Bericht vom AGF Forum 2023 Digitale Medienwelt: „Daten sind und bleiben der Treibstoff für unsere Branche“

Zum ersten Mal fand das AGF Forum in der Frankfurter Union Halle statt. Mehr Platz musste her. Und das alte historische Gebäude entpuppte sich als idealer Standort. Die Gäste fühlten sich offensichtlich wohl auf der Veranstaltung, auf der es eine Menge Infos zu Medien, ihrer Reichweite oder Standards gab. Aber auch von einem neuen Monopol war die Rede.

Martin Andree sprach von einer monopolistischen Struktur in der digitalen Medienwelt, die es gilt, aufzubrechen. (Bild: marktforschung.de)

Die AGF Videoforschung ist der Ansprechpartner in Deutschland, wenn es um die Messung von TV- und Onlinevideo-Reichweiten geht. Die AGF liefert nach eigenen Angaben einen offenen Marktstandard für die Medien und Werbeindustrie – unabhängig vom Verbreitungsweg, Nutzungszeitpunkt, -ort oder Endgerät.

Diesen Standard entwickelt die AGF in enger Zusammenarbeit mit ihren Partnern und in enger Abstimmung mit Vertretern der werbetreibenden Unternehmen und Agenturen weiter. Neben den Gesellschaftern ARD, Discovery Communications Deutschland, Mediengruppe RTL Deutschland, ProSiebenSat.1 Media, Sky Deutschland, Viacom, WeltN24, Sport 1 und ZDF wirken Lizenznehmer, Werbetreibende und die Werbeagenturen gemeinsam aktiv an der Gestaltung des Forschungssystems der AGF Videoforschung mit. Die Hauptauftragnehmer der AGF sind die GfK SE in Nürnberg, das IT-Unternehmen DAP, Nielsen Media Research und die Datenspezialisten von Ankordata.

Wann und wo werden Bewegtbilder gesehen?

Die AGF investiert für ihre Tätigkeit jährlich einen zweistelligen Millionenbetrag. So ist sie in der Lage, umfänglich darüber Auskunft zu geben, wie, wann und wo in Deutschland Bewegtbild gesehen wird. Eine interessante Sache für Werbetreibende und Profis aus der Medienbranche. Entsprechend gut besucht war dann auch das AGF Forum 2023 „Mind the Gap“ in der Union Halle in Frankfurt, wo die Veranstaltung zum ersten Mal stattfand.

„Wir sind mit unserem Forum in dieses historische Gebäude gewechselt, weil wir in der alten Location nicht mehr genügend Platz für unsere Gäste hatten“, erklärte Juliane Paperlein, freie Journalistin und Moderatorin des Events. „Das passt.“

Und natürlich ging es wieder um Daten zu Messung der Medienreichweite von Bewegtbildern.

„Daten sind und bleiben der Treibstoff für unsere Branche“, so Paperlein.

Analog ist kein Thema mehr

„Wenn es um Bewegtbilder geht, ist analog heutzutage kein Thema mehr“, sagt Kerstin Niederauer-Kopf, Vorsitzende der Geschäftsführung bei der AGF. In TV-Werbung würden in Deutschland jedes Jahr vier Milliarden Euro investiert. „Daher brauchen Werbekunden - ebenso wie Programmmacher - Standards, um eine Vergleichbarkeit zu gewährleisten.“ Der Medienmarkt sei sehr dynamisch und unterliege ständigen Veränderungen, was auch die Reichweitenforschung vor immer neue Herausforderungen stelle, wenn ein gemeinsamer Standard das gesetzte Ziel sein soll.

In diesem Kontext konnte Kerstin Niederauer-Kopf vermelden, dass die für Juni 2023 angekündigten Weiterentwicklungen zum crossmedialen Testprojekt AGF X-REACH wie zugesagt mit einer Punktlandung geliefert werden konnten.

Seit Mitte des Jahres befinde man sich mit AGF X-REACH in einer regelmäßigen Datenproduktion der unter AGF-Messung stehenden Angebote. Mit AGF X-REACH sind erstmals übergreifende Vergleiche ‚aus einem Guss‘ für TV-, Streaming- und Display möglich – inklusive der Ausweisung von Überschneidungen, Inkrementen, Exklusivkontakten und der Total Reach.

In einem Deep Dive wurde am Beispiel von N-TV gezeigt, dass neben der ganzheitlich crossmedialen Perspektive – inklusive TV –, auch der Blick in das rein digitale Angebot viele  Insights liefert, die dem Markt in dieser Form lange nicht zur Verfügung standen. So können die User, beziehungsweise die Nettokontakte pro Monat, bereits auf Tagesbasis dargestellt werden. Kerstin Niederauere-Kopf sieht am Beispiel von AGF X-REACH die Bedeutung von Standards belegt:

Die Entwicklung des Projekts AGF X-REACH zeigt eindrucksvoll, dass Standards grundsätzlich Fehlentscheidungen oder Risiken minimieren und darüber hinaus Innovationen befördern oder sogar beschleunigen können.“

Dass man nach einer Entwicklungszeit von 18 Monaten bereits diesen Projektstand vorweisen könne, liege zum einen am starken Engagement aller Projektbeteiligten und zum anderen daran, dass man das bestehende hybride methodische und messtechnische Fundament der AGF nutzen und ausbauen kann.

Die oben erwähnten Standards sind Grundlange für eine erfolgreiche Werbung. Das bestätigte Haruka Gruber, Senior Vice President Media bei DAZN. „Werbung ist für uns nach den Abonnements die zweitwichtigste Einnahmequelle. Dabei müssen wir eruieren, wieviel Werbung wir unseren Kunden zumuten können. Im Moment ist ein Werbeblock bei uns 120 Sekunden lang.“ Bei seiner Werbung setzt DAZN vor allem auf den Big Screen und weniger auf Tablets oder Handys.

Big Screen hat einfach die größte Werbewirkung“, so Gruber.

Gemeinsam zappen mit dem Probanden

Zu diesem Thema präsentierte Andrea Geißlitz, Director Insights Division beim Marktforschungsinstitut Kantar, einen Vortrag der bei den rund 250 Gästen auf großes Interesse stieß. In ihrer Präsentation „Trends in der Nutzung von Videoinhalten auf dem Big Screen“ stellte sie dar, wie Menschen Video „konsumieren“. Seit 2010 untersucht Kantar das Konsumverhalten der Zuschauer in Deutschland, jährlich in zwei Wellen mit jeweils 2.500 Probanden. Dabei schauen die Interviewer gemeinsam mit ihren Probanden fern. „Sie zappen also gemeinsam mit dem Probanden in dessen Haushalt“, so Geißlitz.

Das AGF Forum fand zum ersten Mal in der Frankfurter Union Halle statt. (Bild: marktforschung.de)

Das TV-Gerät ist das Lagerfeuer von heute

96 Prozent aller Haushalt haben mindestens einen Fernseher. „Dabei sind die TV-Geräte meist im Mittelpunkt der Haushalte platziert, wie ein Lagerfeuer, an dem alle zusammenkommen“, so Geißlitz. Im Schnitt befinden sich in jedem Haushalt 1,4 TV-Geräte. „Diese Zahl ist seit 2014 annähernd gleich. Das zeigt, dass TV-Geräte nicht von Handys oder Tablets verdrängt werden.“

Der Anteil von Pay-TV ist von 2010 bis 2017 stetig von neun Prozent auf 14, 3 Prozent gewachsen. „Mit der COVID-Pandemie gab es noch einmal einen Schub, aber seitdem ist der Trend leicht rückläufig“, weiß Geißlitz zu berichten.

Der Bereich des kostenpflichtigen „Video on Demand“ ist von sieben Prozent in 2015 auf 48 Prozent in 2022 gestiegen.

Der Löwenanteil geht dabei mit 38,5 Prozent an Netflix, gefolgt von Amazon Prime (28,4 Prozent) und Disney+ (11,6 Prozent).

Die gesunde Mischung

Kantar hat sich auch das Konsumverhalten von Pay-TV, „Video on Demand“ und linearem Fernsehen insgesamt angeschaut. „In 2010 spielte das noch überhaupt keine Rolle, heute nutzen 52 Prozent der Fernsehzuschauer mindestens einen Bestandteil aus diesemMix“, so Geißlitz. Die Nutzung von TV in Kombination mit Angeboten aus dem Internet ist von 13 Prozent in 2016 auf 67 Prozent in 2023 gestiegen.

Auch zum Umgang mit den aktuellen Krisen hat Kantar seine Probanden befragt. In Deutschland gaben 51 Prozent der Befragten an, dass sie wegen der Inflation und den gestiegenen Kosten im Bereich Pay-TV/SVOD sparen möchten. „Betrachtet man jedoch die aktuellen Abonnementzahlen, sehen wir, dass Abonnementen treu bleiben und sogar noch etwas mehr ausgeben“, sagt Geißlitz.

Auch von dem Wegfall des Nebenkostenprivilegs Anfang 2024 will sich kaum einer abschrecken lassen und entsprechende Dienste weiter in Anspruch nehmen.

Abgespeckte Angebote

Eine gute Nachricht für Andreas Gerhardt, Chief Distribution Officer bei Sport1. „Wir gehen davon aus, dass der Wegfall des Nebenkostenprivilegs für uns eine große Herausforderung darstellen wird. Wir könnten einige User verlieren und so nur noch in der Lage sein, abgespeckte Angebote anzubieten.“ Dadurch kann die Branche an Anbietervielfalt verlieren und es werden weniger qualitative Inhalte angeboten.

Auch die AGF selbst stellte sich bereits für die kommenden Veränderungen auf. „2024 wird von TV-Bild auf Bewegtbild umgestellt“, sagt Martin Landgraf, Direktor Daten & Technologie bei der AGF Videoforschung. „Wir haben festgestellt, dass sich unsere Zielgruppe verändert. Sie wird älter und verfügt über mehr Bildung“, so Landgraf.

Mit der Umstellung zum Marktstandard Bewegtbild erweitert die  AGF das TV-Panel um Non-TV-Haushalte zum AGF-Panel. Zusätzlich werden die Streamingnutzungen in zwei Online-Panels (Desktop und Mobile) gemessen. Die von der AGF eingesetzten Panels summieren sich auf insgesamt 30.000 Teilnehmer. Bisher gibt es folgende Empfangsebenen: IPTV, Satellit, Kabel und Terrestrik. „Aufgrund der zunehmenden technologischen Konvergenz bei IPTV und OTT-Streaming bringen wird zusammen, was zusammengehört und erweitern ab 2024 die IPTV-Ebene zur neuen Ebene Internet“, sagt Andrea Schombara, Direktorin Methode & Konventionen bei AGF Videoforschung. Außerdem hat die AGF in diesem Jahr auch neue Tools zur Auswertung und Planung auf Basis des Bewegtbilddatenbestands an den Start gebracht

Viele genossen ihr Mittagsessen in der noch warmen Luft der letzen Septembertage in Frankfurt. (Bild: marktforschung.de)

BigTech muss weg

Die wohl größte Aufmerksamkeit an diesem Tag generierte wohl Martin Andree, Medienwissenschaftler an der Universität Köln. Kein Vortrag hatte mehr Fragen aus dem Publikum. „Big Tech gefährdet die freie Medienlandschaft“, so Andree. Die digitale Transformation von analog zu digital und von offline zu online sei quasi abgeschlossen. Und hier gibt es einige wenige Platzhirsche, welche die gesamte digitale Welt dominieren und bestimmen. Alphabet, Meta, oder Amazon heißen sie. „Daraus ist ein Monopol der Plattformen entstanden“, so Andree.

Er spricht von einer regelrechten feindlichen Übernahme des Netzes durch die großen Plattformbetreiber.

Das freie Internet existiert schon längst nicht mehr", konstatiert der Medienexperte.

Big Tech sei es gelungen, ihre Plattformen über das Internet zu stülpen. Das World Wide Web diene ihnen nur noch als Infrastruktur. Die Plattformen selbst saugten allen Traffic an, wie ein schwarzes Loch, und würden den Rest des Internets systematisch trockenlegen. So hätten sogar die Online-Angebote renomierter Medien, wie spiegel.de, eine im Vergleich sehr geringe Reichweite. „Sie sind auf dem Friedhof der digitalen Welt begraben.“

Das hat Folgen. "Die Grundlage unserer politischen Meinungsbildung wird in wenigen Jahren dann durch eine Handvoll US-amerikanischer Plattformen kontrolliert", warnt Andree. Das gleiche gilt für die Vertreter der freien Medien. „Sie sind von ihnen abhängig, sie benötigen diese Plattformen. Und die bestimmen, wie das Spiel läuft“, sagt der Medienwissenschaftler. „Und wenn diese Plattformen kritisiert werden, waschen sie ihre Hände in Unschuld. Wir stellen doch nur die Plattform zur Verfügung, heißt es dann“, so Andree.

„Dabei sind sie es, die Inhalte produzieren und diese monetarisieren.“ Doch die Machtkonzentration der großen Internetkonzerne lasse sich brechen. Andree ist zuversichtlich, dass dies gelingen kann - mit den richtigen Regulierungsmaßnahmen und einem Beitrag jedes/r einzelnen Internet-Nutzers/in.

Für Übertragungsmedien gibt es die Bundesnetzagentur, für den Rundfunk die KEK und für die digitalen Medien gibt es keinen Zuständigen.“

Zu dem Thema hat Andree vor Kurzem das Buch „Big Tech muss weg“ veröffentlicht.

In der Talk-Runde „Der Kampf um den Big Screen“ waren sich Ute Biernat, Geschäftsführerin von UFA Show & Factual, Dr. Florian Kumb, Hauptabteilungsleiter Programmplanung beim ZDF, und Screenforce-Geschäftsführer Malte Hildebrandt einig, dass Produktionsfirmen und Sender gleichermaßen herausgefordert sind:

zum einen durch veränderte Sehgewohnheiten insbesondere bei den jüngeren Publika und zum anderen durch die steigende Videonutzung auf dem Small Screen. Erfolgsfaktoren seien aber unverändert die inhaltliche und technologische Anpassungsfähigkeit an neue Gegebenheiten und die große Zugkraft des Big Screen.

Beim Thema „Datensilos – Zukunft oder Vergangenheit“ wurden die Ansichten von Kunden-, Agentur-, Sender- und AGF-Seite gespiegelt. Juliane Paperlein sprach mit Kerstin Niederauer-Kopf, Thorsten Müller, Director Data Driven Marketing & Media DACH/NORDICS bei Reckitt Benckiser, Klaus-Peter Schulz, Geschäftsführer der Organisation der Mediaagenturen, Kai Ladwig, CMO Visoon Video Impact, und Manfred Kluge, Chairman DACH der Omnicom Media Group.

Offen bekannten sich Kunden wie Sender und Agenturen dazu, eigene Systeme für Datenerhebung und -modelling zu nutzen, beziehungsweise in Ermangelung eines crossmedialen Standards geradezu nutzen zu müssen. Sie sprachen sich dennoch einhellig für einheitliche Standards aus, die auch in der digitalen Welt für Orientierung, Effizienz und Vertrauen sorgen sollen.

Beim abschließenden Barbecue, nachdem alle Podiumsdiskussionen und Präsentationen beendet waren, hatten die Gäste einiges zu diskutieren. Nicht zuletzt den Beitrag von Martin Andree, der ihnen vor Augen führte, dass sie schon lange nicht mehr Kapitän auf ihrer eigenen Brücke sind.

 

Über die Person

Markus Grunwald ist Redakteur beim Smart News Fachverlag und Ansprechpartner für redaktionelle Themen auf marktforschung.de und CONSULTING.de.

Weitere Informationen zum Unternehmen auf marktforschung.de:

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Kantar GmbH

München

Kantar GmbH

950

"Kantar ist eines der weltweit führenden Unternehmen für Data Science, Insights und Consulting. Kantar versteht wie kaum ein anderer…

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