Dr. Markus Eberl: "Wir können nicht davon ausgehen, dass viele Befragte mobil ein 30-minütiges Interview beantworten werden"

Dr. Markus Eberl, TNS Infratest
Dr. Markus Eberl leitet den Bereich Applied Marketing Science bei TNS Infratest. Im Interview mit marktforschung.de äußert er sich zur wachsenden Bedeutung von Befragungen über Smartphones und Tablets und den daraus resultierenden Problemstellungen für die Marktforschung.
Mehr zu diesem Thema lesen Sie auch im DGOF-Whitepaper "Mobile Befragungen: Was Big Data mit kleinen Geräten zu tun hat".
marktforschung.de: Herr Dr. Eberl, wie würden Sie sagen, lässt sich der Begriff "Big Data" am Treffendsten definieren?
Markus Eberl: "Big Data" hat als Begriff zunächst mal einen technischen Hintergrund und bezieht sich im engeren Sinne auf alle Arten von großen und größten Datenmengen im Exabyte-Bereich – wie sie zum Beispiel in sozialen Netzwerken oder bei Internetsuchmaschinen anfallen. Aber auch große Mengen von Kundendaten – z.B. die technischen Nutzungsdaten, die bei einem Telekommunikationsanbieter anfallen, sind "big" in diesem Sinne. Die Herausforderungen, die sich in der Analyse dieser Art von Daten stellen sind also vor allem auch technische Herausforderungen an die verarbeitenden IT-Systeme – Server und Datenbanken. Dies stellt für uns als Marktforscher weniger ein Problem dar, denn es gibt diese technischen Lösungen und wir sind es schon lange gewohnt, auch komplexe Analysetechniken auf Millionen von Datensätzen einzusetzen.
Tatsächlich geht die "Big-Data"-Herausforderung aber noch viel weiter – und das ist auch die eigentliche Problemstellung für die Marktforschung: es geht bei all diesen Datenmengen, die innerhalb und außerhalb von Unternehmen generiert werden vor allem darum, dass es sich hierbei um viele verschiedene Arten von Daten handelt – dies können textuelle Informationen sein wie Foren- und Blogbeiträge oder Tweets, aber auch technisch generierte produktnutzungs- oder Verhaltensdaten wie im Beispiel des Telekommunikationsanbieters. Das Wissen über die Zusammenhänge in diesen verschiedenartigen Daten ist ein Schatz, den es mit Techniken zu heben gilt, die technisch dem "Big-Data"-Arsenal entstammen – also Analysetechniken des Data Mining, Text Mining, Web Mining usw.
Wenn Sie so möchten, besteht die Herausforderung von "Big Data" also in der Integration von unterschiedlichen Datenquellen. Nicht jedes Unternehmen hat unbedingt große und in diesem Sinne größte Datenmengen, steht aber vor demselben Problem: "messy data", also unstrukturierte und diverse Datenquellen integrieren zu wollen, um diese Daten inwertzusetzen, zu veredeln. Der Mehrwert dieser integrierten Analysen zum Beispiel für Prozessoptimierungen im Vertrieb und Service kommt lohnt sich auch schon bei "üblichen" Datenmengen wie wir sie in der Marktforschung gewohnt sind.
Wir sprechen daher lieber von "Data Integration", wenn wir uns mit der Herausforderung neuer und unterschiedlicher Datenquellen konfrontiert sehen.
marktforschung.de: Mittlerweile wird die Einführung neuer Smart Phones oder Tablets jedes Mal von einem unglaublichen Medien-Hype begleitet – zumindest dann, wenn die einschlägigen Platzhirsche mit neuen Gerätschaften auf den Markt kommen. Demnach könnte man den Eindruck gewinnen, dass kaum noch jemand mit herkömmlichen Devices wie Laptop oder Desk Top PC ins Internet geht. Das allein stimmt so nicht, gleichwohl nimmt der Trend zur mobilen Internetnutzung weiter zu. Welches sind aus Ihrer Sicht die wesentlichen Implikationen für die Marktforschung?
Markus Eberl: Gerade zu diesem Thema ist gerade ein Whitepaper der DGOF erschienen, in dem ich dieser Frage nachgehe: Wir beobachten – wie die anderen Marktforscher sicherlich auch – eine zunehmenden Zugriff auf unsere Interviews von mobilen Endgeräten - smartphones und tablets - aus. Das ist nur konsequent: durch die zunehmende Verbreitung der Endgeräte hat sich unser Informationskonsum örtlich verlagert: wo früher noch der Fernseher zu Hause die einzige Informationsquelle war – die später durch den PC ergänzt wurde, aber immer noch ortsgebunden war – hat sich heute eine ad-Hoc-Nutzung von Informationen unterwegs begeben. Die Menschen sind nicht nur mobil für Befragungen per Telefon erreichbar, sie erhalten auch eMails auf das Smartphone und können auf Internetseiten zugreifen. Das bedeutet einerseits wieder etwas technisches: Unsere schicken Online-Fragebögen werden auf kleineres Displays und Auflösungen dargestellt, für die sie unter Umständen nicht konzipiert wurden. Viel einschlägiger ist aber #break# die geringere Aufmerksamkeit der Befragten, wenn sie eine Befragung in der U-Bahn beantworten. Die Länge des möglichen Interviews wird dadurch abnehmen, es wird zu größeren Datenqualitätsproblemen kommen, wenn wir die Befragungen für mobile Befragte nicht kürzer machen. Hierzu zeigt das Whitepaper einige Möglichkeiten auf, wie man Befragungen modularisieren kann und dennoch die Analysefahigkeit des Gesamtdatensatzes erhalten kann. Hier kommen wiederum die Big-Data-Techniken zum Einsatz, auch wenn die generierten Datenmengen gar nicht „groß“ im technischen Sinne sind.
marktforschung.de: Stellen Mobile Devices Ihrer Einschätzung nach ein adäquates Kontaktmedium für bestimmte Zielgruppen dar, die anders für Befragungsprojekte nur schwer erreichbar wären?
Markus Eberl: Dies ist ein guter Punkt – eine einfache Möglichkeit, das "Problem" der Online-Befragungen auf kleinen smartphone-Displays zu umgehen könnte man nun darin sehen, dass man einfach die Beantwortung per smartphone oder tablet ausschließt. Derzeit sind die Anteile der "Online-Mobile-Onlys" auch noch nicht so hoch, dass man um die Samplequalität fürchten muss. Der Trend wird sich jedoch fortsetzen und in der nächsten Zeit zu ähnlichen Fragen wie bei Telefonstichproben führen. Es gibt auch heute schon bestimmte Zielpersonen, die in ihrem Privatleben keinen PC mehr besitzen, sondern nur noch auf Smartphone und Tablet setzen. Diese sehr netzaffinen Online-Mobile-Onlys sind daher gut durch diese Mobile-Device-Befragungen gut erreichbar.
marktforschung.de: Möchten Menschen, wenn Sie unterwegs sind, wirklich an Umfragen teilnehmen?
Markus Eberl: Wenn die Befragung für die Teilnehmer Spaß macht, nicht ermüdend ist und ansprechend – also passend für das Gerät aufgemacht ist – auf jeden Fall! Es ist ein schöner Zeitvertreib, sich mit einem Thema zu beschäftigen, das interessant ist und bei dem man ggf. auch noch incentiviert wird. In der grundsätzlichen Teilnahmebereitschaft sehe ich keine Unterschiede zwischen "klassischem Online" und den Online-Mobile-Onlys.
marktforschung.de: Sie haben das Thema eben schon angesprochen: Womit kann man aus Ihrer Sicht dem Problem begegnen, dass Menschen, die auf Mobile Devices an Umfragen teilnehmen, diesen nicht die ganze Aufmerksamkeit widmen, eben weil sie unterwegs sind oder aber bei der Nutzung zu Hause das Tablet eher als "Second Screen" fungiert?
Markus Eberl: Wir sehen auch einen Trend zu Gamification, also Geräte, Software und auch Befragungen so zu gestalten, dass sie Spaß machen und trotz ernstem Hintergrund spielerisch einfach zu bedienen sind. Dies passiert durch eher gestalterische Dinge wie grafische Aufbereitungen, slider, interaktive Felder, die Befragte verschieben statt endlose Matrizen von Ratingskalen durchzuklicken – aber auch durch Formen von Fragestellungen. Dadurch kann die Aufmerksamkeit deutlich gesteigert werden. Gleichzeitig sind aber – wie ich schon erwähnte – langen Befragungen Grenzen gesetzt, denn wir können nicht davon ausgehen, dass viele Befragte mobil ein 30-minütiges Interview beantworten werden. Daher bietet sich die Modularisierung als möglicher Ausweg an: mehr Teilnehmer pro Interview wobei die mobilen Nutzer nur jeweils einen Teil des Interviews ausfüllen.
Es ergeben sich jedoch dann Probleme, wenn multivariate und korrelative Zusammenhänge zwischen Variablen vorgenommen werden sollen, die nicht im selben Modul abgefragt wurden. Da die gesamte Datenmatrix über alle Befragten jedoch systematisch Blöcke von fehlenden Werten aufweisen wird, sind ohne weitere Abhilfe zunächst keine Berechnungen möglich. Um die Korrelation z.B. zwischen einer Teilzufriedenheit und einer Einstellungsfrage zu errechnen, müssen diese beiden Variablen bei jedem Befragten vorliegen. Wenn diese Fragen aber Teil verschiedener Befragungsmodule waren und niemals von einer Person beantwortet wurden, blieben in diesem Beispiel keine Fälle zur Berechnung der Korrelation übrig. Dies ist das klassische Problem im Umgang mit fehlenden Werten. Hierfür bieten sich die im Whitepaper dargestellten Data Integration-Techniken an.
marktforschung.de: Zwar gibt es – anders als noch vor einigen Jahren – mittlerweile einen klaren Trend zu Android und iOs, dennoch ist die Zahl der im mobilen Bereich verwendeten technischen Systeme und Bildschirmauflösungen ungleich größer als bei herkömmlichen Systemen. Wie groß sind nach wie vor die technischen Herausforderungen bei Mobile Research?
Markus Eberl: Damit sprechen Sie einen berechtigten Punkt an: die Herausforderungen sind derzeit aufgrund der sehr unterschiedlichen Bildschirmauflösungen der mobilen Geräte noch größer als bei stationären PCs, die mittlerweile ein Mindestmaß an Auflösung aufweisen. Der Trend geht aber auch bei den mobilen Geräten zu höherer Auflösung. Daher sehe ich die Herausforderung in der Zukunft mehr auf der inhaltlichen Seite, also bei den oben genannten Punkten, dem Aufmerksamkeitsdefizit der Befragten zu begegnen – als auf der Technischen.
marktforschung.de: Herr Dr. Eberl, herzlichen Dank für das Interview!
Weitere Informationen zum Unternehmen auf marktforschung.de:

Kommentare (0)
Noch keine Kommentare zu diesem Artikel. Machen Sie gerne den Anfang!
Um unsere Kommentarfunktion nutzen zu können müssen Sie sich anmelden.
Anmelden