Dr. Holger Mühlbauer: "Die durch Normung verkörperte Selbstregulierung soll das Vertrauen der Öffentlichkeit und der Auftraggeber in die Marktforschung wahren und externe Eingriffe in die Forschungspraxis durch Gesetzgebung und Rechtsprechung vermeiden

Dr. Holger Mühlbauer, TeleTrusT Deutschland e.V.
Dr. Holger Mühlbauer war einer der Geschäftsführer im DIN Deutsches Institut für Normung e.V. und betreute als Secretary die Erarbeitung nationaler, europäischer und internationaler Dienstleistungsnormen. Er ist jetzt Geschäftsführer des IT-Sicherheitsverbandes TeleTrusT Deutschland e.V. sowie als Auditor für ISO 26362 in das marktforschungsbezogene ISO-Geschehen involviert. Im Interview mit marktforschung.de erläutert er die ISO-Normung und Zertifizierung nach ISO 26362 - "Access Panels in der Markt-, Meinungs- und Sozialforschung – Begriffe und Dienstleistungsanforderungen".
marktforschung.de: Herr Dr. Mühlbauer, Stichwort "ISO-Normung für Marktforschung" – was ist der Hintergrund?
Dr. Holger Mühlbauer: Als angewandte wissenschaftliche Forschung nimmt die Marktforschung das Grundrecht auf Forschungsfreiheit in Anspruch. Um die legitime Nutzung dieses Grundrechts in der Öffentlichkeit und gegenüber der Rechtsprechung erfolgreich darstellen zu können, muss überzeugend belegt werden, dass nicht nur die berufsethischen Verhaltensregeln eingehalten werden, sondern auch, dass Marktforschung nach anerkannten wissenschaftlichen Methoden durchgeführt wird. International akzeptierte Qualitätsnormen wie ISO 20252 für Dienstleistungen der Markt-, Meinungs- und Sozialforschung tragen dazu bei, diese Anerkennung als wissenschaftliche Forschung nachhaltig zu sichern. Die durch Normung verkörperte Selbstregulierung soll das Vertrauen der Öffentlichkeit und der Auftraggeber in die Marktforschung wahren und externe Eingriffe in die Forschungspraxis durch Gesetzgebung und Rechtsprechung vermeiden.
Die Entwicklung von brancheninternen Qualitätsstandards hin zu Qualitätsnormen steht in Deutschland in engem Zusammenhang mit der Dienstleistungsnormung auf europäischer und internationaler Ebene, einschließlich der Internationalisierung von Qualitätsstandards und Normen für die Marktforschung. Die Auftraggeber internationaler Studien müssen darauf vertrauen können, dass diese in den einzelnen Ländern mit vergleichbarer Qualität durchgeführt werden. Zeitlich parallel mit der Entwicklung der "Standards zur Qualitätssicherung in der Markt- und Sozialforschung“ durch die deutschen Verbände hatte die European Federation of Associations of Market Research Organisations (EFAMRO) europäische Qualitätsstandards für die Marktforschung entwickelt. Von EFAMRO ging auch die Initiative zur Entwicklung einer internationalen Norm für Markt-, Meinungs- und Sozialforschung bei der International Organization for Standardization (ISO) aus.
marktforschung.de: Wie nimmt Deutschland Einfluss?
Dr. Holger Mühlbauer: Seinerzeit gelang es in Deutschland, mittels eines eigens dafür konstituierten Arbeitsausschusses unter Vorsitz des ADM durch Zusammenarbeit der Verbände der deutschen Markt- und Sozialforschung deutsche Positionen in die Verhandlungen zu ISO 20252 erfolgreich einzubringen. Diese ISO-Norm ist mittlerweile gleichsam die Grundnorm der Markt- und Sozialforschung. Sie enthält unter anderem Anforderungen an die Qualitätssicherung in Markt- und Sozialforschungsinstituten einschließlich der Vergabe von Leistungen an externe Subunternehmer, an die Konzeption von Studien einschließlich der notwendigen Kooperation mit dem Auftraggeber, an die Erhebung der Daten bei quantitativen und qualitativen Studien einschließlich der Anwerbung und Schulung von Interviewern, an die Datenverarbeitung und das Datenmanagement sowie an die Berichterstattung gegenüber dem Auftraggeber.
Nach Abschluss der ISO 20252 regte Deutschland die Schaffung einer ergänzenden ISO-Norm für Access Panels an und betreute das Projekt federführend. Diese ergänzende Norm mit der Kennung ISO 26362 entstand unter internationaler fachlicher Moderation des ADM, namentlich Erich Wiegand. ISO 26362 "Access Panels in der Markt-, Meinungs- und Sozialforschung – Begriffe und Dienstleistungsanforderungen" ist seit Januar 2009 in Kraft und legt ergänzend zu ISO 20252 Definitionen und Anforderungen an Access Panels fest.
Anfang 2009 haben sich die maßgeblichen deutschen und österreichischen Verbände in einem gemeinsamen Arbeitsgremium zusammengefunden, das nunmehr vom Austrian Standards Institute von Wien aus organisatorisch betreut wird. Vorsitzender dieses Gremiums ist Erich Wiegand, stellvertretender Vorsitzender Emanuel Maxl (VMÖ). Dieses Gremium nimmt entscheidenden Einfluss auf die fortdauernden Aktivitäten auf ISO-Ebene.
marktforschung.de: Worum geht es bei der ISO 26362 für "Access Panels"?
Dr. Holger Mühlbauer: Diese Norm ist anwendbar auf alle Arten von Access Panels, insbesondere solche, die online rekrutiert und genutzt werden. Neben dieser Festlegung des Anwendungsbereiches und Begriffen und Definitionen enthält die Norm allgemeine Anforderungen und Maßgaben für
- Organisation und Verantwortung
- Rekrutierung von neuen Panelteilnehmern
- Vertraulichkeit und Transparenz
- Methoden der Rekrutierung
- Quellen der Rekrutierung
- Validierung der Identität
- Struktur und Größe
- Umgang mit den Profildaten der Panelteilnehmer
- Management des Access Panels
- Incentives
- Pflege und Aktualisierung der Profildaten von Panelteilnehmern
- Stichprobenziehung
- Fragebogen
- Pretest und Übersetzung
- Einladungen zur Teilnahme an Forschungsprojekten
- Validierung der Daten
- Berichterstattung an den Auftraggeber
- Pflichten gegenüber den Panelteilnehmern
- Pflichten gegenüber den Auftraggebern.
marktforschung.de: Was hat es mit Zertifizierung nach ISO 26362 auf sich?
Dr. Holger Mühlbauer: Basierend auf ISO 26362 wird interessierten Access Panel Providern seit Anfang 2010 eine Zertifizierung angeboten, bei der die Qualitätskriterien der Norm geprüft werden. Organisatorischer Träger der Zertifizierung ist die Austrian Standards plus GmbH. Das Zertifizierungsprogramm wurde durch den ADM und die DGOF (Deutsche Gesellschaft für Online-Forschung e.V.) gemeinsam mit Austrian Standards plus Certification erstellt. Durch die ISO-Norm sind sämtliche Arbeits- und Prozessabläufe bei Forschungsprojekten über Access Panels, von den gesamten Verantwortungs- und Managementstrukturen über die Rekrutierung der Panelmitglieder und die Validierung der Datensätze bis hin zum Reporting, berührt. In Österreich hat die ISO 26362-Zertifizierung Anfang dieses Jahres mit Marketagent.com begonnen, in Deutschland gehören ODC und respondi zu den Vorreitern.
marktforschung.de: Wie läuft die Zertifizierung ab?
Dr. Holger Mühlbauer: Interessierte Unternehmen richten eine entsprechende Interessensbekundung an Austrian Standards plus Certification und stellen im weiteren Verlauf einen formellen Antrag. Sie werden dann gebeten, entlang den Maßgaben der ISO 26362 bzw. auf Grundlage einer auf der Norm basierenden Fragenliste ihre Unternehmensprozesse zu dokumentieren. Der Zertifizierer übergibt die Prüfung der Dokumentation an einen Auditor und beauftragt diesen auch mit einer Vor-Ort-Auditierung. Anlässlich dieses i.d.R. eintägigen Termins werden die Dokumentationsaussagen durch den Auditor verifiziert. Sobald alle Fragen zufriedenstellend geklärt und etwaige Nachbesserungen vorgenommen wurden, wir das Zertifikat auf zwei Jahre erteilt. Danach wird der Fortbestand der normgerechten Gegebenheiten in regelmäßigen Abständen nachgeprüft. Das Verfahren ist kostenpflichtig, die Kosten halten sich aber in Grenzen.
marktforschung.de: Herr Dr. Mühlbauer - abschließend eine zusammenfassende Bemerkung?
Dr. Holger Mühlbauer: ISO 26362 ist die international maßgebende Referenz für Access Panel Anbieter. Mit der Zertifizierung können Anbieter ihre fachliche Seriosität unter Beweis stellen und dies im Wettbewerb deklarieren.
marktforschung.de: Herzlichen Dank für das Interview und die ausführlichen Erläuterungen!
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