Ein Plädoyer für die Genauigkeit

Hartmut Scheffler (ADM, TNS Infratest)

Hartmut Scheffler

Von Hartmut Scheffler

Ein zu Recht an Bedeutung gewinnendes Thema ist der Zusammenhang von Internetaktivitäten – speziell als Push - Aktivitäten von Unternehmen und Markenführern – auf die Markenstärke/ auf Brand Equity. Hier soll nicht dahingehend in die Tiefe gegangen werden, die verschiedenen Messkonzepte und Operationalisierungen von Markenstärke oder Brand Equity unter die Lupe zu nehmen und zu diskutieren. Entscheidend ist vielmehr der Zusammenhang zwischen Aktivitäten online/"im Netz" und Kriterien der Markenstärke.

Zusehends häufiger finden sich Veröffentlichungen, die behaupten, sich hiermit zu beschäftigen und grundsätzliche/verallgemeinerbare Erkenntnisse gewonnen zu haben. Leider ist es sehr häufig ärgerlich, wenn dieses wichtige und schwierige Thema dann – populärwissenschaftlich – unzureichend aufgegriffen und bearbeitet wird.

So las ich in einer Marktforschungszeitschrift über die Feiertage einen Artikel, der in der Überschrift einen Zusammenhang zwischen Onlineaktivitäten, speziell Suchverhalten und Markenstärke zum Thema hatte. Im Weiterlesen wurde dann leider ein 180-Grad Perspektivenwechsel vorgenommen: Wie in sehr vielen bisher publizierten Analysen zu diesem Thema. Tatsächlich wurde nämlich dargestellt, dass starke Marken (gemessen u. a. über Bekanntheit und andere durchaus gängige Indikatoren) auf Seiten der Internetnutzer zu verstärktem Suchverhalten und verstärktem Social Media-Markenaustausch führen. Anders formuliert: Es wurde - reduziert auf nur zwei Variablen -  ein Zusammenhang zwischen der unabhängigen Variablen der Markenstärke und der abhängigen Variablen der Onlineaktivität, des Suchverhaltens hergestellt.

Dies ist fraglos nicht uninteressant: Versprochen und von deutlich höherem Interesse ist aber genau der umgekehrte Blickwinkel. Dieser ist nun allerdings – und das schien im vorliegenden Fall wie in vielen anderen das Problem zu sein – nicht so einfach zu operationalisieren, zu untersuchen, zu analysieren.

Die geforderte größere Genauigkeit zielt also zum Einen darauf, auf Etikettenschwindel zu verzichten und dafür zu achten, dass in diesen Artikeln/Studien auch drin steckt, was drauf steht. Wir werden dann unzweifelhaft feststellen, dass bis zur Erkenntnis der qualitativen und quantitativen Zusammenhänge zwischen Onlineaktivitäten (seien es die der Verbraucher, seien es die der Unternehmen und Markenführer) und Markenstärke (sei sie über Awareness, Kauf, Loyalität etc. gemessen) noch ein weiter Weg vor uns liegt.

Die zweite Forderung nach mehr Genauigkeit ist die, eine komplexe Welt nicht durch die Reduzierung auf zwei Merkmale und eine einfache Korrelation ungerechtfertigt zu verein-fachen. Entsprechende vereinfachte Untersuchungsansätze werden natürlich Ergebnisse generieren, sie werden der Realität interdependenter und interkorrelierender Zusammenhänge aber nicht gerecht. Oder anders formuliert: Sie erzeugen scheinbar genau gemessene Zusammenhänge und Erkenntnisse; dies aber nur deshalb, weil sie die Realität äußerst ungenau abbilden.

Mir fallen im Zusammenhang mit der hier angesprochenen Fragestellung schon nach kürzestem Nachdenken und ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit mindestens 5 bis 6 Kriterien ein, die allesamt miteinander zusammenhängen und den jeweiligen Erfolg/Misserfolg von Maßnahmen beeinflussen. Dies sind:

  • Quantität und Qualität der verbrauchergetriebenen Markenkommunikation im Internet (aus Unternehmenssicht also die Pull-Seite)
  • Unternehmensgetriebene Markenaktivitäten im Internet (also die Push-Seite)
  • Zielgruppenmerkmale und Profile (angefangen mit dem guten alten "Alter"): bei einem Produkt mit älterer Ziel-/Nutzergruppe gibt es andere Wirkmechanismen als bei einem mit jüngerer.
  • die gesamte Markenkommunikation, bei der der Internetpart nur ein Teil der Orchestrierung ist
  • Markenstärke, gemessen z. B. über der Kundenbindung und Kundengewinnungspotenzial
  • Abverkaufszahlen (sofern nicht direktes Kriterium der Markenstärke).


Die wissenschaftlichen Publikationen haben diese Komplexität längst erkannt und beschäftigen sich mit ihr, die populärwissenschaftlichen leider nicht.

Die neuen, durch Digitalisierung getriebenen Möglichkeiten der Kommunikation und des Marketings machen das Gesamtthema spannender, vielseitiger, risiko- und chancen-reicher: Sie machen es definitiv nicht einfacher. Das Niveau der Forschung, der Untersuchungen, selbst der PR-Studien sollte dies durch entsprechende Genauigkeit im Ansatz und in der Kommunikation berücksichtigen.

 

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