Dr. Karin Dürr: "Die Informationsfülle hat uns bereits gezwungen, Infohäppchen zu uns zu nehmen."

Dr. Karin Dürr hat die Fachmedienlandschaft in der Marktforschungsbranche als Chefredakteurin und Verlagsleiterin von "planung & analyse" in den vergangenen Jahren entscheidend geprägt. Nun hat die studierte Soziologin angekündigt, ihre Tätigkeit zum Ende dieses Jahres niederzulegen. Im Interview mit marktforschung.de äußert sie sich zu ihrem Werdegang in der Marktforschung und zu den Veränderungen im Umgang mit Medien. 

marktforschung.de: Frau Dr. Dürr, Sie sind eine Persönlichkeit, die in Deutschland Marktforschungsgeschichte geschrieben hat. Wie haben Sie persönlich zur Marktforschung gefunden?

Karin Dürr: Das war schon im 2. Semester meines Soziologie-Studiums. Ich hatte mich ganz mutig für ein Hauptseminar zur empirischen Sozialforschung eingeschrieben und wurde dort mit der Auswertung des National Survey konfrontiert. Zu der Zeit kam SPSS aus den USA auf den deutschen Markt, wir haben noch mit Lochkarten gearbeitet. Damals hat mich der MaFo-Virus gepackt. Noch während des Studiums habe ich auch bei Marktforschungsinstituten und nach dem Diplom dann in der Marktforschung gearbeitet. Später, als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Frankfurt, habe ich mich dann sehr intensiv mit der qualitativen Marktforschung befasst.

marktforschung.de: Nach nunmehr 13 Jahren als Chefredakteurin von planung & analyse kündigen Sie zum Jahresende Ihren verdienten Ruhestand an. Die Zeitschrift trägt Ihre ganz persönliche Handschrift, und wann immer Autoren den Kontakt zu Ihnen suchen, sind sie als Ansprechpartnerin persönlich präsent. Wird die Zeitschrift auch in Zukunft mit soviel Energie und Herzblut geleitet?

Karin Dürr: Nun, ich kann kaum für meine Nachfolgerin sprechen, da wird jeder seinen eigenen Stil haben und finden. Ich bin der Typ, der alles, was er anfängt mit ganzem Herzen und Einsatz macht, weil mich neue Aufgaben immer sehr begeistern und herausfordern, und das hat bei mir während der ganzen 13 Jahre angehalten.

marktforschung.de: Sie haben in der Marktforschung Positionen bezogen, Kritik geübt, Diskussionen angestoßen und Meinungen geprägt. Dabei haben Sie auch Konflikte nicht gescheut. Gibt es rückblickend ein Thema, für das sich das Engagement besonders gelohnt hat?

Karin Dürr: Ja, in jedem Fall das Thema "Qualitätssicherung in der Online-Forschung". Als ich mit einigen Mitstreitern im Herbst 2000 NEON - Network Online Research - gegründet habe, waren wir gerade auf dem Höhepunkt der New Economy Blase, und jeden Tag wurde ein neuer Onlinefragebogen von Studenten durchs Internet getrieben. Auf einmal schien Marktforschung etwas zu sein, was jeder kann, das musste einfach diskutiert werden. Und zwar unabhängig von Statuten und Richtlinien der Verbände. Das hat mir damals viel Ärger eingebracht, aber schließlich ist NEON sogar vom BVM, dem Berufsverband der Marktforscher, übernommen worden.

Als nächstes ist sicherlich PUMa zu nennen, die Plattform Unternehmens-Marktforscher. Das ist wirklich mein Lieblingskind! Die betrieblichen Marktforscher sitzen überall verstreut, häufig sogar als Ein-Mann-Abteilung alleine, und ihnen fehlte dringend der aktuelle Erfahrungsaustausch mit Kollegen. Diese Online-Plattform ist eine höchst lebendige Angelegenheit, sie existiert seit 5 Jahren, die Teilnehmer kommunizieren via E-Mail und vier Mal im Jahr haben wir ein Plenum hier bei planung & analyse. Derzeit sind fast 330 Teilnehmer dabei. Über die Themen, über die sich die betrieblichen Marktforscher austauschen, sehe ich die ungeheure Bandbreite von Fragestellungen, der sich die betrieblichen Marktforscher gegenüber sehen.

Auf der anderen Seite bin ich beeindruckt von den vielen neuen Verfahren und Methoden, die in den Instituten entwickelt wurden, mit denen Antwort auf die Fragestellungen gegeben werden können.

marktforschung.de: Und gibt es rückblickend etwas, was Sie aus heutiger Sicht anders machen würden?

Karin Dürr: Im Moment fällt mir dazu nichts ein.

marktforschung.de: Sie haben immer ein gutes Gespür dafür bewiesen, was in der Marktforschungsbranche gebraucht wird. Das Thema haben Sie gerade schon angeschnitten: Vor 5 Jahren hat sich auf Ihre Initiative hin das Netzwerk betrieblicher Marktforscher PUMa gegründet und die heutige Mitgliederzahl von über 300 zeigt, wie wichtig die Initiative ist. Wie geht es ohne Sie mit PUMa weiter?

Karin Dürr: Nun, das wird meine Nachfolgerin, Dr. Gwen Kaufmann, sicherlich mit demselben Engagement weiter führen, da habe ich gar keine Zweifel. Das Netzwerk lebt ja auch aus sich selbst, so soll es ja sein!

marktforschung.de: Derzeit erleben wir eine sich verändernde Medienlandschaft und Verlagspolitik. Anfang des Jahres wurde bekannt, dass es keine Buchversion des Brockhaus mehr geben wird, Herausgeber von Marktforschungsstudien verkaufen Studien über das Internet als pdf-Dateien und die Welt titelt "Das E-Book ist der Star der Buchmesse". Glauben Sie, dass es in 10 Jahren noch gedruckte Zeitschriften geben wird?

Karin Dürr: In der heutigen Zeit ist es sicherlich schwierig, Prognosen für einen weiteren Zeitraum von 10 Jahren zu machen. Ich glaube, dass es einen Generationswechsel geben wird: diejenigen, die mit Computer aufgewachsen sind und nicht mehr im klassischen Sinne lesen können, werden sicherlich mit dem Internet als Informationsmedium lernen und arbeiten. Solche Brüche gab es doch immer schon. War es für unsere Großeltern noch selbstverständlich, dass sie lange Gedichte lasen und auswendig lernten, so haben wir das schon nicht mehr gemacht.

Die Informationsfülle hat uns bereits gezwungen, Infohäppchen zu uns zu nehmen. Denken Sie an Präsentationen: Wer würde dort eine lange Abhandlung im Stil einer Vorlesung vorlegen? Das machen wir heute mit Charts, dazu drei, vier Sätze im Telegramm-Stil. Das wird sich weiter reduzieren, davon bin ich überzeugt. Aber ich glaube nicht an das E-Book, weil das Buch in anderer Hülle ist. Ich glaube, dass wir uns überall ins Netz einklicken werden können und dort Texte abrufen. Nur wenige werden noch "lesen", so wenig wie heute nur noch wenige Hausmusik machen.

marktforschung.de: Zum Abschluss noch eine persönliche Frage: Man kann sich die Marktforschungsbranche und besonders planung & analyse nicht ohne Sie vorstellen. Was machen Sie ab 2009? Werden wir Marktforscher auch in Zukunft von Ihnen hören?

Karin Dürr: Ach, kein Mensch ist unersetzlich, alles geht doch weiter, da kommt nun ein neuer, frischer Wind und das ist auch gut so, das habe ich ja so gewollt. Ich werde mich ins Privatleben zurückziehen, es gibt so vieles, dass ich all die Jahre hinten an gestellt habe. Sie alle kennen das ja, man kommt neben der Arbeit zu nichts mehr und verarmt kulturell! Ich freue mich, endlich mal all das tun zu können, was mich interessiert, ich möchte gerne einige kreative und auch musische Fertigkeiten verbessern. Nur immer mit dem Kopf zu arbeiten, erscheint mir inzwischen dann doch zu einseitig, und so lange ich noch so fit bin, möchte ich mich an anderem erproben und neue Herausforderungen annehmen. Natürlich wird mich das eine oder andere an der Marktforschung hinter meinem Ofen vorlocken können. Schau’n wir mal!

Zur Person:

Dr. Karin Dürr hat Soziologie, Statistik und Sozialpsychologie an der Universität Frankfurt am Main studiert. Während des Studiums und nach dem Diplom arbeitete sie in der Marktforschung. Nach dem Studium war sie fünf Jahre wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für empirische Sozialforschung der Universität Frankfurt, wo sie auch promovierte. Danach war sie einige Jahre bei einer internationalen Unternehmensberatung, bei der sie die Forschungsabteilung aufbaute, tätig. Anschließend machte sie sich als Marktforscherin selbständig. Seit 1995 ist sie Chefredakteurin und Verlagsleiterin von planung & analyse, Deutscher Fachverlag, seit 2004 zusätzlich dort auch Leiterin der Zentralen Marktforschung.

 

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