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Birgit Langebartels, rheingold institut "Ein Burn-out ist heutzutage schon eine Art Auszeichnung und Beweis dafür, dass ich vollen Einsatz gezeigt habe."

Birgit Langebartels
marktforschung.de: Frau Langebartels, Sie schreiben in Ihrem Buch, die Depression sei eine Erkrankung, die sich wunderbar in die Anspruchskultur unserer Zeit einfüge. Können Sie das erklären? Was macht die Menschen heute besonders anfällig für Depressionen?
Birgit Langebartels: Auf den ersten Blick passt die Depression nicht in unsere Kultur, die eher auf Perfektion und Machbarkeit ausgelegt ist. Wir leben heute in einer Zeit, die uns glauben lässt, dass wir alles erreichen können, wenn wir nur wollen. Wir möchten alle Optionen, die uns das Leben offeriert, ergreifen und leben. Das ist nicht nur schwierig und überfordernd, sondern ist schlichtweg unmöglich, wir können nicht immer alles realisieren.
In meinem Buch verweise ich jedoch darauf, dass Depression eine Erkrankung ist, die sich paradoxerweise wunderbar einfügt in die Ansprüche unserer Zeit. Depression sehe ich als einen verzweifelten Versuch des Seelischen mit den Überforderungen unserer Zeit umzugehen.
marktforschung.de: Im beruflichen Umfeld hört man viel öfter von Burn-out als von Depressionen. Wie unterscheiden sich diese Krankheitsbilder voneinander. Gibt es überhaupt einen Unterschied?
Birgit Langebartels: Meines Erachtens liegt der Unterschied lediglich in der Bezeichnung und in der damit zusammenhängenden Bewertung. Mit 'Burn-out' verbinden wir Menschen, die für eine Sache brennen und unglaublich umtriebig sind, mit 'Depression' eher Menschen, die lethargisch im Bett liegen bleiben. Diese Unterscheidung lässt sich aber nicht halten. Denn Menschen, die unter einer Depression leiden, sind Menschen mit sehr hohen Ansprüchen an sich und ihr Leben und mitnichten Menschen, die sich nur die Bettdecke über den Kopf ziehen wollen.
marktforschung.de: Es scheint viel leichter zu sein, zuzugeben, dass man an Burn-out leidet, als ein einer Depression. Würden Sie dem zustimmen?
Birgit Langebartels: Ja, unbedingt. Ein Burn-out ist heutzutage schon eine Art Auszeichnung und Beweis dafür, dass ich vollen Einsatz gezeigt habe. Aber wie auch bei der Bezeichnung 'Depression' bleibt es lediglich bei der Benennung, können wir nicht die innere Logik herausarbeiten. Dann ist es nur ein Stempel, der uns keinen Aufschluss über die Struktur der Erkrankung gibt.
marktforschung.de: Woran liegt das ihrer Meinung nach?
Birgit Langebartels: Wir leben heute in einem gesellschaftlichen Klima, in dem wir bereit sind, alles für einen glanzvollen Aufstieg zu geben, uns aber oftmals davor scheuen, in eine ehrliche Auseinandersetzung zu gehen mit unseren Ansprüchen, Anforderungen und dem Preis, den es kostet, diese zu erreichen. Es gibt immer wieder Zeiten im Leben, in denen man sich fragen muss, ob die Ziele und Vorstellungen, die wir haben, noch tragfähig sind. Solche Übergänge in unserem Leben, d.h. wenn wir spüren, alte Muster und Ideale sollten überdacht, ggf. modifiziert oder auch verabschiedet werden, wir aber noch nichts Neues gefunden haben, sind schwer auszuhalten für uns und fordern uns einiges ab. Oftmals bezeichnen wir dieses verunsichernde Gefühl gerne mal als Depression oder Burn-out. Wir betiteln dies lediglich und legen so einen Mantel des Schweigens darüber. Damit kommen wir um die sicherlich anstrengende und aufreibende, aber notwendige Auseinandersetzung mit uns und unserem Leben herum.
marktforschung.de: Sie nennen 6 Stufen in der Entstehung einer Depression. Für die erste Stufe "Allerhöchste Ansprüche" sind wir im Jobkontext besonders anfällig. Wie kann ich mich davor schützen und trotzdem beruflich erfolgreich sein?
Birgit Langebartels: Zuerst einmal möchte ich ausdrücklich sagen, dass Ansprüche ja nicht per se etwas Negatives sind. Wir brauchen diese Ansprüche, die uns antreiben, uns bei einer Sache bleiben und uns auch mal die Zähne zusammenbeißen lassen, um erfolgreich zum Ziel zu gelangen. Manchmal passiert es aber, dass diese inneren Antreiber so immens werden, dass wir das Maß und auch den Blick dafür verloren haben, wieviel Anstrengung uns das Erreichen des Ziels kostet. Wir werden blind für den Preis für das Erreichen eines Ideals, auch wenn es noch so unrealistisch zu sein scheint. Dann laufen wir Gefahr, dass sich unser Blick nur noch auf das Erreichen dieses Ziels verengt und uns unbeweglich macht. Wichtig ist es, den Blick zu weiten, zu sehen, was wir erreichen wollen, was in unser Leben passt und in einen Abgleich zu bringen mit den Anstrengungen, die es kostet. Vielleicht müssen wir uns dann von bestimmten Lebensvorstellungen verabschieden, damit Neues Platz haben kann. Das gelingt aber nur, wenn wir auch Zeiten des Innehaltens einbauen und auch anderen Dingen – jenseits des Jobs - unsere Liebe, Leidenschaft und Aufmerksamkeit schenken.
marktforschung.de: Wir zitieren noch einmal aus Ihrem Buch: "Anstatt uns für eine Richtung zu entscheiden oder Schwerpunkte zu setzen, geraten wir in eine besinnungslose Betriebsamkeit …. Diese Betriebsamkeit spornt uns an, führt aber auch unweigerlich zu Überforderung." Wie können die Arbeitgeber für ein gesundes Umfeld sorgen?
Birgit Langebartels: Arbeitgeber sollten Menschen in ihrer Befürchtung ernst nehmen im Zuge der Digitalisierung wegrationalisiert zu werden und ihnen und ihrer Arbeit – egal in welchem Bereich sie tätig sind – etwas Sinnstiftendes geben. Wir alle brauchen die Sicherheit, dass wir als Mensch wichtig sind. Sie sollten ihnen Gestaltungsspielraum, aber auch klare Grenzen für die Umsetzung anbieten. Ein gesundes Unternehmen wie auch eine gesunde Gesellschaft muss ihren Mitgliedern zeigen, dass ihre Wertschätzung nicht ausschließlich an Leistung gekoppelt ist.
marktforschung.de: Sie sprechen die Sozialen Netzwerke im Kapitel über Jugendliche an, aber auch für Berufstätige besteht ja durch Twitter, Xing oder LinkedIn doch der Druck, sich möglichst interessant, "umtriebig" und vernetzt zu zeigen, ja selbst zu vermarkten. Können Sie beschreiben, wo da die Zusammenhänge zur Depression sind?
Birgit Langebartels: Menschen generell und Jugendliche im Besonderen haben heute große Schwierigkeiten, sich auf eine Sache festzulegen. In den sozialen Netzwerken haben wir die Möglichkeit, uns in den unterschiedlichsten Facetten zu zeigen und das mit einer enormen Reichweite – grenzenlos. Das hat eine große Faszination, kann sich aber auch verkehren in einen enormen Druck immer und überall performen zu müssen. Wenn sich mein Leben fast ausschließlich im Digitalen bewegt, fällt es mir immer schwerer, den analogen Alltag zu leben. Aber aus dem kommen wir nicht raus. Wir müssen aufstehen, uns anziehen, essen, trinken, schlafen, wir werden krank, verlieben uns und haben Liebeskummer. Das nimmt uns keiner ab. Influencer sind zu den modernen Heilsbringern in der Orientierungslosigkeit der aktuellen Zeit geworden. Sie zeigen nicht nur große Aufstiegschancen, sondern auch wie das Leben funktionierten kann und vor allem für Jugendliche füllen sie das Vakuum zwischen Digitaler Realität und Analogem Leben.
Im WWW können Menschen über Umwege zu sich selbst finden und sich besser verstehen lernen. Wird der Austausch mit dem Realen Alltag - mit all seinen Mühen und Widrigkeiten wie auch seinen schönen Seiten gewahrt und nicht abgespalten, dann kann das Netz und seine neuen Helden, die Influencer, eine Orientierungshilfe sein. Diese fragile Balance zwischen Virtualität und Realität muss aber gewahrt bleiben.
marktforschung.de: In ihrem Buch stellen Sie einen Bezug zwischen der Krankheit Depression und dem Märchen Rumpelstilzchen her. Können Sie tiefenpsychologisch weniger bewanderten Forschern erklären, wie Märchen hier methodisch genutzt werden?
Birgit Langebartels: Wir können uns anhand von Märchen die psychologische Mechanik und die damit einhergehende Dramatik eines Problems oder einer Person bildlich vor Augen führen. Das Märchen konkretisiert und illustriert in welche Grundproblematiken Menschen hineingeraten können und welche Lösungsformen sie wählen. Märchen sind sinnbildlich zu verstehen und nicht eins zu eins auf Personen übertragbar. Betrachtet man nun die Mechanik der Depression ähnelt sie dem Märchen 'Rumpelstilzchen'. In diesem Märchen wird gezeigt, wie verlockend es ist, sich – wie von Zauberhand – von einer Müllerstochter in eine Königin zu verwandeln. Geknüpft an den Anspruch Unmögliches möglich zu machen, eben Stroh zu Gold zu spinnen. Und dafür ist man bereit alles - auch das eigene Leben – zu riskieren. Die glanzvolle Vorstellung in dem Märchen, von der Müllertochter zur Königin aufzusteigen spiegelt die überhöhten Ansprüche in der Depression und illustriert anschaulich, wie attraktiv diese Vorstellung eines fulminanten Auftiegs sein kann.
Nicht nur in den diversen Castingshows bekommen wir heute diese Ausftiegsmöglichkeiten vor Augen geführt. In dem Märchen verengt sich nun alles auf dieses eine Bild, nichts anderes scheint mehr möglich und erstrebenswert. Man will Stroh zu Gold spinnen und verschliesst sich in der dunklen Kammer. Die Müllerstochter kann dies nicht bewerkstelligen, keiner kann das. Und doch will sie von diesem Anspruch nicht lassen. Bis zu dem Zeitpunkt, als Rumpelstilzchen ihr Kind fordert. Das setzt ein Umdenken in Gang. Erst das Aussenden des Botschafters weitet den Blick wieder und letztendlich ist die Erlösung, dass offenbar wird, dass die Müllerstochter kein Stroh zu Gold spinnen kann. Und für uns Menschen heisst dies: auch wir müssen offenlegen, dass wir zwar jede Menge, aber leider nicht alles, bewerkstelligen können.
Der Versuch, Träume zu verwirklichen ist etwas Wunderbares. Es ist gut, wenn wir Träume haben, die uns ansprornen. Aber wesentlich ist auch, den Preis für das Erreichen unserer Träume zu vergegenwärtigen.
marktforschung.de: Vielen Dank für Ihre Antworten, Frau Langebartels.
Das Interview führte Monika Maruschka

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