Dr. Jens Cornelsen: "Ich sehe drei Trends: Online, Datenschutz und die stärkere Vernetzung von Marktforschung und Marketing"

Dr. Jens Cornelsen (defacto) im InterviewDr. Jens Cornelsen, Geschäftsführer der defacto research & consulting GmbH, stand marktforschung.de im Rahmen der "Research & Results 2008" am ersten Messetag zum Interview zur Verfügung. Die Fragen für marktforschung.de stellte Sabrina Gollers. 

Das Interview können Sie hier als Videopodcast abrufen.

Sabrina Gollers: Neben mir steht jetzt Dr. Jens Cornelsen, Geschäftsführer von defacto research. Herr Dr. Cornelsen, Sie haben auch hier einen Stand auf der Research & Results Marktforschungsmesse: Mit welchen Erwartungen sind Sie denn hier hergekommen, und wurden diese Erwartungen bislang schon erfüllt?

Jens Cornelsen: Ja. Zur letzten Frage: Ich würde sagen, die Erwartungen sind schon nach einem halben Tag sehr gut erfüllt, wir haben sehr viele Kontakte gemacht, und es war ja auch Ziel der Veranstaltung heute. Wir sind das zweite Mal da und können jetzt eigentlich schon sagen, dass die Frequenz bei uns und das Interesse an den Themen, die wir anbieten, sehr groß ist.

Wir sind eigentlich aus zwei Gründen hergekommen. Zum einen wollen wir natürlich sehen, was sich sozusagen in der Branche tut - einfach mal sehen , welche Tools, welche Instrumente, welche Themen so hochkommen, und da zeichnen sich ja auch schon einige Trends ab. Ich sag nur ein paar Stichworte: Online-Marktforschung, Web 2.0 Anwendungen etc.

Und als zweites ist das natürlich für uns als mittelständiges Unternehmen auch immer eine Form der Akquise. Wir nutzen die Messe sehr stark als Akquiseplattform, und auch da haben wir schon erste interessante Kontakte jetzt bis zum Mittag machen können.

Sabrina Gollers: Sie haben schon die Trends angesprochen: Was sind denn für Sie die größten Marktforschungstrends der Zukunft?

Jens Cornelsen: Ich denke, auch ein Gang über die Messe zeigt uns das gut. Es gibt 3 Trends aus meiner Sicht: Das eine ist online, online, online. Es dreht sich eigentlich alles mehr oder weniger um Onlinethemen, viel stärker als noch im letzten Jahr. Stichworte wie Online-Reseach, Online-Erhebungsverfahren, Web 2.0 Anwendungen, Block-Analysen, es gibt Foren, es gibt Workshops zu den Themen, also das ist für mich ein ganz großes Thema. Ob es die Optimallösung ist in der Erhebungsfrage, ist eine andere Sache, aber ich denke einfach, wir kommen da gar nicht mehr aus diesem Zug weg.

Das zweite Thema ist für mich eher ein politisches, das ist das Thema Datenschutz, Datenschutz, Datenschutz. Ob wir es wollen oder nicht, wir kommen als Marktforscher in ein Fahrwasser, wo wir wahrscheinlich sehr betroffen sein werden von den Diskussionen, die es um Kaltanrufe, um Verbot von Direktmarketingaktionen und ähnlichen Themen gibt. Insbesondere denke ich, dass die Anbieter von Telefondienstleistungen im Bereich Marktforschung da Probleme bekommen werden.

Den dritten Trend, den ich persönlich sehe - auch aus dem Umfeld aus dem ich komme -, ist die immer engere Vernetzung zwischen Marktforschung und Marketing. Das kennen wir ja so unter der Begrifflichkeit Factbased-Consulting. Und wenn man ehrlich ist bestand das Factbased-Consulting ja meistens darin, dass der Marktforscher oder die Marktforscher die Portfolios abgeliefert haben mit Lesehilfen. Da sehe ich dann schon noch eine Entwicklung, auf die wir zukommen, wo es einfach mehr darum geht, noch mehr in die Umsetzung einzusteigen, konkrete Umsetzungsprogramme, zum Beispiel ein Kundenkartenprogramm, ein Bonussystem oder ähnliches auch durchzuführen.

Also, das ist für mich auch ein Megatrend: von der Marktforschung Richtung Marketing - aber auch so die Impulse, die vom Marketing kommen. Marketing ohne Marktforschung ist eigentlich auch nichts wert. Also, diese Hin-Rück Beziehung, die wird immer mehr zunehmen aus meiner Sicht. Dieses reine "ich greife eine thematisch isolierte Marktforschungsstudie ab" - das wird aus meiner Sicht nicht die Zukunft haben.

Sabrina Gollers: Wir haben als ersten Punkt das Web 2.0 angesprochen, wie beurteilen Sie denn die Chancen, im Web 2.0 oder für das Web 2.0 zu forschen, und sind Sie dort auch aktiv?

Jens Cornelsen: Wir sind da ganz aktiv. Wie gesagt, als Mittelständler ist es natürlich relativ naheliegend, sich auch hier zu platzieren. Das tun wir sehr stark. Ca. 60% bis 70% unserer Studien laufen online. Wir haben zum Beispiel eine eigene Promotion aufgesetzt zum Thema Kunden-Kundenkommunikation im Internet. Da geht es um Prognosemodelle zum Beschreiben und zum Analysieren von Netzwerkeffekten im Web. Wir sind da schon relativ stark aufgestellt und setzen ganz stark auf das Pferd Online.

Sabrina Gollers: Als zweiten Trend haben Sie Datenschutz angesprochen. Die Bevölkerung ist ja immer weniger bereit, an Marktforschungsumfragen teilzunehmen. Wo sehen Sie denn eine Möglichkeit für die Marktforschung, dem entgegenzuwirken?

Jens Cornelsen: Ja, das ist eine schwere Frage. Da wird es mit Ehrenwertheit wahrscheinlich nicht langen. Ob wir es wollen oder nicht, werden wir da wahrscheinlich zu hundert Prozent in einen Topf geworfen und der heißt: da wird mit Daten umgegangen, da wird mit Umfragedaten umgegangen und das wird uns ganz schnell in eine Ecke drängen, in die wir eigentlich als Marktforscher nicht hingehören, aber automatisch wahrscheinlich hingedrückt werden.

Um es mal ganz pragmatisch zu beschreiben: Bei einem Anruf, der bei einem Konsumenten eingeht, da kann der Konsument auch nicht sofort entscheiden, ob es um einen Marketinganruf, einen Direktverkaufsanruf, einen Coldcall oder eben um eine Marktforschungsumfrage geht. Also, von daher tragen wir vielleicht nicht unbedingt Schuld an dieser Entwicklung, aber wir sind mit Sicherheit Leittragende. Wenn Sie fragen: "Was können wir tun?", dann kann ich nur sagen: Man muss einfach nach wie vor stark auf Seriösität gehen, auf Sauberkeit in der Erfassung, Sauberkeit in der Aufklärung bei Telefoninterviews, in der Aufklärung der Probanden, der Interviewten, was passiert mit den Daten, was ist mit der Freiwilligkeit und, und, und. An der Stelle wird es schwer sein für uns.

Sabrina Gollers: Wir stecken gerade weltweit in einer großen Finanzkrise. Machen Sie sich schon auf eine schwächere Auftragslage gefasst oder sehen sie vielleicht gerade in dieser Krise eine Chance für Marktforscher oder einen erhöhten Bedarf für Marktforschung?

Ich persönlich gehöre jetzt nicht zu denen, die in dieses Füllhorn rein stoßen, die sagen: "Für alles Schlechte dieser Welt ist jetzt die Finanzkrise zuständig." Wir persönlich haben ein fantastisches Geschäftsjahr hingelegt. Ich persönlich kann das für die defacto research noch nicht sehen, dass wir in irgendeiner Weise negativ beeinträchtigt sind. Gleichwohl ich mit einigen Kollegen auf der Messe gesprochen habe, da ist das Feedback sehr geteilt in der Frage. Es gibt natürlich Marktforschungsanbieter, die Projekte für Automobilhersteller machen, und da zeichnet sich die Krise ja schon ein bisschen ab.

Und das erste, was natürlich gespart wird, sind auch Marktforschungsbudgets und Marketingbudgets. Wir speziell von der defacto research spüren das noch nicht, aber wie gesagt: ich kann da auch nicht mittel- oder langfristig prognostizieren.

Die Frage nach der Chance: Ich denke Mal, ein Feld wie die Marktforschung mit einem Volumen von 20 Milliarden Euro wird nicht von heute auf morgen verschwinden. Der Druck, Marketingentscheidungen abzusichern, wird nach wie vor stark sein. Von daher glaube ich nicht, dass das Thema abgeschafft wird. Vielleicht werden die Rahmenbedingungen etwas anders sein. Der Druck auf Budgets, auf Marktforschungsbudgets wird sicherlich zunehmen. Aber ich sehe da durchaus auch eine gewisse Chance. Wenngleich es vielleicht auch temporär kurzfristig durchaus schmerzhafte Einschnitte geben kann.

Sabrina Gollers: marktforschung.de hat seit einiger Zeit auch einen Aktienindex bei sich auf der Homepage. Würden Sie denn auch Ihr privates Vermögen in Marktforschungsaktien investieren?

Jens Cornelsen: Ich bin in der Hinsicht ein konservativer Anleger. Ich würde es generell nicht tun einfach aus dem Grunde, dass man am Finanzmarkt beobachten kann, dass die Aktie von ein und demselben Unternehmen, wie Daimler, wie VW in der einen Woche tausend Euro pro Aktie wert sein kann und in der anderen Woche hundert Euro und das, obwohl das Unternehmen an sich ja stabil blieb und genau die selben Ausgangsvoraussetzungen hat und eigentlich nichts passiert ist. Und da muss ich ganz ehrlich sagen: das ist mir viel zu „gambling“-mäßig, als dass ich generell im Bereich Aktien groß investieren würde, gleichwohl ich für den speziellen Bereich der Marktforschung vielleicht noch mal eine Ausnahme machen würde.

Sabrina Gollers: Wie gliedert sich denn die defacto research in die defacto Gruppe ein, und was ist der Vorteil von mehreren Kompetenzfeldern unter einem Dach?

Jens Cornelsen: Ja, defacto research ist - wie Sie sagen - Teil der defacto Gruppe, eine eigene GmbH mit dem Thema Marktforschung. Es sind noch vier andere GmbHs: das ist eine Software GmbH, eine Kreativagentur, und wir haben noch eine Marketingagentur, die so etwas umsetzt wie Kundenkartensysteme, also z.B. Esprit Kundenkartensysteme, die komplett von defacto umgesetzt werden.

Es gibt also eine "Alles-unter-einem-Dach-Philosophie". Vorteil ist für uns konkret aus Marktforschungssicht: Wir haben natürlich zwei Standbeine. Das eine ist: wir arbeiten "stand alone", und wir verfügen über Marktforscher als Ansprechpartner, als Zielperson, als Zielpublikum. Deswegen sind wir auch auf der Messe hier. Auf der anderen Seite - und das schützt uns ein bisschen vor Finanzkrisen und ähnlichen Ereignissen - haben wir natürlich wunderbare Möglichkeiten, auf den Marketingprozesszug aufzuspringen. Das kann in der Vorphase eines Projekts sein, wenn es darum geht zu überlegen: führen wir eine Kundenkarte ein, wenn ja für welche Zielgruppen führen wir eine Kundenkarte ein, welche Do's und Don'ts sind zu beachten? Das ist ja Marktforschung, Umfragen sind da gefragt, im Sinne eines Gutachtens im Vorfeld einer Marketingentscheidung.

Wir können hinten drauf springen, in dem wir Erfolgsmessungen machen. Wir können z.B. wenn ein Kundenkartensystem krankt, rote Ampeln aufzeigen im System und sagen: "Mensch, geh doch mal in die Zielgruppe rein und guck doch mal, wo da die Schwächen liegen, wo die Probleme liegen." Also, wir haben da mehrere Standbeine, und für uns aus unserer Perspektive defacto research ist das einfach risikomildernd. Und das ist vielleicht der Grund, warum wir etwas unangreifbarer sind für Krisen, wie die Finanzkrise an dieser Stelle.

Sabrina Gollers: Haben Sie auch schon spezielle Tools für die Zusammenarbeit von Marktforschung und Marketingberatung entwickelt?

Jens Cornelsen: Ja, wie gesagt, das ist ja eine der großen USPs von der defacto Gruppe, dass man einfach Themen vernetzt. Ein Beispiel ist das Thema Empfehlungsmarketing. Wir haben ein eigenes Tool hier auf der Research & Results Messe, das sich defacto Empfehlungsmarketing nennt. Das ist unser Innovationstool 2009, auf das setzen wir sehr viel Hoffnung. Das ist eigentlich eine idealtypische Vernetzung von "Messen" und "Managen", also Messen im Sinne von "wir identifizieren Meinungsführer im Kundenstamm". Wenn wir die gemessen haben, geht es natürlich im nächsten Step darum, ein Meinungsführer-Marketingprogramm aufzusetzen, und das macht dann eigentlich eine Schwesterfirma im Wesentlichen, die defacto marketig und die defacto kreativ. Und die machen dann ein Umsetzungsprogramm. Das kann eine Anschlusskette im Dialogbereich sein, das können Kundenevents sein oder Meinungsführerevents und, und, und - also das klassische Instrumentarium des Marketing. Und da haben wir ganz gute Argumente als Marketingagentur, dass wir auch wirklich Factbased-Consulting - also die wirkliche Umsetzung - auch leben können.

Sabrina Gollers: Sie halten zum Thema Empfehlungsmarketing ja auch einen Workshop hier, warum ist da Innovation so wichtig?

Jens Cornelsen: Mit dem Thema Empfehlungsmarketing greifen wir ja letztlich nur einen Trend auf, der sich ja schon seit Jahren abzeichnet. Kunden werden immer demokratischer, immer mächtiger, immer mutiger - Stichworte Kundenintegration, Konsumenten kreieren ihre eigenen T-Shirts im Internet und so weiter. Es läuft einfach unheimlich viel in der Kunden-Kunden-Kommunikation. Dies einerseits offline, also so, wie wir jetzt hier stehen, wird über Produkte gesprochen, über Konsumentscheidungen, aber auch online. Und diesen Trend der Kunden-Kunden-Kommunikation greifen wir auf. Das ist Teil des Workshops, und das werde ich dann auch darstellen: Woher kommt dieses Sprechen über Kundenmeinungsführer, über Kunden-Kundenkommunikation? Ich greife das also auf und zeige, wie wir das mit unserem Tool verarbeiten im Sinne des Messen und Managen.

Sabrina Gollers: Und wer sind die Meinungsführer der Zukunft?

Jens Cornelsen: Das kann man so allgemein nicht sagen nach unserer Vorstellung. Es gibt also nicht diese so genannten allgemeinen Market-Mavens oder Meinungsführer, die man jetzt für Joghurt anspricht, für Automobil und für Atomkraftwerke. Die gibt es nicht. Man muss es produktgruppenspezifisch machen - das sieht man ja an einem selbst. Ich selber würde von mir vielleicht behaupten, ich bin so ein kleiner Meinungsführer beim Thema Automobil, aber nicht bei Tempo-Taschentüchern oder bei Joghurts. Und von daher muss man das produktgruppenspezifisch aufbohren, und das hat eigentlich relativ wenig mit dieser Vorstellung zu tun, Meinungsführer seien Journalisten, Politiker oder Professoren. Das ist eine andere Form des Meinungsführers. Wir greifen allerdings Kundenmeinungsführer auf und verargumentieren eigentlich, dass in jedem Kunden so ein kleiner oder großer Meinungsführer steckt.

Das ist der große Unterschied zu der klassischen Betrachtung der Market-Mavens: es gibt eine bestimmte Gruppe von Meinungsführern, die man adressenmäßig erfasst und die man einkaufen könnte, um sie dann marketingmäßig zu bearbeiten.

Sabrina Gollers: Vielen Dank, Herr Dr. Cornelsen, das war ein sehr spannendes Interview. Kommen Sie denn nächstes Jahr auch wieder zu der Messe?

Jens Cornelsen: Stand jetzt würde ich sagen: ganz klar! Das ist für uns ein tolles Forum. Wir spüren auch von der Frequenz, von der Besucherzahl her, dass hier wesentlich mehr Fachpersonen anwesend sind. Das macht die Sache für uns sehr attraktiv, und ich gehe ganz stark davon aus, dass wir nächstes Jahr wieder kommen.

Sabrina Gollers: Dann wünschen wir Ihnen noch viel Spaß und viel Erfolg bei dem Workshop morgen.

Jens Cornelsen: Vielen Dank!

 

Diskutieren Sie mit!     

Noch keine Kommentare zu diesem Artikel. Machen Sie gerne den Anfang!

Um unsere Kommentarfunktion nutzen zu können müssen Sie sich anmelden.

Anmelden

Weitere Highlights auf marktforschung.de