Martins Menetekel Entgleitet uns die Kontrolle?

Letzte Woche gab es die erste Alarmmeldung, dass die Fallzahlen höher gestiegen sind als die Fallzahlen in der ersten Welle von März bis Mitte Juni. Diese Woche wurden alle Rekorde gebrochen. Am anschaulichsten sieht man es an der Grafik der tatsächlichen und der geglätteten Tageszuwächse:
Wenn wir uns die rote Linie ansehen, so fällt auf, dass sie nach dem ersten Buckel Mitte Juni (Tönnies, Lockerungen) wieder nach unten verläuft, fast parallel zur Linie vor dem 10. Juni. Da regiert wieder Verhulst, die Limitierungsmaßnahmen wirkten. Dasselbe gilt für die Zeit Mitte August bis Anfang September. Ab Mitte September bis jetzt schießen die Fallzahlen an die Decke. Da läuft etwas gewaltig schief!
Verhulst-Lösungen zur Approximation kennen nur das mehr oder weniger steile S als Bild der Kurve, aber keine Kaskaden.
Folgende Lösung bietet sich an:
Wir stellen die Zuwächse ab Mitte September durch M’(t) dar. Diese Zuwächse sind unabhängig von der Lage der Kaskade. Mit M(t) ist auch jede Funktion M(t) + D Stammfunktion von M’(t). Die Integrationskonstante D dient zum Anflanschen des M(t) an die reellen Fallzahlen.
Dazu benötigt man noch einige Tage, um eine brauchbare Annäherung zu bekommen. Falls es eine Exponentialfunktion ist, und so sieht es derzeit aus, ist keine neue Schranke S bestimmbar. Um eine Schranke S zu bestimmen, muss sicher sein, dass eine Verhulstkurve eine bessere Annäherung ist als eine Exponentialfunktion. Der Wendepunkt der Fallzahlen ist das Maximum der Zuwächse M’ und die Nullstelle von M’’. M''(t) zeigt noch steil nach oben, wir sind weit vor dem Wendepunkt der Fallzahlen oder dem Maximum der Zuwächse.
Man denke daran, dass mit sehr großem S und noch kleinem N(t) die Differentialgleichung nach Verhulst
M’(t) = kM(t)*(1-M(t)/S) annähernd durch M’(t) = kM(t) ersetzt werden kann, da M(t)/S sehr klein ist und damit 1 - M(t)/S = 1 ist.
Verhulst zeigt sich, wenn man sich in der Nähe des Wendepunktes befindet, wie ich früher dargelegt habe. Habe ich den Teil von Mitte September durch D + M(t) dargestellt und ist am Tag T der Wendepunkt von N(t), so kann ich S abschätzen. Es geht prinzipiell auch etwas früher, aber mit einer größeren Ungenauigkeit. M’’(t) wächst seit Anfang Oktober praktisch auch exponentiell.
Eine Tabelle zeigt die neuesten Fallzahlen ab dem 12. Oktober:
12.10. | Mo | 221 | 330.598 | 5.704 | 331.635 | 5.060 |
13.10. | Di | 222 | 334.011 | 3.413 | 336.665 | 5.030 |
14.10. | Mi | 223 | 341.695 | 7.684 | 342.093 | 5.429 |
15.10. | Do | 224 | 348.379 | 6.684 | 348.023 | 5.930 |
16.10. | Fr | 225 | 355.275 | 6.896 | 354.100 | 6.077 |
17.10 | Sa | 226 | 359.802 | 4.527 | 360.764 | 6.664 |
18.10. | So | 227 | 366.404 | 6.602 | 367.839 | 7.075 |
19.10. | Mo | 228 | 373.135 | 6.731 | 375.723 | 7.884 |
20.10. | Di | 229 | 380.658 | 7.523 | 382.997 | 8.753 |
21.10. | Mi | 230 | 391.221 | 10.563 | 391.815 | 10.143 |
22.10. | Do | 231 | 403.565 | 12.344 | 403.565 | 12.344 |
In der vierten Spalte sind die von der Johns Hopkins University gemeldeten Fallzahlen, danach kommen die täglichen Zuwächse, dann eine 7-5-3-1-Tagesglättung. Die letzte Spalte sind die geglätteten Zuwächse. Bis zum 19. Oktober einschließlich sind die Glättungen endgültig. der 20. ist eine 5-er Glättung von Sonntag bis Donnerstag, der 21. nur das Mittel aus Dienstag, Mittwoch und Donnerstag, der Donnerstag ist ungeglättet. Es besteht also noch die leichte Hoffnung, dass die 12.344 von heute etwas geringer werden, es ist aber eher unwahrscheinlich.
Bisher bestand die begründete Aussicht, dass zwar die Fallzahlen eine neue Welle bedeuten, aber dass das nicht unbedingt für die schwer Erkrankten oder Todesfälle zu gelten braucht. Neueste Nachrichten warnen, dass es die ersten Probleme bei der Versorgung geben kann, weil es an Pflegepersonal fehlt.
Hier die Fallzahlen der an oder mit COVID-19 gestorbenen Patienten ab 12. Oktober:
9.629 | 8 | 9.646 | 20 | 0,08% | 2,90% | 1,01% |
9.640 | 11 | 9.667 | 21 | 0,11% | 2,86% | 1,02% |
9.695 | 55 | 9.691 | 24 | 0,57% | 2,83% | 1,18% |
9.726 | 31 | 9.715 | 24 | 0,32% | 2,79% | 1,14% |
9.748 | 22 | 9.740 | 25 | 0,23% | 2,75% | 1,16% |
9.776 | 28 | 9.771 | 31 | 0,29% | 2,71% | 1,30% |
9.790 | 14 | 9.798 | 28 | 0,14% | 2,66% | 1,12% |
9.803 | 13 | 9.827 | 29 | 0,13% | 2,61% | 1,15% |
9.856 | 53 | 9.853 | 26 | 0,54% | 2,57% | 0,83% |
9.888 | 32 | 9.891 | 38 | 32,36% | 2,52% | 1,86% |
9.928 | 40 | 9.928 | 37 | 40,29% | 2,46% | 1,76% |
In der letzten Spalte sind die Zuwächse der Todesfälle in Prozent der Zuwächse aller Infektionen vor zwei Wochen gesetzt, da ich davon ausgehe, dass nach Meldung einer Infektion noch eine Krankheitsdauer von einigen Tagen bis Wochen vergeht, bis schwer Erkrankte dem Leiden erlegen sind. Wir sehen, dass auch die Todesfälle rasant gestiegen sind. Vor drei Wochen lag die Zunahme der Todesrate zwischen 5 und 10. Sie ist im Mittel um mehr als den Faktor 3 gestiegen, keine guten Aussichten.
Über den Autor
Martin Lindner ist promovierter und habilitierter Mathematikprofessor im Ruhestand und beschäftigt sich intensiv mit nachhaltiger Wirtschaft und der Zukunftsfähigkeit unserer heutigen Lebensformen. Zusätzlich hat er eine Ausbildung und auch Berufserfahrung in Wirtschaftsmediation.
Aus dieser Reihe zuletzt von Martin Lindner auf marktforschung.de erschienen:
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