Dr. Tanja Pferdekämper: "Ob Sie es planen oder nicht, Probanden neigen zunehmend dazu, Online-Befragungen auf ihren mobilen Endgeräten zu beantworten"

Dr. Tanja Pferdekämper, Globalpark AG

Dr. Tanja Pferdekämper, Globalpark AG

Anfang März fand in London zum zweiten Mal die von Globalpark veranstaltete Mobile Research Conference statt. Welche Rolle Mobile Research derzeit in der Marktforschungsbranche spielt und wie die Zukunft mobiler Marktforschung aussehen könnte, erörtert Dr. Tanja Pferdekämper (Head of Consulting bei Globalpark) im Interview mit marktforschung.de.

marktforschung.de: Frau Dr. Pferdekämper, am 09. März ging in London die zweite Mobile Research Conference zu Ende. Wie ist Ihr persönliches Fazit?

Tanja Pferdekämper: Es war eine spannende Veranstaltung mit interessanten Vorträgen und Diskussionen aus Wissenschaft und Praxis. Die Zahl der Teilnehmer, die hohe Qualität der Fachbeiträge und die angeregten Diskussionen in den Panels haben gezeigt, dass "Mobile Research" längst in der Praxis angekommen ist. Auch wenn es sich weiterhin um ein junges Forschungsfeld mit Nischencharakter handelt, so ist es doch eine ernstzunehmende und anerkannte Methode der Datenerhebung mit großem Potenzial. 

marktforschung.de: Was hat sich im Vergleich zur Veranstaltung im Vorjahr verändert?

Tanja Pferdekämper: Die Veranstaltung ist mit 120 Teilnehmern aus 19 Ländern größer und noch internationaler geworden. Aufgrund des Feedbacks zur MRC 2009 gab es dieses Jahr einen Workhsop zu "Mobile Research". Es wurde viel getwittert. Live-Tweets wurden direkt aufgegriffen und in die Paneldiskussionen integriert. Mobiles Internet und unmittelbares Feedback waren somit nicht nur Thema der Konferenzbeiträge, sondern wurden aktiv von den Teilnehmern gelebt. Sie zeigten sich interessiert, engagiert und auch kritisch gegenüber den noch jungen Technologien und Methoden und so kam es neben sehr aktiven Diskussionen auf der Twitterwand auch zu angeregtem Austausch in den Pausen. Neue Formate waren in diesem Jahr zwei Podiumsdiskussionen sowie eine "Head-to-head"-Diskussion, in denen renommierte Experten aus der akademischen und betrieblichen Marktforschung kontrovers diskutierten, welchen Stellenwert die mobile Marktforschung heute schon erlangt hat und welche Potenziale sie noch birgt.

marktforschung.de: Warum "Mobile Research"? Wo sehen Sie die wesentlichen Vorteile?

Tanja Pferdekämper: Ob Sie es planen oder nicht, Probanden neigen zunehmend dazu, Online-Befragungen auf ihren mobilen Endgeräten zu beantworten. Zudem gehen die Möglichkeiten, die mobile Marktforschung bietet weit über die reine Datensammlung hinaus. Sie ermöglicht wertvolle, situationsbezogene Einblicke, Zugang zu Nischen-Zielgruppen und für den Teilnehmer eine komfortable Möglichkeit, jederzeit und nahezu überall Feedback zu geben. Die mobile Marktforschung ist ein innovatives Verfahren, welches das traditionelle Befragungsportfolio optimal ergänzt. Darüber hinaus eröffnet die mobile Marktforschung für bestimmte Fragestellungen wie z.B. im Bereich der Werbewirkungsforschung von Mobilportalen, PoS-Evaluationen sowie Pulsbefragungen bei Fach- und Führungskräften einen effizienteren Informations-Zugang als dies bislang möglich war.

marktforschung.de: Stichwort Webbrowser auf Handys – wie schätzen Sie die technischen Herausforderungen für die mobile Marktforschung ein?

Tanja Pferdekämper: Die große Heterogenität und schnelle Veränderungen im Markt für mobile Endgeräte stellen erhebliche technische Anforderungen an die Umfragesoftware für mobile Marktforschung. Hinzu kommt, dass die Funktionen und Abbildungsmöglichkeiten im Vergleich zu Browsern, die am Desktop genutzt werden, eingeschränkt sind. Für den erfolgreichen Einsatz von webbasierten Befragungen auf mobilen Endgeräten ist die optimale Darstellung der Umfrage entscheidend. Die Beantwortung der Fragen muss unabhängig vom jeweiligen Gerätetyp einfach und eindeutig sein, um valide Ergebnisse zu erzielen. Häufig wissen wir im Vorfeld nicht, mit welchem Endgerät der Teilnehmer auf die Befragung zugreift (z.B. anonyme Befragungen auf Mobilportalen). Die optimale Usability mobiler Befragungsprojekte ist daher für die Entwicklung unserer Software ein zentrales Thema: Die Ausgaben der Fragebogenseiten erfolgt automatisch für die verschiedenen Ausgabeformate optimiert. Gemeinsam mit Professor Michael Bosnjak (Freie Universität Bozen) und Praxispartnern (Yoc, Respondi) haben wir die Usability von verschiedenen Fragetypen analysiert: Einfach- und Mehrfachauswahl, Matrixfrage, semantisches Differential, Bilderfragetyp und offene Textfrage. Die Ergebnisse zeigen für Studien in 2008 und 2009 gute Ergebnisse hinsichtlich Benutzbarkeit und Akzeptanz über alle von den Teilnehmern eingesetzten Gerätetypen hinweg. Auch kritische Aspekte wie Lesbarkeit und Bedienbarkeit der Fragetypen wurden von den Teilnehmern positiv bewertet. Da sich die Webbrowser auf Handys ständig weiterentwickeln sind zusätzlich zu regelmäßigen Grundlagenstudien umfangreiche technische Pretests bei mobilen Befragungsprojekten wichtig.

marktforschung.de: Hat sich die Reichweite für mobile Befragungen in den letzten zwölf Monaten signifikant erhöht?


Tanja Pferdekämper: Vorab sei gesagt, dass die mobile Internetnutzung und somit auch mobile webbasierte Befragungen generell noch Nischencharakter haben. Dennoch ist das Wachstum enorm: In den letzten zwei Jahren stieg die mobile Internetnutzung um fast 400%. Zahlen speziell zur Reichweite mobiler Befragungen liegen mir leider nicht vor. Hier bin ich auf die Ergebnisse der AGOF Kommission Mobile gespannt, die sich diesem Thema widmet.

Ich möchte Ihre Frage aber dennoch gerne beantworten. Aufgrund der rasanten Entwicklung des mobilen Internets und insbesondere der mobilen Werbung einerseits, sowie meiner Beobachtung von mobilen Befragungsprojekten und den Diskussionen auf der MRC 2010 andererseits, denke ich: Ja, die Reichweite für mobile Befragungen hat sich in den letzten zwölf Monaten deutlich erhöht. Und wir sind erst am Anfang.

marktforschung.de: Rückläufige Teilnehmerzahlen bei Telefonumfragen, Panelmortalität – wie schätzen Sie die Akzeptanz von Mobile Research ein?

Tanja Pferdekämper: Die Akzeptanz von Mobile Research schätze ich als hoch ein, insbesondere bei den Zielgruppen, die sich auch jetzt schon regelmäßig im mobilen Web bewegen. In unseren Studien gibt es auch einige Personen, die aufgrund der Einladung zur mobilen Befragung das erste Mal mit ihrem Handy mobil online gehen. Verglichen mit dem traditionellen Festnetzanschluss zeigt sich, dass Handy-Verträge überproportional steigen und viele Personen ihren Festnetzanschluss sogar komplett abschaffen. Es wird also immer schwieriger, Personen für telefonische Befragungen zu rekrutieren. Im Panelbereich machen wir die Beobachtung, dass Panelisten Online-Befragungen so aufrufen, wie es für sie gerade bequem ist. Immer häufiger wählen sie das mobile Web. Vor dem Hintergrund beider Entwicklungen ist mobile Marktforschung also eine gute Ergänzung. Wenn es um Akzeptanz geht, spielt natürlich auch das Thema "Kosten" für die Teilnahme an der Befragung eine wichtige Rolle. Gut ist, dass Flatrates auch für das mobile Web immer häufiger angeboten werden und damit Kosten als Determinante der Teilnahme wahrscheinlich zunehmend in den Hintergrund treten.

marktforschung.de: Wie sind erfahrungsgemäß die Rücklaufzahlen?

Tanja Pferdekämper: Wie auch bei herkömmlichen Befragungen kann ich ihnen hierzu nicht "die" Rücklaufzahl nennen. Auch bei mobilen Umfragen beobachten wir, dass Faktoren wie Thematik, Involvement und Kommunikationsrahmen eine Rolle spielen. Eine Steigerung der Rücklaufquoten gegenüber Online-Befragungen auf dem Desktop wurde uns von Kunden im Bereich der mobilen Werbewirkungsforschung und bei kurzen Zufriedenheitsbefragungen im B2B Bereich rück gemeldet.  

marktforschung.de: Bis sich neue Methoden und Produkte in einer Branche bzw. einem bestimmten Markt durchsetzen, dauert es in der Regel eine Weile. Wird Mobile Research aus Ihrer Sicht in der Branche ernst genommen?

Tanja Pferdekämper: Ja, aus meiner Sicht wird Mobile Research in der Branche ernst genommen. Das zeigen die steigende Teilnehmerzahl auf der MRC 2010, die Zunahme von Veröffentlichungen zur Methode und auch die wissenschaftliche Forschung. Man ist sich einig, so meine Erfahrung, dass mobile Marktforschung kein Hype, sondern eine ernstzunehmende Methode ist. Nichts desto trotz scheuen einige Marktforscher noch den Einsatz und warten ab, wie sich die Methodik und der Markt für mobile Endgeräte weiter entwickeln, so mein Eindruck.

marktforschung.de: Was erwarten Sie hinsichtlich der Entwicklung von Mobile Research in den nächsten fünf Jahren?

Tanja Pferdekämper: Mehr und mehr Konsumenten gehen über ihr Handy online. Es erscheint nur logisch, dass mobile Marktforschung bald Alltag wird. Dabei wird sie andere Datenerhebungsmethoden nicht ersetzen, sondern wunderbar für bestimmte Forschungsfragen und Zielgruppen ergänzen. Die Erfahrungen im Praxiseinsatz sowie Grundlagenstudien aus der universitären Forschung werden dazu beitragen, derzeitige Barrieren bei Marktforschern oder Entscheidern abzubauen. Ich denke auch, dass die Zunahme von Flatrates für das mobile Internet den stärkeren Einsatz mobiler Marktforschung begünstigen wird. Kurz: Ich sehe hier eine ähnliche Entwicklung wie im Bereich der Online-Marktforschung. Und, wer weiß, ob wir 2015 überhaupt noch zwischen Online- und Mobile-Research unterscheiden oder sie nicht miteinander verschmolzen sind.

marktforschung.de: Wird es eine MRC 2011 geben?

Tanja Pferdekämper: Der Erfolg der diesjährigen Konferenz und die andauernden Diskussionen haben uns veranlasst bereits mit der Planung der MRC 2011 zu beginnen. Anregungen und Ideen, welche Themen vorgestellt und diskutiert werden sollen, nimmt das MRC-Komitee gerne über www.mobileresearchconference.com entgegen.

marktforschung.de: Frau Dr. Pferdekämper, vielen Dank für das Interview!

 

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