Martins Menetekel Dynamische Zuspitzung

Viele meiner Leser und Leserinnen werden es schon in den Nachrichten gehört haben: Heute hatten wir den höchsten Tageszuwachs an als infiziert gemeldeten Neuzugängen. Da ich meine Daten aus der Johns Hopkins University JHU beziehe und diese im allgemeinen um einen Tag den Zahlen des RKI vorlaufen, sieht es noch schlimmer aus: Der Zuwachs von Mittwoch auf Donnerstag dieser Woche betrug 41.203 Neuinfizierte.
Wie verträgt sich das mit der Aufhebung der gesetzlichen Notlage und den vielen Lockerungen? Die Antwort ist: Überhaupt nicht.
Es wird wieder der Fehler des letzten Herbstes in 2020 gemacht. Man will den Menschen Normalität ermöglichen und macht alles schlimmer. Um es eindeutig zu sagen: Wenn wir Weihnachten normal feiern wollen, müssen wir jetzt die Bremsen anziehen, da hilft kein Hoffen auf Impfen oder Durchseuchung.
Dabei kann die Politik sich nicht entschuldigen, dass sie erst jetzt durch die Steigerung der Zuwächse vor einer neuen Sachlage steht.
Wir wissen es besser. Zwar haben alle Daten einen erheblichen Nachlauf zur wirklichen Entwicklung. Zur Prognose können aber unsere Referenzkurven dienen. Wir hatten vor einigen Wochen gesehen, dass der Wendepunkt am 5. September nur eine scheinbare Verhulstkurve mit Limitierung angezeigt hatte. Es war nur eine Delle der 4. Welle. Wenn die Fallzahlenzuwachskurve die Referenzkurve um circa zehn Tage stabil nach oben verlässt, müssen alle Warnanlagen angehen und wieder Einschränkungen angeordnet werden, obwohl man es noch nicht an den absoluten Höhen der Zuwächse sehen kann.
Fazit: Wenn die Zuwächse nicht so stark fallen, wie es die Referenzkurve angibt, ist Gefahr im Verzug.
Sehen wir uns das alte Bild der Zuwächse an:

Seit mindestens Mitte Oktober hätten also alle Einschränkungen eines harten „Lockdowns“ gelten müssen, um die Lage in den Griff zu kriegen.
Ich habe zum vierten Male wieder den exponentiellen Ansatz durchgerechnet, Optimierungszeitraum vom 23. 9.bis 28.10.:

Eine dramatische Zuspitzung
Wie man sehen kann, ist sie zu niedrig.
Fazit: Die nächsten Wochen deuten eine dramatische Zuspitzung der Sachlage an. Corona läuft aus dem Ruder!
Das zeigen auch die Inzidenzen:

Vergleichen wir die Grafik mit den Inzidenzen seit Beginn meiner Aufzeichnungen:

Das allgemeine Mantra besagt, dass durch Impfung der besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen die schweren Krankheitsfälle und Todesfälle nicht steigen werden. Die Analyse der Todesraten kann das nicht in vollem Maße bestätigen. Ich hatte letzte Woche eine Grafik der Quotienten Todesrate/Fallzahlen gezeigt. Ein aufmerksamer Leser beanstandete zu Recht, dass hier das Verhältnis der Zuwächse zueinander angemessener wäre. Hier ist es:

Rot sieht nicht viel besser als blau aus, zwar kleiner, aber es gibt keinen Trend gegen 0.
Ich habe dazu eine ältere Datei ausgegraben, um diese beiden Verhältnisse mit denen im Frühjahr zu vergleichen. Da war das Verhältnis blau um ein halbes Prozent höher und rot auch etwas größer, aber nicht wesentlich.
Eigentlich wollte ich die Grafik mit den Todesfallzahlen nicht mehr zeigen. Ich mache heute eine Ausnahme, weil sie mächtig in Richtung 100.000 zeigt. Das hätte ich mir nie vorstellen können:

Innerhalb von vier Wochen stieg die Rate von 94.000 auf 96.000, vielleicht wird die 100.000 noch dieses Jahr erreicht, wenn sich der Zuwachs pro Tag bei etwa 70 einpendelt.
Die Zuwächse pro Tag verheißen nichts Gutes.

Vergleichen wir diese Grafik mit der Grafik aus der Datei mit Verhulst-Wendepunkt ab 22. Juli 2021, um zu zeigen, wie sehr wir uns verschlechtert haben:

Das Minimum lag bei knapp über zehn pro Tag!
Noch einige Meldungen:
In den absoluten Zugängen pro 28 Tage haben wir uns kräftig nach oben gearbeitet und liegen jetzt gleich hinter Indien an 7. Stelle in der Welt, noch vor Brasilien und dem Iran und weit vor Frankreich und Spanien oder Italien, auch in den Inzidenzen. Vietnam hat etwas mehr Einwohner als die Bundesrepublik und war vor einigen Monaten noch vor uns. Jetzt haben sie weniger als ein Drittel unserer Zuwächse.
Musterknabe war einmal.
Über Martin Lindner

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