Die Frage zum Sonntag Ein Jahr Ampel – Deutschland im Krisenmodus

Angetreten mit dem Versprechen Deutschland zu modernisieren, hat sich die neue Bundesregierung mit ganz anderen Problemen auseinandersetzen müssen. Wie reagiert die Wählerseele auf den Dauer-Krisenmodus? Rainer Faus von Pollytix analyisiert die aktuelle Gemütslage der Wähler und Wählerinnen und wagt einen ersten Ausblick auf 2023.

Deutschland sollte modernisiert werden - und dann kam alles ganz anders: Die Ampel-Koalitionäre mit dem "Vorschlag der Unabhängigen Kommission für Erdgas und Wärme in den Händen". (Bild: picture alliance/dpa | Kay Nietfeld)

Ein turbulentes Jahr neigt sich dem Ende entgegen. War die neue Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP vor einem Jahr als Fortschrittskoalition gestartet, um Deutschland zu modernisieren, sah sie sich gleich zu Beginn des Jahres mit ganz anderen Problemen konfrontiert. Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine galt es, (militärische) Unterstützung für die Ukraine zu organisieren, bis zu eine Million Geflüchtete in Deutschland zu versorgen und nicht zuletzt auch Lösungen für die Energiekrise zu finden. Letztere trifft die nach Corona ohnehin schon krisenmüde deutsche Bevölkerung besonders schwer: Zum einen bräuchten die Deutschen eine dringende Verschnaufpause von den multiplen Krisen, zum anderen drängen akute Sorgen, sich bei bis zu über 10 Prozent Inflation Grundlegendes wie Energie nicht mehr leisten zu können. 

Gewinner und Verlierer in Ampel und Opposition 

Zuwächse und Verluste in der Wählergunst der im Bundestag vertretenen Parteien im Vergleich zum Dezember 2021. (Grafik: pollytix)

Der pollytix-Wahltrend (das gewichtete Mittel der veröffentlichten Sonntagsfragen zur Bundestagswahl verschiedener Institute) der letzten 12 Monate zeigt, dass die Ampelparteien in unterschiedlichem Ausmaß durch das Krisenjahr kamen. Anders als zum Beispiel bei der Coronakrise zeigte sich kein eindeutiger „Rally-’round-the-Flag-Effekt“, bei dem sich Wählende hinter der Kanzlerpartei versammelten. Die SPD profitierte nach der „Zeitenwende-Rede“ zwar kurzfristig, verliert aber innerhalb eines Jahres 6,4 Prozentpunkte. Als größere Gewinner der Krise schienen zwischenzeitlich die Grünen, zum einen ob der als gelungen wahrgenommenen Kommunikation des Wirtschaftsministers Habeck, zum anderen rückte durch die Energiekrise und den Dürresommer ihr Kernthema Erneuerbare Energien zentral ins Bewusstsein der Bevölkerung und der Wirtschaftsminister konnte sich als Energiekrisenmanager präsentieren. Doch auf den Aufstieg der Grünen folgte der Fall, spätestens als die steigenden Energiepreise und die Inflation in den Fokus der Bevölkerung rückten die Agenda dominierten. Nach einem Jahr steht für die Grünen aber immer noch ein sattes Plus von 2,7 Prozentpunkten. 

Die Sonntagfrage auf der Zeitachse: So schnitten die Parteien seit Dezember 2021 ab. (Grafik: pollytix)

Von der Krise profitierte aber vor allem die AfD, die seit Mitte des Jahres von ca. 10 Prozent auf bis zu ca. 15 Prozent zulegen konnte, ein Aufstieg, der erst im November durch Ausmobilisierung ein Ende fand. Reichlich verloren hat seit der Bundestagswahl ebenfalls die FDP als Koalitionspartner aus dem bürgerlichen Lager. Interessanterweise hat sich die CDU/CSU in den letzten Monaten wieder als führende Kraft im Parteiensystem etabliert und legt binnen Jahresfrist um 6,6 Prozentpunkte zu. Allerdings ist auch dieser Höhenflug strukturell instabil, denn in Zeiten kollabierenden Politikvertrauens glauben Wählende aktuell nicht, dass es die CDU/CSU in der Regierung besser machen würde. 

Ampel ohne Mehrheit  

Netto haben die Ampelparteien seit dem Start der Bundesregierung am 8. Dezember letzten Jahres fast 10 Prozentpunkte verloren. Würde heute gewählt, so zeigen die Zahlen des Koalitionsrechners, würde an der CDU/CSU damit kaum ein Weg vorbeiführen. Bei 8 Prozent verfallenden Stimmen für ‚Sonstige Parteien‘ ist die Ampel aktuell knapp ohne Mehrheit, auch sonst sind Zweierbündnisse ohne die CDU/CSU kaum möglich, lediglich CDU/CSU und Grüne, wie auch CDU/CSU und SPD kämen nach Neuwahlen auf eine Mehrheit (würden sich diese Umfragen materialisieren). 

Im Vergleich der Wahlanteile der regierenden Koalitionsparteien SPD, Grüne und FDP mit anderen potenziellen politischen Konstellationen zeigt sich, dass  heute zwei Zusammenschlüsse unter Beteiligung der CDU/CSU leicht vorne liegen würden. (Grafik: pollytix)

Was steht uns also 2023 bevor? Die politische Stimmung wird stark davon abhängen, wie stark die Energiekrise Bürger und Bürgerinnen und die Wirtschaft trifft. Reichen die Gasreserven im Winter? Kann die Regierung eine Rezession verhindern? Und glauben Wählende, dass die Regierung genug tut, um sie vor zu hohen Energiekosten zu schützen? 

Dazu stehen 2023 in einigen Bundesländern Landtagswahlen an. Die CDU/CSU hat in den letzten Wochen schon deutlich gemacht, dass sie zunehmend auf Polarisierung bei Themen wie Zuwanderung setzen wird, vermutlich in einem Versuch rechts ‚dicht‘ zu machen. Das stellt eine Abkehr von der Merkel-Politik dar, die in der CDU/CSU schon jetzt intern für Unmut sorgt und es ist fraglich, ob sie sich überhaupt elektoral auszahlen kann: Denn wer rechts fischt, verliert in der Regel in der Mitte. Spätestens der Herbst 2023 wird entsprechend hitzig, denn Landtagswahlen in Bayern sorgen traditionell für mehr Klamauk, als es den krisenmüden und harmoniebedürftigen Deutschen lieb sein dürfte.

 

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