Interview "Entscheidungen müssen auf der Grundlage einer ganzheitlichen Sichtweise der Kunden getroffen werden"

dunnhumby, ein weltweit agierender Anbieter im Bereich Customer Data Science, wirft dem Einzelhandel Versäumnisse vor. Ob die nachlässige Vermarktung von Werbeflächen oder der suboptimale Einsatz von Gutscheinen, die Datenanalysten sehen viel ungenutztes Potenzial. Wir sprachen darüber mit Jérôme Cochet von Global MD dunnhumby media.

Jérôme Cochet, Global MD dunnhumby media

marktforschung.de: Herr Cochet, Sie haben in einer Meldung neulich den neuen 'Revenue Calculator' von dunnhumby vorgestellt. Ein Tool, mit dem Retailer – ich zitiere – "den potenziellen Umsatz durch eine optimale Retail-Media-Strategie berechnen lassen können." So einfach ist das also, ein schickes Tool mit Daten füttern und schon habe ich wieder Erfolg mit meinem Laden?

Jérôme Cochet: In der heutigen Welt wird das klassische Einzelhandelsmodell von drei Seiten angegriffen: Discounter, die immer mehr Marktanteile gewinnen, digitale Disruptoren, die in den Markt eintreten und steigende Kosten für die Kundenbetreuung. Für den Erfolg müssen Medienunternehmen kundenorientiert arbeiten, um eine hohe Kundenzufriedenheit zu generieren, die im Einklang mit dem eigenen Kerngeschäft steht. Einzelhändler müssen die richtige Marketingstrategie für ihr Unternehmen entwickeln und die richtigen Vorschläge entwerfen, um ihren Kunden eine überzeugende Customer Journey zu liefern. Wir haben ein Betriebsmodell entwickelt, das sie beim Aufbau einer erfolgreichen Medienpräsenz unterstützt, in dessen Mittelpunkt der Kunde steht.

Der Media Revenue Calculator soll Einzelhändlern dabei helfen, das potenzielle Einkommen - und damit den ROI ihrer Marketingkampagnen - zu berechnen. Somit können sie zusätzliche Einnahmequellen erschließen und gleichzeitig Geld bei den Marketingkosten sparen. Ganz so einfach ist es also nicht. Die Ergebnisse, die der Calculator liefert, müssen Unternehmen in ihre Marketingstrategien und -kampagnen implementieren. Unsere Aufgabe ist es, Einzelhändler auf diesem Weg zu beraten und ihr Medienpotenzial zu bewerten. Darüber hinaus ermitteln wir die Bereitschaft zu einem Medienmonetarisierungsmodell. 

marktforschung.de: Noch ein Zitat aus der Meldung: "Nur wenige Einzelhändler übernehmen die Rolle des Publishers". Ich stelle mir jetzt einmal vor, wie ein familiengeführter Schuhladen darauf reagieren soll, dessen Umsätze in großen Teilen Amazon und Zalando übernommen haben. Was genau werfen Sie dem vor?

Jérôme Cochet: Wir versuchen, diesen Unternehmen zu helfen, zu verstehen, wie solche neuen Akteure ihre Geschäftsmodelle aufbauen. Wir schaffen Umsatz- und Gewinnströme außerhalb ihres Kerngeschäfts im Einzelhandel, wie zum Beispiel über Daten- und Mediendienste. Es wird schwer sein, mit den reinen Online-Händlern zu konkurrieren, wenn diese kleineren Einzelhändler nicht in Betracht ziehen, auch diese zusätzlichen Mittel zu nutzen. 

marktforschung.de: Sie sagen ja, dass die Einzelhändler Umsätze verschenken, also links liegen lassen. Wie haben Sie diese nicht gemachten Umsätze errechnet?

Jérôme Cochet: Dies bezieht sich auf den Media Calculator, mit dem wir den Einzelhändlern helfen, die Größe ihres potenziellen Mediengeschäfts zu ermitteln. Die Berechnung des potenziellen Wertes basiert auf einigen Faktoren, z.B. wie organisiert ihre Kundendaten sind, wie viel digitalen Traffic sie haben und welcher Anteil ihrer Umsätze von Eigenmarken stammt. Ein kundenorientierter Ansatz für Einzelhandelsmedien ermöglicht es Einzelhändlern, nicht nur Geld durch neue Einnahmequellen zu finden oder zu sparen, indem sie ihre Marketingbudgets outsourcen, sondern auch mehr Geld zu verdienen, indem sie eine Umsatzsteigerung auf vergleichbarer Basis erzielen. Letzteres wird durch entsprechende Kommunikation mit den Kunden erreicht, die das Engagement und schließlich auch die Aktivierung fördert. Die erreichten Kunden haben größere Warenkörbe und kommen öfter zurück. 

marktforschung.de: Wenn Sie sagen, dass zum Beispiel auch Gutscheine oder In-Store-Aktionen helfen können, dann sind das ja nicht gerade neue Vorschläge. Der Einzelhandel unterscheidet sich ja vom Online-Händler vor allem darin, dass er eine persönliche Beratung anbietet. Und dass das lästige Zurückschicken von Paketen mit zu kleiner oder zu großer Bekleidung entfällt, weil man vor Ort anprobieren kann. Wie kann der Händler Ihrer Meinung nach diese Vorteile noch besser kommunizieren und so zusätzliche Umsätze machen? 

Jérôme Cochet: Viele dieser Mechanismen sind nicht neu, das ist richtig. Aber viele Kommunikationspläne sind noch immer nicht personalisiert und kundenorientiert. Die Beispiele, die Sie geben, sind gut, sie sind Teil einer Reihe von Kundenbedürfnissen, die die Grundlage jeder guten Kundenkommunikationsplanung sein sollten. In erster Linie muss man die Bedürfnisse der Kunden verstehen, darauf gestützt einen passenden Kommunikationsplan entwickeln und das Ganze im besten Fall mithilfe von Customer Data und Datenanalyse-Tools unterstützen. Hier einige Beispiele, auf welche Weise Einzelhändler auf die Bedürfnisse ihrer Kunden eingehen können:

  • Schaffen Sie eine persönliche Umgebung mit individuellen Werbeansprachen und Deals.
  • Bilden Sie eine personalisierte und zugleich informative Kommunikationsebene, aus der Sie Erkenntnisse für ihre Produkte oder Dienstleistungen gewinnen können.
  • Halten Sie Ihre Kunden über die für sie relevanten Produkte und Dienste auf dem Laufenden. 

marktforschung.de: Sie schlagen auch vor, Erkenntnisse aus Online- und Store-Verkäufen besser zu verbinden. Was verstehen Sie darunter? 

Jérôme Cochet: Im Einzelhandel finden immer noch viele Verkäufe in Geschäften statt. Jedoch werden die Kunden immer digitaler - sei es durch Recherchen, das bloße Surfen im Internet oder durch schnelle Einkäufe und Buchungen. Viele digitale Lösungen für Einzelhändler sind nur auf digitale Interaktionen und Transaktionen ausgelegt. Einzelhändlern, bei denen 95 Prozent ihres Umsatzes über den stationären Handel erzielt werden, fehlen demnach große Teile der Daten, woraufhin mit großer Wahrscheinlichkeit unrichtige Annahmen getroffen werden, die auf einer lediglich partiellen Betrachtung der Kunden basieren. Der Schlüssel dazu ist es, die Interaktionen ihrer Kunden zu verstehen und die Kundendaten zusammenzuführen, damit ihr Business Case Entscheidungen auf der Grundlage einer ganzheitlichen Sichtweise ihrer Kunden treffen kann.

marktforschung.de: Es gibt weltweit Probleme im Einzelhandel, gerade auch in den USA gehen immer mehr Shopping-Malls pleite. Es gibt für die Dead Malls sogar eine Internetseite. Wie sieht dunnhumby als internationales Unternehmen diese globale Entwicklung? Gibt es Länder, die beim Thema Einzelhandel wieder die Wende nach oben geschafft haben? Und wenn ja, wie?

Jérôme Cochet: Es gibt hier keine einheitliche, einfache Antwort auf diese Frage. Allerdings sind wir uns einig darüber, dass es insgesamt Probleme im Einzelhandel gibt. Sicherlich existieren Herausforderungen für einige Einzelhandelsformate, wie Einkaufszentren und Big-Box-Supermärkte, aber der Discount- und Convenience-Einzelhandel floriert, der Online-Einzelhandel wächst und traditionelle, kundenorientierte Einzelhändler behaupten sich erfolgreich. Der Einzelhandel verändert sich - hat sich verändert - weil sich die Kundenbedürfnisse verändert haben. Wir treten in das ein, was wir als die Vierte Ära des Einzelhandels seit dem Zweiten Weltkrieg betrachten. Die erste Ära legte den Fokus auf die Marke. Während der zweiten Ära stand die Warenkategorie im Zentrum. Die dritte Ära begann mit Kundenkarten, womit das Interesse am Kunden selbst wichtiger wurde. Diese vierte Ära rückt das Interesse des Kunden völlig in den Mittelpunkt, also "Customer first".

Weltweit bewegt sich der Trend in Richtung "häufigere Einkäufe mit kleineren Warenkörben", da die Kunden "Bequemlichkeit" mit nachhaltigerem Einkaufen von frischeren Waren und weniger Verschwendung verbinden. Die Kunden wünschen sich ein einfacheres, weniger verwirrendes Einkaufserlebnis, was zum Wachstum von Geschäften mit begrenzten, kuratierten Produktangeboten beiträgt. Seit der globalen Rezession vor einem Jahrzehnt, die das Wachstum von Discountern und Warenhäusern auslöste, sind die Käufer viel stärker auf den "Wert" fokussiert. Ja, die USA sind überfüllt mit Geschäften. Einkaufszentren und Hypermärkte sind wahrscheinlich zu groß für diese aktuelle Generation von Käufern, die einfachere Einkaufserfahrungen und bessere Preis-Leistungs-Verhältnisse verlangen. Und es gibt Betreiber, die in diesem Umfeld gewinnen, wie Aldi und Lidl, Walmart und Costco. Tesco wächst wieder, ebenso wie andere traditionelle Lebensmittelhändler, die Customer Data Science nutzen, um die sich verändernden Bedürfnisse der Käufer zu verstehen und mit diesen Erkenntnissen die Customer Experience ihrer Kunden verbessern zu können.

marktforschung.de: Vielen Dank für das Gespräch! 

Das Interview führte Tilman Strobel

 

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