infas feiert den 60. Geburtstag Empirie, Politik und Philosophie bei infas

Das Bonner Sozialforschungsinstitut infas feiert gestern und heute sein 60-jähriges Bestehen. Geschäftsführer Menno Smid hieß zahlreiche bekannte Gesichter aus der Markt- und Sozialforschung in Bonn willkommen. marktforschung.de war vor Ort und hat die interessanten Vorträge in einer ungewöhnlichen Location verfolgt.

Mit einem "24 Stunden-Festival" feiert das Bonner Sozialforschungsinstitut infas gestern und heute sein 60-jähriges Bestehen. Das Unternehmen, das nach einigen Turbulenzen in den 90er-Jahren nunmehr auf einem stabilen Expansionspfad ist, lud in das Bonner Base-Camp, nach Eigendarstellung das möglicherweise "coolste Hotel der Welt". Zwischen den Zimmern in Form von Wohnwagen, Trabbi-Zelten oder Skigondeln lauschten zahlreiche bekannte Gesichter aus der Markt- und Sozialforschung den Vorträgen aus Politik, angewandter Sozialforschung und Wissenschaft.

In seiner Begrüßung betonte Geschäftsführer Menno Smid den Anspruch von infas, fehlerfreie, verlässliche Daten zu liefern für Sozialforschung, Politik und Unternehmen. Die Forschung stehe dabei in Anbetracht der fortschreitenden Digitalisierung vor besonderen Herausforderungen in der Datenerhebung. Online-Interviews seien günstig, wiesen aber auch erhebliche Fehlerquellen auf. Zur Wahrung der internen Qualitätsstandards habe sich infas deshalb zum Aufbau eines eigenen Access-Panels entschieden. Die Digitalisierung ermögliche es andererseits aber auch erst, bestimmte Studien, wie die zur Alltagsmobilität, durch den Einsatz der Trackingmöglichkeiten von Smartphones zu realisieren.

Datenschutz als Menschenschutz

Es folgten eine Reihe interessanter Beiträge, unter anderem zur Zukunft der Sozialpolitik (Staatssekretär Dr. Rolf Schmachtenberg) und zur Datenerhebung in Zeiten der Digitalisierung (Prof. Dr. Frauke Kreutzer, Universität Mannheim). Pointiert war der Beitrag des Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber, der die Bedeutung von Datenschutz als Schutz des Menschen betonte und die Durchsetzung rechtlicher Grenzen im Profiling forderte: Technologie müsse rechtskonform sein und nicht umgekehrt. Offensichtliche Verstöße gegen die DSGVO müssten geahndet werden und nicht  - wie aktuell in einem Fall von Facebook seit nunmehr 18 Monaten  - ungeahndet bleiben. Zugleich erwartete er bereits für die nahe Zukunft die ersten erheblichen Strafen wegen Verstößen gegen die gesetzlich geforderte Datensicherheit.
Für die europäische Wirtschaft erwartet er, dass der Datenschutz sich zu einem positiven Differenzierungsmerkmal entwickele und damit zum Wettbewerbsvorteil für Systeme "made in Europe". Zumal sich die Datenschutzgrundverordnung zunehmend als Vorbild für die Regelungen in anderen Ländern entwickle, darunter Indien und - in Folge von Kalifornien und einigen anderen Bundesstaaten - auch die USA insgesamt.

Zahlen statt Glaube, Daten statt Visionen, Empirie statt Theorie?

Einige Diskussion provozierte der Beitrag des bekannten Philosophen und Publizisten David Precht. Er beschrieb einen historischen Siegeszug der Zahlen und einen damit einhergehenden Verlust der Bedeutung der theologischen Weltanschauung. Grundsätzlich sehe er dabei die Empirie als wichtiges Werkzeug an. Zugleich kritisierte er aber scharf, dass sowohl die (Sozial-)Wissenschaften als auch die Politik zu zahlenfixiert seien und damit an gesellschaftlicher Relevanz verlören - die Politik durch zu wenig Mut und Weitblick, und die Wissenschaft, weil durch die Fixierung auf Zahlen kaum mehr Raum bliebe für die Entwicklung grundlegender Theorien oder eine hermeneutische Ableitung von Visionen für die zukünftige Gesellschaft. Eine Aussage, die in den anschließenden Kommentaren aus dem (natürlich weitgehend aus "Empirikern" bestehenden) Podium und Publikum nicht unwidersprochen blieb, die die Bedeutung der Überprüfung an der Realität und die Abgrenzung der Forschung von Intuition oder Spekulation betonten.

Die anregende Veranstaltung wurde die ganze Nacht über mit Musik, Tanz und Lachyoga (!) fortgesetzt und geht heute (mit hoffentlich nicht zu übermüdeten Teilnehmern) in die Endrunde - mit dem Thema "Heimat" und der Frage, wie wir in Zukunft leben wollen. Beides zeigt: Auch nach 60 Jahren ist die Sozialforschung quicklebendig - marktforschung.de wünscht weiterhin viel Erfolg!

Horst Müller-Peters

 

Diskutieren Sie mit!     

Noch keine Kommentare zu diesem Artikel. Machen Sie gerne den Anfang!

Um unsere Kommentarfunktion nutzen zu können müssen Sie sich anmelden.

Anmelden

Weitere Highlights auf marktforschung.de