Von wegen "Digital Natives" Digitalkompetenzen bei Kindern und Jugendlichen: Die oft verkannte Diskrepanz

Gemeinhin werden der heutigen Jugend sehr hohe digitale Fähigkeiten attestiert. Unter anderem Forschungsarbeiten zeigen jedoch, dass es nicht nur große Lücken gibt, sondern eine Diskrepanz zwischen Nutzen und Verstehen.

Kind vor dem PC

(Bild: picture alliance / Stanislav Kogiku / picturedesk.com | Stanislav Kogiku)

Es gibt wohl nur wenige Dinge, die so sehr für den Inbegriff „digitaler Eingeborener“ stehen wie ein junger Mensch, Mitglied von Generation Z oder -Alpha, der mit geradezu schlafwandlerischer Sicherheit und höchstem Fingertempo ein Smartphone bedient. Diesbezüglich sprechen selbst die Krankheitsstatistiken für sich: Ob „Handynacken“, „Display-Daumen“, „TikTok-Schulter“ oder Augenprobleme: All die körperlichen Begleiterscheinungen, speziell der Nutzung von Mobilgeräten, betreffen die heutige Jugend besonders stark.

Seitdem sich die Forschung jedoch näher mit diesen jungen Alterskohorten befasst, wird immer klarer, wie wenig sich die Ansicht von einer ganz und gar durchdigitalisierten und schon deshalb gleichermaßen äußerst digitalkompetenten Jugendgeneration halten lässt.

Das ist nicht zuletzt eine bedeutende Erkenntnis für die Arbeitswelt. Hier gehören digitale Kompetenzen und entsprechende Soft Skills zu den wichtigsten Schlüsselkriterien in sehr vielen Wirtschaftsbereichen. Entsprechend schlecht sieht die mittelfristige Situation aus, wenn die heute minderjährigen Fachkräfte von morgen nicht rasch nachlegen. Doch wo stehen die „Zoomer“ und „Alphas“ und wo hakt es bei ihnen?

1. Digitale Fachkräfte: Diese Kompetenzen sind besonders wichtig

Um zu analysieren, wie das Standing heutiger Kinder und Jugendlicher aussieht, ist es zunächst erforderlich, zu eruieren, welche digitalen Fähigkeiten in der heutigen und morgigen Arbeitswelt von besonderer Relevanz sind.

Das muss insbesondere unter demjenigen Eindruck betrachtet werden, wonach die Digitalisierung einerseits immer weitere berufliche Kreise zieht und andererseits immer vielfältiger wird.

In der Praxis werden hierbei fünf Kompetenzgruppen unterschieden. Das sind:

  1. Digitalinhalte: Bewusstsein für Besitz von digitalem Eigentum (etwa Urheber- und Persönlichkeitsrechte) und die Fähigkeit, Digitalinhalte zu kreieren und zu be- und verarbeiten.
  2. Information und Daten: Die Fähigkeit, digitale Informationen zu finden und zu bewerten, sie korrekt einzuordnen, zu analysieren, zu verwalten und zu schützen.
  3. Kooperative Kommunikation: Nutzen geeigneter digitaler Kommunikationsmittel, Verwalten des eigenen digitalen Ichs, digitales Interagieren und Kommunizieren unter Einbehaltung der speziellen digitalen Umgangs- und Verhaltensregeln.
  4. Problemlösung: Das umfasst die Fähigkeit, für bestimmte Herausforderungen eine entsprechende digitale Lösung finden zu können. Ebenso gehört hierzu das Vermögen, eigene Fähigkeitslücken sowie technische Schwierigkeiten erkennen und beheben zu können.
  5. Sicherheit: Wissen um und Verständnis für Gefahren des digitalen Raums sowie die Fähigkeit, Daten, Hardware und Menschen vor diesen Bedrohungen zu schützen.

2. Kinder und Jugendliche: Hohe Kompetenzen als digitale Konsumenten

Der junge Mensch als Idealbild eines digital Native. Der Grund für diese sehr breit vertretene Ansicht findet sich darin, wie sichtbar diese Generationen mit dem Internet, digitalen Geräten etc. umgehen. Dazu einige Zahlen:

Vor allem die verlinkten KIM- und JIM-Studien, regelmäßig erstellt vom Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest, bieten umfängliche Einblicke in das Digitalverhalten heutiger Minderjähriger.

Eine wichtige Erkenntnis heraus: Was das Nutzen anbelangt, sind diese Alterskohorten in der Tat sehr stark digitalisiert. Das gilt in besonderem Maße für Geräte und Medien, die direkt für den Endverbraucher konzipiert wurden. Hier stimmt die Aussage, wonach Deutschlands Jugend äußerst digital und miteinander vernetzt sei.

Allerdings lässt sich hieraus keineswegs auf eine universelle digitale Befähigung schließen. Denn vor allem hinsichtlich der weiteren Soft Skills im Umgang mit der Digitalisierung zeigt sich, wo die Lücken sind.

3. Nutzung ja, kompetenter Umgang nein

Wer lediglich sehr gut weiß, wie man ein Auto bedient, ist nicht automatisch ein guter Fahrer und kennt sich mit den Verkehrsregeln aus. Ganz ähnlich lässt es sich umschreiben, wie es mit den Digitalkompetenzen der Jugend bestellt ist.

Zwar sind die Kompetenzen hinsichtlich der Privatsphäre, speziell in sozialen Netzwerken, erfreulich hoch. So wussten 69 Prozent der vom Digitalbranchenverband Bitkom befragten Jugendlichen, wie man die Privatsphäre-Einstellungen sicherer macht – und 83 Prozent davon hatten es auch schon getan.

Jenseits solcher Meldungen zeigen sich jedoch immer wieder Kehrseiten:

  • Kinder und Jugendliche sind bis heute eher schlecht befähigt, was die gezielte Online-Suche nach Informationen anbelangt. Insbesondere, was das Vergleichen und Bewerten von Quellen bzw. Informationen anbelangt. Das deckt sich beispielsweise mit einer Statista/YouGov-Erhebung, wonach junge Erwachsene anfälliger für Verschwörungstheorien sind.
  • Junge Menschen neigen problematisch häufig dazu, digitale Geräte und Medien nebenbei zu benutzen. Dadurch weisen sie verminderte Lern- und vor allem Verstehensprozesse auf.
  • Viele Kinder und insbesondere Jugendliche (aufgrund deren umfassenderer Nutzung) zeigen sich bedenklich unbesorgt, im Internet digitale Spuren zu hinterlassen. Das zeigt sich unter anderem in der Bereitschaft, Bilder und andere persönliche Informationen preiszugeben. Vielen mangelt es hierbei an der Fähigkeit, sich korrekt zwischen Teilhabe- und Schutzbedürfnis zu entscheiden – und tendieren daher zu ersterem.
  • Kaum eine andere Altersgruppe ist so anfällig für Influencer-Werbung und die gruppendynamischen Wirkungen von sogenanntem Social Commerce – also dem Verkauf über soziale Netze. Meist in Form von Live-Veranstaltungen.
  • Zwar ist es unter Experten umstritten, ob das Programmieren von digitalen Inhalten heute zur schulischen Ausbildung grundsätzlich dazugehören sollte. Erwiesen ist jedoch das generell mangelnde Verständnis junger Menschen für die allgemeinen Funktionsweisen von IT. Etwa, wie ein Smartphone funktioniert oder die Informationsübertragung in einem Netzwerk geschieht. Gefährlich: Viele junge Menschen missinterpretieren ihr Wissen um das Erstellen von Accounts und das Downloaden/Installieren von Programmen/Apps als gute IT-Fähigkeiten.

Auf einen Punkt gebracht: Heutige Kinder und Jugendliche haben sehr gute Anwenderkenntnisse. Gleichsam weisen sie jedoch teils besorgniserregende Lücken hinsichtlich einer kompetenten Nutzung und des Verstehens technischer Hintergründe auf.

Wo es beispielsweise bei früheren Jugendgenerationen zwingend nötig war, sich tief mit der technischen Materie von Computern, Netzwerken etc. zu befassen, um diese nutzen zu können, sieht es heute anders aus. IT ist spielend leicht zu benutzen, setzt geringstes Vorwissen voraus. Aus diesem sehr hohen Komfort resultieren beträchtliche Lücken, die durch eine fachkompetente Erziehung geschlossen werden müssen.

Nicht zuletzt kommt hierbei noch der familiäre Hintergrund hinzu. Eine sehr umfassende Studie aus Anlass der Pandemie analysierte diesen zuvor wenig beachteten Faktor. Wichtige Quintessenz daraus:

Je älter Jugendliche werden, desto stärker hängt das Fortkommen ihrer Digitalkompetenzen von der allgemeinen Situation in ihrem Elternhaus ab. Die geringsten Kompetenzen finden sich demnach bei Jugendlichen mit zwei arbeitslosen Elternteilen. Es folgen weitere Abstufungen. Die höchsten digitalen Kompetenzen weisen diejenigen Kinder und Jugendlichen auf, bei denen mindestens ein Elternteil in einem MINT-Beruf arbeitet.

4. Gefahren durch künstliche Intelligenz

Insbesondere durch die Lücken bei Recherche und Quellen-/Informationsbewertung schlagen derzeit verschiedene Stellen Alarm aufgrund des Aufkommens von leicht benutzbarer, vergleichsweise leistungsfähiger künstlicher Intelligenz.

So forderte beispielsweise die Kommission für Jugendmedienschutz unlängst eine bessere Regulierung von KI zum Schutz von Jugendlichen. Andere Experten warnen unter anderem:

  • Die mangelnde Bewertungskompetenz kann zu Situationen führen, in denen junge Menschen KI-basierten Informationen zu großen bzw. bedingungslosen Glauben schenken.
  • Dadurch, und weil viele KI-Modelle durchaus fehlerbehaftet sind, können sich sowohl absichtliche als auch fehlerhafte Informationen leicht verbreiten und in diesen Altersgruppen hohen Glauben und entsprechende Verbreitung finden.
  • Gleichsam kann diese Technik es noch leichter machen, Kindern und Jugendlichen falsche Identitäten vorzutäuschen. Dadurch wird es ihnen noch schwieriger gemacht, beispielsweise Cybergrooming-Versuche selbsttätig zu entlarven.

Nicht zuletzt können künstliche Intelligenzen, erst recht ohne umfassende Prompt-Filter, es leicht machen, absichtlich und irrtümlich jugendgefährdende Medien zu erzeugen. Ein junger Mensch, der eigentlich ein jugendgerechtes Bild generieren möchte, kann sich deshalb unversehens mit beispielsweise erotischen oder gar pornographischen Inhalten konfrontiert sehen. Zumal es viele KI-Bildgeneratoren ermöglichen, das gezielt zu tun.

5. Zusammengefasst

Heutige Kinder und Jugendliche sind gleichzeitig so digital wie keine andere Generation und dennoch auf vielerlei Ebenen digital inkompetent. Das liegt primär daran, weil sie in eine Welt hineinwuchsen und -wachsen, in der IT generell auf eine maximal einfache Nutzung hin optimiert ist.

Dadurch besteht nicht zuletzt in der künftigen Arbeitswelt die große Gefahr, zwar eine Menge Nachwuchskräfte zu haben, die perfekt anwenden können, denen es aber an sehr vielen tiefergehenden Kompetenzen und Soft Skills mangelt – und sei es nur die Fähigkeit, in einem berufsbezogenen Video-Chat anders aufzutreten als in einem im privaten Freundeskreis.

Allerdings handelt es sich hierbei um eine Herausforderung, deren Beantwortung weit über die schulische Erziehung hinausgeht. Hier sind die Hersteller und Digitalkonzerne gefragt, damit Kinder und Jugendliche nicht zu verständnislosen Konsumenten und Nutzern heranwachsen – sonst könnte es dereinst schwierig werden, Fachkräfte zu finden, die IT von morgen und übermorgen nicht bloß bedienen, sondern gestalten können.

 

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