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Interview mit Sven Gábor Jánszky, 2b AHEAD ThinkTank "Erfolgreiche Unternehmer haben allesamt die Grundregeln ihres Marktes analysiert und gebrochen"

marktforschung.dossier: Herr Jánszky, in Ihren Vorträgen und Veröffentlichungen beschäftigen Sie sich mit den Lebens-, Arbeits- und Konsumwelten der Zukunft. Können Sie uns aktuelle Entwicklungen nennen, die Sie im Moment für wichtig halten?
Sven Gábor Jánszky: Der wichtigste Trend, der unsere Lebenswelten und die Geschäftsmodelle der Unternehmen verändert, ist nach wie vor die Digitalisierung. Elektronische Assistenten werden den Menschen in den kommenden Jahren bessere Antworten geben, als es Menschen können. Auf diese Weise werden die Menschen den Maschinen Schritt für Schritt mehr vertrauen als anderen Menschen. Dabei beziehen die Geräte künftig in ihre smarte Prognostik nicht nur heutige Daten ein, sondern verstehen und analysieren zugleich menschliche Emotionen und wenig später auch unausgesprochene Gedanken. Die Prototypen dieser Geräte sieht man heute schon in den Laboren.
Ein zweiter wesentlicher Trend ist unser Streben nach einer immer weitergehenden Optimierung des menschlichen Körpers. Dies führt über die kommenden 20 Jahre zu einer Ersatzteilproduktion menschlicher Organe von Hüften über Sehnen bis hin zu Herzen, aber auch zu Implantaten die von außen gesteuert werden können. Auch hier sind Beispiele schon im Einsatz. Im alltäglichen Leben wird sich der Trend zum Body-Enhancement ganz normal anfühlen: Morgens bekommen Sie von einem elektronischen Gesundheitsassistenten gesagt, dass Sie heute zu 23% krank sind. Sie haben also eine Abweichung vom Normalzustand des Körpers von 23%. Zugleich empfiehlt das Gerät, heute dieses und jenes Nahrungsmittel zu essen, damit Sie morgen nur noch zu 19% krank sind. Die große Frage ist: Wer macht das Geschäft damit? Weiterhin die Ärzte. Apotheken oder Pharmas? Oder sind es die großen Foodkonzerne? Die jedenfalls investieren gerade viele Millionen das sogenannte „medical food“?
Und der dritte Trend, insbesondere für Deutschland, sind die Auswirkungen der demografischen Entwicklung auf den Arbeitsmarkt. Wir gehen in eine Phase der Vollbeschäftigung, die für die Unternehmen zu katastrophalen Zuständen führt. Ich habe das gerade in meinem neuen Buch „2025 – So arbeiten wir in der Zukunft“ beschrieben. Dies würde hier zu weit führen. Aber gehen Sie davon aus, dass unsere durchschnittliche Lebenserwartung um 2025 bei 90 Jahren liegt und dass auch Sie sich persönlich die Frage beantworten müssen, was Sie im Alter zwischen 60 und 90 Jahren tun? Unsere Prognose: Die Menschen werden bis 75 arbeiten wollen! Zum Glück!
marktforschung.dossier: Mit welchen Methoden erforschen Sie solche Trends?
Sven Gábor Jánszky: Die Zukunftsforscher arbeiten nach den Methoden der qualitativen Sozialforschung. Unsere Ergebnisse basieren also auf den Aussagen eines kleinen Kreises von Experten für die jeweilige Fragestellung. Für Zukunftsprognosen sind die klassischen Methoden nochmals verfeinert und mit Prognoseschleifen versehen worden. Die beiden gebräuchlichsten Methoden sind die Delphi-Methode und die Szenariotechnik.
marktforschung.dossier: Wird die Forschung intern bei Ihnen durchgeführt oder arbeiten Sie auch mit externen Dienstleistern zusammen?
Sven Gábor Jánszky: Die meisten Studien erstellen wir bei uns im Haus. Die Zusammenarbeit mit externen Trendforschern hält sich in engen Grenzen. Dies hat einen wichtigen Grund: Die Qualität der Aussagen von qualitativen Zukunftsstudien ist stark abhängig von der Qualität der Expertenaussagen. Ich kenne viele Studien im Markt, die zu skurrilen Aussagen kommen, weil sie angebliche Experten befragen, die das Thema allenfalls aus dritter Hand kennen. Manche Forscher versuchen dieses Problem zu lösen, indem sie möglichst viele Experten aus dritter Hand befragen. Und je mehr sie auf diese Weise eine angebliche Validität herstellen, desto skurriler werden die Ergebnisse.
Aus diesem Grund ist die wichtigste Basis für die Qualität unserer Studien unser Expertennetzwerk. Seit bereits zwölf Jahren pflegen wir direkte Kontakte zu den Technologie-, Innovations- und Strategie-Chefs der marktprägenden Unternehmen aller Branchen in der deutschen Wirtschaft. Wir veranstalten Zukunftskongresse und verschiedene Events, um den Kontakt und das Vertrauen dieser Personen zu erhalten. Denn eine Zukunftsstudie bringt nur sinnvolle Ergebnisse, wenn sie auf den Aussagen derjenigen Personen beruht, die selbst die Entscheidungen über Millionen-Investitionen in Technologien und Trends treffen und die selbst über ihre Roadmap und ihre Erwartungen berichten.
marktforschung.dossier: Spielt Marktforschung bei Ihnen eine Rolle?
Sven Gábor Jánszky: Marktforschung und Trendforschung sind sich einerseits recht nahe, andererseits recht fern. Die Nähe entsteht durch die Nachfrage unserer Unternehmenskunden nach Prognosen über die Bedürfnisse der Konsumenten sowie die Produkte und Geschäftsmodelle der Zukunft. Sowohl Marktforschung als auch Trendforschung versprechen dies und sprechen also mit den gleichen Auftraggebern. Und dennoch gibt es einen großen Unterschied: Trendforscher sind qualitative Forscher während Marktforscher üblicherweise quantitative Methoden nutzen. Wenn Sie aber mit quantitativen Methoden auf die Straße gehen und tausenden Menschen die Frage stellen, ob Maschinen künftig die menschlichen Emotionen verstehen können … dann erhalten Sie einen bunten Strauß an sinnlosen Antworten. Daraus können Sie dann eine Prozentzahl berechnen, die aber fernab einer realistischen Prognose liegt. Dasselbe sinnlose Ergebnis erhalten Sie übrigens, wenn Sie möglichst viele Professoren zu dieser Frage befragen. Die bessere Prognose, die dem nahekommt, was tatsächlich in den kommenden Jahren geschehen wird, erhalten Sie hingegen, wenn Sie eine kleine Gruppe von Innovations-Chefs der marktprägenden Elektronikhersteller über deren Investitionsentscheidungen und Roadmaps befragen. Dies tun Zukunftsforscher, wenn sie ihre Arbeit richtig machen.
marktforschung.dossier: Sie haben die Rulebreaker-Agentur für disruptive Innovationen gegründet. Was verstehen Sie darunter?
Sven Gábor Jánszky: Ich habe vor 3 Jahren für ein Buchprojekt die zehn größten Markteroberer in Deutschland in verschiedenen Branchen gesucht. Ich habe sie erst beobachtet, später mit ihnen gesprochen und ihre Geschichte aufgeschrieben. Dabei ist mir ein Muster aufgefallen, dass alle diese erfolgreichen Unternehmer eint: Sie haben allesamt die Grundregeln ihres Marktes analysiert und gebrochen. Sie verhalten sich exakt entgegengesetzt zu allen anderen Marktteilnehmern. Das bringt wenig Freunde. Zwei meiner zehn Protagonisten haben echte Morddrohungen erhalten, drei weitere waren zwischendurch Pleite. Aber sie alle haben eine Konsequenz, die sie die eigenen Regeln brechen und ihre neuen Regeln in die Welt bringen lässt. Deshalb habe ich das Buch genannt: „Rulebreaker – Wie Menschen denken, deren Ideen die Welt verändern.“
Die Wahrheit hinter diesen Geschichten ist: Wenn Sie sich in Ihrer Welt umschauen, dann sind die meisten Dinge durch Regelbrüche entstanden, vom PostIT über ihre Computertastatur bis zu den Billigfliegern von RyanAir. Wer mit seinem Unternehmen als wirklich innovativ sein will, der muss lernen, sein eigenes Geschäftsmodell anzugreifen. Dafür gibt es Strategien und Methoden, mit denen wir unseren Kunden beim innovieren helfen. Der Markt für die Rulebreaker-Agentur ist riesig.
marktforschung.dossier: Denken Sie, dass Innovationen technologiegetrieben sind oder eher einen soziologisch-gesellschaftlichen Ursprung haben?
Sven Gábor Jánszky: Die meisten Innovationen sind technologiegetrieben. Da muss man nicht romantisch sein. Innovationen kommen nicht in die Welt, weil sie die Welt besser machen oder weil jemand sich das gewünscht hat. Die meisten Innovationen entstehen, weil der Leidensdruck auf ein Unternehmen so groß geworden ist, dass es sich bewegen muss. Ein kleinerer Teil der Innovationen entsteht durch Personen, die in der Veränderung eine Chance sehen, sich neue Märkte zu erobern. Sowohl der Leidensdruck als auch die Chancen entstehen in den meisten Fällen durch neue Technologien. Nur in ganz wenigen Fällen gibt es gesellschaftliche oder politische Gründe für Innovationen. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Auch diese gibt es! Beispiele dafür sind etwa der Atomausstieg oder die aufziehende Fachkräftekatastrophe durch die demografische Entwicklung. Doch diese soziologisch-gesellschaftlichen Innovationen lassen sich an einer Hand abzählen, hingegen gehen die technologiegetriebenen Innovationen täglich in die hunderte.
marktforschung.dossier: Ihr Unternehmen bringt in einem Netzwerk Innovations-Chefs der deutschen und europäischen Wirtschaft zusammen und analysiert deren Investitions- und Innovationsstrategien. Gibt es allgemein gütige Erkenntnisse für erfolgreiche Innovationen, die Sie daraus ableiten können?
Sven Gábor Jánszky: Zunächst sind das Netzwerk und der direkte Kontakt zu diesen Personen unsere Basis für eine seriöse Zukunftsforschung. Aber natürlich beschäftigen wir uns auch mit der Frage, wie Innovation entsteht, welche der mehreren hundert Innovationsmethoden gut wirken und welche nicht. Leider gibt es kein Patentrezept. Innovation geht in jedem Unternehmen einen anderen Weg. Sie ist sehr abhängig von der Unternehmenskultur, von den Entscheidungswegen und den Motivationsanreizen im Unternehmen. Wesentlich dabei ist zu verstehen, dass der Begriff „Innovation“ oft bereits in die Irre führt. Es gibt nicht DIE Innovation. Es gibt sehr verschiedene Arten von Innovation, schwache Innovationsarten wie etwa Facelifts oder Improvements von Produkten und sehr starke Innovationsarten wie Vision oder Mission Changes. Alle diese Innovationsarten fordern ihre eigenen Methoden und haben jeweils Vor- und Nachteile. Dies muss man wissen, bevor man sein begrenztes Budget in die falsche Richtung investiert.
Derzeit gibt es in den Unternehmen eine Orientierung hin zu stärkeren Innovationsarten. Zahlreiche größere Unternehmen gründen derzeit eigene interne Inkubatoren. Hier setzen sie StartUp-Teams auf eine neue Geschäftsmodell-Idee, versorgen sie mit einem Grundbudget und schicken sie mit dem Auftrag los, das eigene Geschäftsmodell anzugreifen. Dies ist aus meiner Sicht eine sehr positive Entwicklung. Schon seit vielen Jahren mahnen wir immer an, dass die Unternehmen sich mehr auf disruptive Innovationen fokussieren sollen. Inzwischen wird vielerorts an dieser „Corporate Rulebreaker Strategy“ gearbeitet. Das halte ich für ein gutes Zeichen.
marktforschung.dossier: Wie sind Sie als Journalist in der Trendforschung gelandet und was fasziniert Sie daran?
Sven Gábor Jánszky: Ich war mit Leib und Seele Journalist, und fühle auch heute noch so. Doch mich hat immer gestört, dass man als Journalist über die interessanten Ereignisse und die interessanten Persönlichkeiten nur im Nachhinein berichtet. Man ist fortwährend Beobachter aber nie direkter Akteur, wenn die Welt sich verändert. Dies ist nun anders. Als Trendforscher bin ich auf der einen Seite ein Wissenschaftler, der wissenschaftliche Studien erarbeitet. Auf der anderen Seite bin ich aber auch Unternehmensberater, der mit den Ergebnissen dieser Studien in die Unternehmen geht und diesen hilft, ihre Zukunftsprodukte und Zukunftsstrategien zu entwickeln. Als Trendforscher bin ich direkt dabei, wenn Zukunft geschaffen wird. Das ist für mich eine der höchsten Arten von Lebensqualität.
marktforschung.dossier: Herr Jánszky, herzlichen Dank für das interessante Gespräch!
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