Die Zukunft im Gespräch oder: Was wir zum Neuen Jahr sagen könnten

Oliver W. Schwarzmann, Zukunftsforscher und Publizist

Oliver W. Schwarzmann, Zukunftsforscher und Publizist

Von Oliver W. Schwarzmann

2012 ist angekommen.
Und was haben wir für Vorsätze?
Die besten, natürlich.
Wie alle Jahre wieder, erst vor kurzem, in 2011, hatten wir uns mehr versprochen. 
Nun ja.
Wie immer werden wir es dabei belassen.
Und es geht ja schon alles weiter wie bisher – die Euro- und Schuldenkrise ist immer noch da, der Bundespräsident auch, obwohl er vielleicht zu weit gegangen ist, was das zurückrudern erschwert. Schulden gehen eben aufs eigene Konto und ein Kredit ist schnell verspielt. Ein Amtsinhaber muss dem Amt nutzen, nicht umgekehrt.
Nun, selbst vermeintliche Lichtgestalten werfen Schatten. Was sie von echten Leuchten allerdings unterscheidet, ist ihre besondere Verantwortung im Voraus zu wissen, wo sich der große Wurf ihres Schattens ereignet und wenn er schon fällt, dafür zu sorgen, dass er auch übersprungen werden kann. Wie soll denn jemand politischen Weitblick in seine Verhandlungen tragen, wenn er die Tragweite seines persönlichen Handelns nicht abschätzen kann?
Schon im Neuen Jahr ist die Verwirrung an der Tagesordnung.
Tja, Menschen stürzen entweder über die eigens inszenierten Höhepunkte oder über Maßstäbe, die sie selbst abgesägt haben. Und letztlich sind es immer die umsichtig Wirkenden ohne Rückgrat, die den meisten Wirbel um sich machen.     
Nun, Politiker und auch Manager müssen schon einstecken können. Aber muss man das immer erst an den eigenen Taschen üben?
Und ja, es kann natürlich auch nicht sein, dass eine Zeitung darüber entscheidet, welches Bild wir abgeben. Egal, wie schnell ein Blatt sich wendet.

Apropos Taschen und Blätter. Ja, Erstere waren zu Weihnachten prall gefüllt und die deutschen Konsumenten haben eingekauft und Geld hingeblättert wie noch nie, als ob es weder ein Morgen noch Banken gäbe. Respekt.
Nun, was soll man mit seinem Geld auch anderes machen?
Aus der hohen Kante ist ja eine dunkle Ecke geworden. Wie sollen wir wissen, ob wir künftig noch zu etwas kommen, wenn wir nicht einmal wissen, was noch alles auf uns zukommt? Und viel zu einfach kommen Hochstapler an das heran, was uns in Zukunft aushalten soll.
Zudem besteht unser Geld mittlerweile nur noch aus gedruckten Versprechen, die wie Wundertüten aussehen, aber keine Füllhörner sind, schließlich müssen sie irgendwann real eingelöst werden.
Und wer soll uns wirklich auslösen?
Vielmehr ist die Geldscheinwelt im Begriff, sich aufzulösen. 
Deshalb empfiehlt es sich, Geld in kapitale Naturalien anzulegen, auch wenn das nicht unserem Naturell entspricht. Nun, am besten ist investiert in Wein, denn der steigt im Wert, wenn er altert und man bleibt immer flüssig mit einer Form kostbarer Liquidität, die sich jederzeit selbst verkosten lässt.
Der unmittelbare Genuss, ja, das ist ein weiterer Grund für den erlebten Konsumrausch – die Verbraucher fahren auf Sicht. Auf Zuversicht. Schließlich sind zumindest die kurzfristigen Aussichten immer noch saumäßig rosig. Und das trotz aller Prognosen düster dreinblickender, aber hellsichtiger Experten, die uns ja für 2012 nichts Gutes verheißen, obwohl nichts so heiß gegessen wird, wie es am vermeintlichen Krisenherd gerne hochgekocht wird.
Auch der Arbeitsmarkt, Indikator für unsere wirtschaftliche Fitness, ruft immer noch nach qualifizierten Mitarbeitern; es fehlt einfach der Nachwuchs, was Statistiker auf die schwache Geburtenquote hierzulande zurückführen, die – wie ich meine – einer eigenen Debatte würdig wäre.
Wie sollen mehr Kinder auf die Welt kommen, wenn wir der Welt immer schneller hinterherlaufen?
Wenn wir uns überall Zeit ersparen wollen bis wir keine mehr haben?
Und wenn wir uns schon so aufführen, als säßen wir selbst im Sandkasten?

Und ja, wie wollen wir einen Burn-out verhindern, wenn wir nicht lernen, auch mal was anbrennen zu lassen?
Fragestellungen, die mich wieder zu unseren Vorsätzen führen – vielleicht sollten wir uns einmal vornehmen, uns zurückzunehmen.
Alles auf uns wirken lassen.
Und die Routenplaner einmal auf uns selbst einstellen.
Stehen bleiben und eine Umarmung zur nächsten Haltestelle machen.
Ist nicht unser Wesen das Wesentliche?
Und statt den Sinn des Lebens in irgendwelchen Theorien zu suchen, finden wir ihn womöglich viel einfacher in unseren eigenen Empfindungen?
Vielleicht geben wir uns nur deshalb so rational, vernünftig und – ja – klug berechnend, weil uns unsere eigenen Gefühle immer wieder überraschen?
Ja, möglicherweise versuchen wir mit dem Deckmantel der Normalität unsere Verblüffung über die Welt und ihre Möglichkeiten zu überspielen?
Vermutlich wäre unsere Zeit auch nicht so verhalten und verkniffen, wenn wir sie einfach mal nehmen würden, um uns in ihr frei zu entfalten?
Ist es nicht gerade die Weihnachtszeit, die uns immer wieder zu verzaubern und uns zum Träumen zu verführen sucht?
Und ja, ist das nicht die eigentliche Botschaft der besinnlichen Zeit zwischen den Jahren – dass das Leben eine fantastische Geschichte ist?
Dass wir eine Zukunft haben, auf die wir bauen können.
Doch – kann sie das auch auf uns?

Fragen nach der Zukunft gehen mir ständig durch den Kopf, wo ich auch immer stehe. Seit nunmehr beinahe zwei Jahrzehnten beschäftige ich mich mit dem Thema – in ökonomischer Perspektive. Da geht es natürlich um Marktentwicklungen, Trends, Prognosen und Potenziale. Und ja, die Zukunft ist in aller Munde; sie muss herhalten für Versprechen, Ankündigungen und Slogans. Obwohl die Zukunft viel mehr ist als ein Marketingcoup. 
Gerade unsere globale Wirtschaftswelt, die sich äußerst betont als grauer Faktenkosmos versteht und sich dabei gerne selbst in allen Farben als hartes Terrain inszeniert, setzt nicht nur auf Gefühltes, sondern nutzt eigens und insbesondere das Abstrakte. Eine offene Rechnung: Die Zukunft ist der letzte Freiraum, den wir in einer scheinbar restlos aufgeklärten Welt noch haben. Sie ist das rätselhafte Refugium, ja, die geheimnisvolle Insel, wo alles möglich scheint. Und da wir uns ohnehin im unbekannten Raum bewegen, kann jeder aus der Zukunft machen, was er will. Allerdings lässt sich die Zukunft in ihrem Drehbuch nichts vorschreiben und schon gar nicht in ihre Rolle reinreden. Und sie überrascht uns vermutlich deshalb, weil sie nicht unseren Absichten und Interessen zu dienen scheint.
Doch ich halte die Zukunft für keine Zeitinsel, die in einem Schicksalsmeer auf uns zutreibt und uns im eigenen Fluss immer wieder anhalten will, gegen den Strom zu schwimmen. Nein, ich verstehe sie als die Summe aller Möglichkeiten.
Und ja, die Zukunft ist eine Vorstellung, die in uns selbst spielt. Wir verwirklichen sie; folglich steckt unsere Zukunft in jedem Moment. Wir entscheiden, was möglich ist und real werden kann.
Je stärker unsere Vorstellungskraft also ist, desto größer kann die Zukunft werden.
Die Zukunft beginnt sodann – wenn Sie meiner Auffassung folgen mögen – in unserer Einstellung. Und liegt damit in unserer Verantwortung.

Natürlich, es gibt naturgegebene Rahmenbedingungen, selbst gemachte Zwänge und ausgemachte Notwendigkeiten. Folgen wir ihnen, erleben wir eine Zukunft, die schon von vornherein begrenzt ist und es tritt ein, was wir befürchten. Bewegen und überwinden wir das Bestehende jedoch und fahren ins Unbekannte, eröffnen wir uns eine Dimension neuer Erfahrungen. Dann ist die Zukunft das, was wir aus ihr machen, wenn wir mit Veränderung etwas anfangen können. 
Doch nur wer aus dem Rahmen fällt, kann sich neu bilden.
Und der Zufall?
Nun, ich halte den Zufall für eine Ausrede, nicht in größeren Zusammenhängen denken zu müssen. Denn die Welt läuft trotz unserer fantastischen Gestaltungsmöglichkeiten nicht einfach so, wie wir es wollen. Das wäre doch wirklich – ja – zu einfach und zu egoistisch und ließe keinerlei Spielräume zu. Eine Welt, in der alle unsere Wünsche in Erfüllung gehen würden, so sehr wir auch danach hungern, hätten wir schnell satt. Diese Welt wäre dem Untergang geweiht, denn die totale Erfüllung machte unsere Wünsche überflüssig und würde uns unserer Fantasie und Träume berauben. Nein, wir brauchen unsere Sehnsüchte, Enttäuschungen, Kontraste und Brüche, ja, unsere Widerstände, die uns letztlich dazu befähigen, mit Hindernissen umzugehen.
Und so wie in der Natur alles Unterschiedliche zusammenspielt, sind auch unsere verschiedenen Gedanken und eigenständigen Verhaltensweisen miteinander verbunden. Wir handeln selbst, aber nie isoliert. Wir sind auf uns selbst gestellt, hängen aber alle zusammen. Das ist der Grund, auf dem klar wird, weshalb unsere Realität kein individuelles Phänomen ist, sondern einen interaktiven Gemeinschaftsraum darstellt. Und deshalb ist es entscheidend, unsere Vorstellungen, Visionen, Ideen und Fantasien miteinander zu teilen. Nur dann entsteht die Chance, dass sie Wirklichkeit werden.
Unterstützen wir also andere bei der Realisierung ihrer Träume, verwirklichen wir auch immer ein Stück weit unsere eigenen. Und das ist ein Gefühl, vergleichbar mit der inneren Zufriedenheit, die wir empfinden, wenn wir an Weihnachten die Wünsche anderer erfüllen.

An Silvester kommt dann alles zusammen: Erfüllte Wünsche, unerfüllte Sehnsüchte und wiederholte Vorsätze.
Ja, Silvester.
Zwischen den Gängen der endlosen Menüs, bei welchen ich einmal gerne den Leerlauf eingelegt hätte, und dem Trubel um Mitternacht fand ich Gelegenheit für einen kleinen Ausflug durch das nächtliche Stuttgart. Vorbei an den Parkbewohnern und Stuttgart-21-Gegnern, die immer noch unermüdlich und beschmückt mit Weihnachtsbäumchen im Schlosspark ausharren. Weiter dann zu den Zelten des Traumtheaters Salome, dessen zauberhafte Show „Das Rätsel – die Reise unserer Träume“ ich mir einige Tage zuvor angesehen und mich mit dem Initiator des Ganzen, dem Künstler und Poeten Harry Owens, über dessen Zukunftspläne unterhalten hatte. Schließlich ging es auf ein frisches Bier ins Zeppelino’s, der mediterranen Bar des Stuttgarter Steigenberger Hotels Graf Zeppelin, von wo aus ich den Stuttgarter Bahnhof betrachtete.
Es war ungewohnt friedlich um ihn, was wohl daran lag, dass es inzwischen heftig zu regnen begonnen hatte und die meisten mit dem Stresstest für ihre Mägen und dem Formulieren ihrer Vorsätze beschäftigt waren.
Tja, die Stuttgarter verstanden in 2011 nur noch Bahnhof, jeder auf seine Weise. Und keiner ist letztlich zufrieden. Man hat untrüglich das Gefühl, das ganze Projekt ist auf die schiefe Bahn geraten.
Was wird wohl aus dem Bahnhof werden?
Eine unterirdische Durchgangsstation? Eine Kosten-Katakombe? Bahnt er sich dennoch den Weg in die Zukunft? Werden wir dann wirklich schneller vorankommen? Oder landet alles auf dem Abstellgleis?
Einen Rückzug wird es nicht geben.
Nun, was werden wir im Neuen Jahr den Vorzug geben?
Gehen wir weiter um des Fortschritts willens oder drehen wir uns für eine neue Wende im Kreis?
Wem werden wir uns zuwenden, wen verbiegen wollen?

Ich glaube: Das Jahr 2012 wird gut ankommen. Bei welchem Bahnhof auch immer.
Wo wir indes hingehen, ist unsicher.
Nun, lassen wir es auf uns zukommen.
Wichtig ist nur, dass wir bei uns selbst ankommen, ohne uns im Weg zu stehen.
Und ja – dass wir uns in dieses Jahr einfach verknallen. Vielleicht wird es dann ein echter Kracher. 
Mit diesen Gedanken machte ich mich leise auf in den Lärm einer Silvesterparty.
Doch das ist nun Geschichte.
Eine andere.

 

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