Hubertus Hofkirchner, Prediki Prediction Markets Entgegnung: Freud schlägt Kahneman

Auch wenn Daniel Kahneman hier die Medal of Freedom verliehen bekommt: Für Hubertus Hofkirchner schlägt der Freudsche Ansatz den von Kahneman in der Marktforschung. (Bild: picture alliance / dpa | Michael Reynolds)
Es stimmt zwar, dass Daniel Kahneman’s Thesen nach wie vor zum Standardrepertoire vieler Marktforschenden gehört. Es mag auch stimmen, dass die Wirksamkeit von Psychoanalysen nach Sigmund Freud als Behandlungsmethode in der Psychiatrie umstritten ist.
Jedoch ist Marktforschung keine Psychotherapie, unsere Aufgabe ist nicht die Heilung von psychisch Kranken, sondern unsere Kunden sind Entscheider, die möglichst gute Einsichten über Einstellungen, Wünsche und Motive von Personengruppen brauchen sowie Prognosen für deren künftiges Handeln, kurz: richtige Grundlagen für wichtige Entscheidungen. Betrachten wir die beiden Denkmodelle für Themen wie Markenführung, Produkt- und Kampagnenentwicklung.
Mehrstufige innere Konflikte
Kahneman’s populärstes Werk „Schnelles Denken, langsames Denken” beschreibt seine zentrale These: das schnelle, emotionale System 1 und das langsame, logische System 2. Das erstere leidet, so Kahneman, an kognitiven Verzerrungen, zweiteres an Denkfaulheit; er liefert uns also insgesamt eine recht pessimistische Sicht der menschlichen Rationalität.
Was unter Marktforschenden noch wenig bekannt ist: Viele von Kahneman zitierte wissenschaftliche Studien sind von der sogenannten Replikationskrise betroffen; zwölf Studien sollen etwa das „Wunder des Priming” von System 1 belegen, elf davon werden inzwischen als Fake eingestuft (Schimmak & al. 2017. Auf diesem „Wunder” fußen aber viele hoffnungsvolle, inzwischen widerlegte Marketingideen, beispielsweise das kurze Aufflackern einer Coca-Cola-Flasche in Kinofilmen, um in der Pause angeblich einen Ansturm auf den Getränkeautomaten auszulösen.
Hingegen beschreibt der Wiener Psychologe in „Das Ich und das Es” ein Drei-Instanzen-Modell der Psyche: das triebhafte, ungeduldige Es, das vermittelnde, bedächtige Ich und die moralische, höhere Instanz des Über-Ich. Wenn auch nicht direkt vergleichbar, so ist doch eine frappante Ähnlichkeit der ersten zwei Freudschen Instanzen mit den zwei Systemen Kahnemans erkennbar. Nur fehlt bei Kahneman eben ein „System 3”.
Ein Über-Ich für die Marktforschung
Gibt es denn nachweislich ein drittes System, also ein Über-Ich, und wenn ja, ist diese höhere Instanz auch für die Markt- und Meinungsforschung wichtig? Beginnen wir die Klärung bei Freud: Er beschreibt das Über-Ich als verinnerlichte soziale Normen und anerzogenes Wissen. Hier müssen wir von Freuds Personenfokus etwas abstrahieren, der den Konflikt dieser Ebene allegorisch zwischen einem „inneren” Kind und seinen Eltern verdeutlicht, denn für die Marktforschung ist die relevante höhere Instanz direkt im Namen unserer Disziplin zu finden: im „Markt”.
Leser des Wirtschaftsteils der Zeitung stoßen öfter auf Phrasen, wie: „Der Markt sagt …”, „Der Markt denkt …”. Wir erleben den Markt wie ein eigenes vernunftbegabtes Wesen. Wir wissen und fühlen (manchmal am Geldbeutel), dass es sehr schwer ist, den Markt dauerhaft zu schlagen.
Eine der neueren Methoden, virtuelle Prognosemärkte, erschließt den Marktmechanismus für die Marktforschung. Ursprünglich durch genauere Wahlprognosen bekannt, liefern speziell weiterentwickelte universelle Prognosemärkte heute verlässliche quantitative Vorhersagen von Schlüsselzahlen oder KPIs für strategische Handlungsalternativen. Gleichzeitig werden Sentimente analysiert und die ausschlaggebenden Gründe klassifiziert.
Märkte sind Gespräche, Preise kondensiertes Wissen
„Märkte sind Gespräche”, wie schon das berühmte Cluetrain Manifesto besagt, und Marktpreise sind pure, maximal kondensierte Information. Der Marktmechanismus bewirkt den von Freud beschriebenen höheren Konflikt, auf Neudeutsch Gamifizierung: sowohl die Vorfreude, künftig recht gehabt zu haben, als auch die Sorge, am Ende falsch zu liegen, motiviert die Teilnehmer. Wenn diese am Prognosemarkt versuchen, ihre virtuellen Aktien zu hypen, fördert dies tiefenpsychologische Motive zutage, an denen Freud seine Freud’ gehabt hätte.
Die bei Kahnemann fehlende dritte Ebene besteht in der gegenseitigen Beeinflussung der Akteure. Die Reaktion der quantitativen Kurse auf die Substanz der qualitativen Kommentare nimmt vorweg, wie der echte Markterfolg durch Kommunikation und die Meinungen anderer – insbesondere Mundpropaganda und Influencer Marketing – beeinflusst wird. Die kollektive Intelligenz der Marktteilnehmer überwindet die „Bounded Rationality” des Einzelnen, wird zum höheren Konsens, zur „Unsichtbaren Hand”, die spontan rationales Handeln steuert.
Gerade bei Fragen, die Marketingleute und Produktmanager interessieren, ist es diese höhere Instanz, die Weisheit der Vielen, welche bessere Informationen für Entscheider liefert. Vor allem aber bietet Freuds Über-Ich auch eine optimistische Sicht der menschlichen Rationalität. Wir sind gesellschaftliche Wesen und gemeinsam sind wir stärker.
Fazit: Freud schlägt Kahneman, zumindest in der Marktforschung.
Über die Person
Hubertus Hofkirchner ist CEO und Gründer der Prediki Prediction Markets GmbH sowie Vorstandsmitglied des VMÖ, des Verbands für Marktforschung in Österreich. Prediki betreibt eine offene Prognosemarktplattform im Internet und unterstützt als Full-Service Provider B2C-Klienten mit strategischen Insights und Foresights für Produktentwicklung, Innovation, Pricing und Kommunikation.
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