch als fair empfunden werden und mit der angestrebten Positionierung und dem Markenimage vereinbar sind) festzulegen, und auf Basis der Daten erfolgversprechende Umsatz/Profit-Simulationen durchzuführen.
3. Grad der Individualisierung bestimmen
Kunden sehen individuelle Preise kritischer als Segmentpreise. Insofern kann es sinnvoll sein, den Grad der Preisindividualisierung abhängig von Produkt und Markt zu reduzieren. Je geringer jedoch die Individualisierung, desto schwieriger wird es für den Anbieter sein, sein Pricing bestmöglich an die Zahlungsbereitschaften der Kunden auszurichten. Ein guter Trade-off sind sogenannte Mikrosegmente, hier wird nicht jeder Kunde individuell angesprochen, sondern das Pricing erfolgt für möglichst kleine Segmente an Kunden, die sich vom Profil her und in ihrer Zahlungsbereitschaft ähnlich verhalten. Im Markt existieren diverse Ansätze, oft in Kombination mit Panel-Daten, mit denen sich durch geeignete Analytics ein fortschrittliches Micro-Targeting-Konzept für das Preismanagement aufsetzen lässt.
4. Kunden einbeziehen
Kundenvertrauen und wahrgenommene Preisfairness lässt sich durch Transparenz darüber steigern, wie die individuelle Preisbestimmung für den Kunden funktioniert und was die qualifizierenden Kriterien sind, damit jemand einen besseren Preis erhält. Es führt bei den Kunden zu einer deutlichen Akzeptanzsteigerung, wenn sie verstehen, das andere Kunden eventuell einen anderen (besseren) Preis erhalten haben, weil sie bestimmte Kriterien erfüllen, z.B. Loyalitätsrabatte.
Quellen: OECD, Consumer survey about personalised pricing in the EU, 2018, (n=21734)
Über den Autor:

Kai Adolphs ist bei Kantar als Domain Expert für die strategische Ausrichtung und das Business Development des Beratungsfelds Pricing verantwortlich. Er startete bei Kantar im Jahre 2006 und ist seitdem dort in zahlreichen Führungspositionen tätig. Zuvor arbeitete er beim Automobilhersteller smart GmbH (Daimler Group) in Böblingen in der Marketingstrategie. Kai Adolphs ist Diplom-Wirtschaftsingenieur in der Fachrichtung Maschinenbau und hält einen Doktortitel (Dr. rer. pol.) im Bereich Marketing.
/jvdm
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