Interview mit Florian Lillot, Nordlight Research „Einfach mal machen! Nur so kann sich langfristig auch hier ein Trend ergeben“

Über Virtual Reality wird auch in der Marktforschung viel gesprochen. Konkrete Anwendungsfälle gibt es allerdings noch vergleichsweise wenige. Im Gespräch mit marktforschung.de erläutert Florian Lillot von Nordlight Research, welche Hemmnisse einer flächendeckenden Nutzung noch entgegenstehen und was Institute tun können, um VR- und AR-Lösungen für sich und ihre Forschung nutzbringend einzusetzen.

Virtual Reality hat sich in der Fläche noch nicht als Business-Anwendung durchgesetzt - obwohl sich der technische Reifegrad bereits sehen lassen kann. Im Bild ein Besucher des Kunstmuseums Stuttgart, der eine Ausstellung durch eine VR-Brille betrachtet. (Bild: picture alliance/dpa | Karl-Josef Hildenbrand)

Wie verbreitet sind Anwendungen aus dem Bereich VR/AR heute allgemein und in der Marktforschung?

Florian Lillot: Virtual Reality, also VR, ist noch nicht sehr verbreitet. In unserer letzten Umfrage zu diesem Thema im Rahmen des "Trendmonitor Deutschland" betrug der Prozentsatz für den Besitz einer VR-Brille beispielsweise lediglich 6 Prozent. Darin enthalten sind auch einfache VR-Brillen, die mit Smartphone funktionieren. Private oder die sporadisch angebotenen öffentlichen VR-Anwendungen befinden sich weiterhin in einer überschaubaren Nische.

Öffentliche Anwendungen sieht man vor allem auf Gaming-Messen wie der Gamescom, genutzt werden sie auch in eigens dafür designten Escape-Rooms oder von Designern, die beispielsweise ihre Modelle für Küchen in 3D demonstrieren.

AR- Brillen, also Brillen für Augmented Reality, sind in Deutschland noch weniger verbreitet. Das hat unter anderem datenschutzrechtliche Gründe. Hier kamen wir in der Studie auf gerade einmal 0,7 Prozent, die eine solche Brille besitzen. Weltweit ist die Verbreitung der Brillen zwar größer, aber keineswegs in Form eines Megatrends. Verglichen mit den AR-Brillen sind AR-Anwendungen aufgrund der Nutzbarkeit durch Smartphones deutlich stärker verbreitet, da man durch entsprechende Apps wie Pokemon Go, Ikea Place oder Star Walk 2 schnell, günstig und spielerisch solch eine Anwendung nutzen kann.

In der Marktforschung hält sich der Trend ebenfalls noch stark zurück und beschränkt sich auf Lösungen, bei denen die Marktforscher ihre Zielpersonen mit der nötigen Hardware ausrüsten.

Hier werden entsprechende Anwendungen vor allem im Rahmen der Erforschung des Konsumentenverhaltens eingesetzt, beispielsweise in Supermärkten, Kaufhäusern usw., um das Verhalten am PoS zu erforschen.

Wie schätzen Sie den technologischen Reifegrad ein? Gibt es hier Vorreiter / spezielle Anwendungen, die Sie spannend finden?

Florian Lillot: Der technologische Reifegrad des Trackings und der Displays ist bereits sehr weit fortgeschritten – verglichen mit den Anfängen in den 60ern sowie den ersten kommerzialisierten Produkten aus den 90er Jahren. Ebenfalls verbessert hat sich die Peripherie, welche früher vor allem in Form von Data Suits und Data Gloves deutlich kostspieliger, „klobiger“ und weniger ausgereift war als ein simpler Controller. Mittels entsprechender Laufbänder ist auch das Gehen und Laufen durch eigene Bewegung möglich.

Vorreiter im Bereich VR-Brillen sind meiner Meinung nach vor allem Modelle von Occulus, welche die neue Technologiewelle 2012 starteten, und die HTC Vive.

Von der futuristischen Perfektion aus diversen Science-Fiction Serien sind wir allerdings noch entfernt, die aktuelle Technologie hat immer noch ihre Mängel. Das Erlebnis wird stark durch das Gerät bestimmt, das zur Nutzung der VR-Anwendungen zur Verfügung steht. Eine Playstation ist weniger leistungsstark als ein High-End PC, sodass beispielsweise die Grafik von VR-Spielen darunter leidet. Von Smartphone-Lösungen brauchen wir gar nicht zu sprechen…

Für mich persönlich als Gamer ist natürlich jeglicher Entertainment-Aspekt sehr interessant. Was ich allerdings auch faszinierend finde, sind Einsätze im Ausbildungs-/Trainingsbereich für sehr riskante Bereiche (Militär, Rettungseinsätze in Krisensituationen usw.) sowie der Einsatz in der Medizin. Hier wird VR etwa in der Therapierung von Phobien eingesetzt, indem die Person dem Auslöser in VR ausgesetzt wird. Zudem gibt es sogar Einsatzbereiche in der inneren Medizin und der Chirurgie.

Wo liegen die Gründe dafür, dass sich VR- und AR-Lösungen noch nicht flächendeckend durchgesetzt haben?

Florian Lillot: Die hohen Kosten werden mit Sicherheit ein Faktor für die private Verbreitung sein. Außerhalb des Gamings ist das Angebot im Bereich Bildung und Unterhaltung, ich denke da jetzt zum Beispiel an VR-Exkursionen oder Sport und Konzerte, überschaubar. Warum sollte ich mir also als Privatperson eine teure Brille und teure Hardware anschaffen, wenn die Nutzung so eingeschränkt ist?

Auch muss ein echtes Interesse geweckt werden. Dafür müsste man VR erstmal selbst erleben; die Faszination kann man jemandem nur schwer auf andere Weise begreiflich machen.

Da VR-Anwendungen in der Öffentlichkeit nur selten bereitgestellt werden und die Verbreitung im Bekanntenkreis eher gering ausfällt, hat man dazu oft nicht die Möglichkeit. Zudem wird die Nutzung laut unserer Studie mit einigen Risiken assoziiert, allen voran mit Angst vor Sucht, sodass man zu viel Zeit in der virtuellen Realität verbringt. Aber auch Angst vor körperlichen Folgen wie „Motion Sickness“ oder Schädigung der Augen ist verbreitet.

Aus unseren Daten ist ersichtlich, dass VR vor allem ein Thema für die jüngere Generation ist und hier für Begeisterung sorgt. Das ist nun aber auch eine Personengruppe mit einem eher geringeren Einkommen, was aufgrund der hohen Anschaffungskosten von VR dann kontraproduktiv für die Verbreitung ist. Hier muss die Gesellschaft vielleicht erst mit der Zeit in den Trend hineinwachsen.

Welche Anwendungen haben die besten Chancen, auf absehbare Zeit eine größere Verbreitung in der Marktforschung zu erfahren? Für welche Fragestellungen und Einsatzgebiete?

Florian Lillot: Hier sehe ich vor allem zwei Bereiche, die stärker profitieren könnten: Produktbezogene Forschung und Experimente. Für produktbezogene Forschung kann man mittels VR einen digitalen Prototypen entwerfen und diesen mit den Personen besprechen, dazu Fragen stellen, ihn anpassen und hätte nicht die Notwendigkeit, diesen in verschiedenen Ausführungen physisch produzieren zu müssen. Im Vergleich zu einem Foto oder Video können sich Probanden auch deutlich mehr darunter vorstellen und das Produkt von allen Seiten betrachten. Ein VR-Prototyp ist natürlich viel aufwändiger als ein visuell gestütztes Verbalkonzept, aber immerhin agiler machbar als ein physischer Prototyp.

Ebenfalls spannend wäre VR für Fragestellungen von Erlebnis-Anbietern. Natürlich kann ich in meinem Fragebogen kurz beschreiben, wie interessant Wildwasserrafting ist, oder ein kurzes Video dazu einspielen und anschließend die Meinung erfragen. Allerdings stellt sich die Frage, inwieweit sich das Ergebnis nicht womoglich verbessern würde, wenn die Person Abschnitte der Fahrt vorher in VR erlebt hat.

Im Hinblick auf VR-gestützte Experimente kann man die Teilnehmer digital in die entsprechende Situation versetzen, die man testen möchte.

Auch hier hat man dann nicht die Notwendigkeit entsprechende Räumlichkeiten, Objekte usw. bereitzustellen, sondern kann im Teststudio oder auch beim Probanden zuhause jegliche Situation darstellen und die Rahmenbedingungen adaptieren/anpassen. Dabei wären auch Situationen konstruierbar, die in der realen Welt nicht umsetzbar wären.

Im Bereich der Experimente oder präziser formuliert systematisch variierter simulierter Angebote wird dies wie eingangs erwähnt unter anderem in der Erforschung des Konsumentenverhaltens am PoS in Supermärkten, Shopping Malls und Ähnlichem bereits eingesetzt, da es gegenüber Untersuchungen in der „echten Realität“ vergleichsweise zeit- und kostensparend ist. Ähnliches gilt für die Planung eines Ladens, bevor dieser überhaupt gebaut und eingerichtet wird, um so die optimale Gestaltung zu finden.

Was sollten/können Marktforschungs-Institute dafür tun, um für eine höhere Akzeptanz zu sorgen und eventuellen Bedenken zu begegnen?

Florian Lillot: Zum einen sollten sie Studien zum Thema durchführen, um den Unternehmen und der Öffentlichkeit wichtige Erkenntnisse zu liefern und diese zum Nachdenken anzuregen. Wenn Nutzerinnen und Nutzer öfter mit einem Thema konfrontiert werden, dann ist davon auszugehen, dass auch die Nutzungswahrscheinlichkeit steigt. Wir müssen zum anderen die Konsumierenden besser verstehen, um das richtige Erlebnis für sie zu finden und so aufregend zu gestalten, dass sie es unbedingt haben möchten. Der Köder muss am Ende dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.  

Um mehr Virtual Reality in der Marktforschung zu etablieren, sind sowohl die Auftraggeber als auch die Institute gefordert. Wenn einige Unternehmen VR oder AR erfolgreich in der Forschung einsetzen, werden weitere nachziehen.

Ohne entsprechende Angebote wird es auch keine VR-Projekte geben, die interessierte Unternehmen buchen. Und wenn Institute es niemals einsetzen, wird es auch kaum eine flächendeckende Verbreitung in der Marktforschung geben. Es müssen also Projekte damit durchgeführt und bekannt gemacht werden. Andere müssen sehen, dass es stattfindet. Kurz gesagt: Einfach mal machen! Nur so kann sich langfristig auch hier ein Trend ergeben.

Über Florian Lillot

Florian Lillot ist seit 2021 als Research Consultant für Nordlight Research tätig. Seinen Bachelor und Master hat er an der TU Dortmund absolviert und dort als Statistik-Tutor ein Faible für die Statistik entdeckt. In seiner Abschlussarbeit hat er sich mit der Akzeptanz und Nutzung von Virtual Reality im Eventbereich auseinandergesetzt.

 

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