Die Zukunft gestalten mittels neuer Methoden: Crowdsourcing

Von Sabine Haas, Gründerin und Geschäftsführerin result – Institut für digitalen Wandel. Co-Autor: Christian Hirsig, CEO & Co-Founder Atizo AG
Derzeit hört man immer häufiger im eigenen Bekannten- und Freundeskreis Sätze wie: „Ich habe über Facebook an einem Produkttest teilgenommen.“, „Ich bin registriert auf Trnd und mache da bei Marketing-Aktionen mit.“ oder „Da hat mir letztens jemand eine Seite empfohlen, da kann man einen Test mitmachen und nimmt anschließend teil an einer Verlosung.“ Der Marktforscher mag bei solchen Geschichten in der Regel leicht in Trübsinn verfallen und überlegen, ob seine Branche sich angesichts dieser vielfältigen, mehr oder weniger seriösen „Konkurrenzangebote“ in nächster Zeit erledigen wird.
Tatsächlich gerät die klassische Marktforschung in ihrer methodischen Güte und mit ihren hoch standardisierten Erhebungs- und Analysemethoden aktuell von allen Seiten in Bedrängnis:
- Der Kostendruck der Unternehmen steigt kontinuierlich an, und die Budgets für die Forschung sind teilweise starken Kürzungen ausgesetzt.
- Die Kurzfristigkeit der Planungen erfordert in vielen Unternehmen eine Konzentration auf tagesaktuelle Fragestellungen. Langfristig angelegte Grundlagenforschung gerät aus der Mode.
- Viele Abteilungen der Unternehmen haben mehr und mehr direkten Kundenkontakt über Social Media und glauben, ihren Informationsbedarf umgehend darüber decken zu können.
- Online-Angebote, die jenseits der Forschung liegen, aber ähnliche Versprechungen machen, schießen wie Pilze aus dem Boden.
- Die Teilnahmebereitschaft an klassischer Marktforschung sinkt kontinuierlich, nicht zuletzt durch die enorm steigenden Angebote, die Kunden auf allen Ebenen zur aktiven Teilnahme auffordern.
Marktforschung: ein Dinosaurier der Neuzeit?
Stirbt die Marktforschung also einfach aus? Oder anders gefragt: Was kann die Branche tun, um zu überleben? Zunächst einmal gilt es, Ruhe zu wahren, denn natürlich gibt es auch in Zukunft eine Reihe von Themenfeldern und Fragestellungen, die ausschließlich von der klassischen Marktforschung adäquat bedient werden können. Diese Felder werden bleiben und sicher auch durch den digitalen Wandel nicht infrage gestellt. Dennoch muss man davon ausgehen, dass besonders für kleinere Marktforschungs-Institute ein Festhalten an bewährten Instrumentarien und eine bloße kontinuierliche Optimierung der bisherigen Leistungen nicht ausreichend sein wird, um sich in die Zukunft zu hieven.
Schauen wir auf die ganz großen und erfolgreichen Markenunternehmen, dann wird sehr schnell deutlich, dass diese den digitalen Wandel überaus ernst nehmen und sich mit einer grundlegenden Neuorientierung darauf einstellen. Ein imposantes Beispiel dafür ist Coca Cola. Es ist überaus lohnend, sich die Gedanken und Implikationen des Softdrinkherstellers in seinem Video zu Produktentwicklung und Marketing einmal anzuschauen – bei Timecode 00:04:29 wird auch das Thema Market Research behandelt.
In dem Video wird klar, dass die Marktforschung die Bewegung der Großen entweder mitvollziehen muss oder sehr bald an Bedeutung verlieren wird.
Ein Weg in die Zukunft kann es daher sein, das Bewährte zu bewahren und gleichzeitig Neues zu wagen. Die „neuen Methoden“, die derzeit rundherum aus dem Boden sprießen und oftmals erschreckend dilettantisch betrieben werden, tragen in ihrer Grundidee meist dennoch sehr viel Charme und Attraktivität:
- „Social Research“ nutzt die Begeisterung bestehender Communities und eröffnet so den Weg hin zu „frischen“ Zielgruppen.
- Die öffentliche Kommunikation von Forschungsvorhaben auf allgemein zugänglichen Online-Angeboten macht das Kundeninteresse des Unternehmens sichtbar und stärkt somit das Image.
- Die Möglichkeit von Kunden und Interessenten, sich mittels Marktforschung am Prozess der Produktentwicklung aktiv zu beteiligen, wird stärker mitkommuniziert und kommt beim Kunden an.
- Alte Zielgruppenmuster werden aufgebrochen, und es werden neue Potenziale für die Unternehmen sichtbar.
- Viele Social-Media-Marketing-Aktionen sind mehrstufig und begleiten die Kunden über eine längere Zeitstrecke. Das ist bei „klassischer Forschung“ eher weniger gegeben.
Was kann Crowdsourcing innerhalb der Marktforschung leisten?
Eines der stärksten Potenziale für die Marktforschung bietet aus meiner Sicht das Thema „Crowdsourcing“. Nutzt man dieses Instrumentarium richtig und stellt man es in einen methodisch durchdachten und validen Rahmen auf, dann hat die Marktforschung damit einen hoch interessanten Ansatz an der Hand, um Fragen zu beantworten, die bislang mit gängigen qualitativen Methoden nur unzureichend zu klären waren (Stichwort: Konzepttest).
Was aber ist eigentlich Crowdsourcing?
Geprägt wurde der Begriff von Jeff Howe und er bezeichnet das Outsourcen von bislang internen Teilaufgaben eines Unternehmens an eine Menge von Freiwilligen, die sogenannten Prosumenten. Es handelt sich somit um „eine interaktive Form der Leistungserbringung, die kollaborativ oder wettbewerbsorientiert organisiert ist und eine große Anzahl extrinsisch oder intrinsisch motivierter Akteure unterschiedlichen Wissensstands unter Verwendung moderner IuK-Systeme auf Basis des Web 2.0 einbezieht. Leistungsobjekt sind Produkte oder Dienstleistungen (...), welche durch das Netzwerk der Partizipierenden reaktiv aufgrund externer Anstöße oder proaktiv durch selbsttätiges Identifizieren von Bedarfslücken bzw. Opportunitäten entwickelt werden."
Nach Paul Sloane lässt sich Crowdsourcing in die folgenden vier Kategorien aufteilen (S. 18): Kollektive Intelligenz, Crowd Kreation, Crowd Abstimmungen und Crowdfunding. Beispiele gelungener Crowdsourcing-Projekt gibt es inzwischen ausreichend. Um an dieser Stelle nur zwei zu nennen: die Crowdsourcing-Aktion zum Chiquita-Bananen-Sticker oder aber auch die sogenannte „Kundenbeiratssuche“ via Crowd der Firma Rügenwalder.
Wie und wann macht Crowdsourcing Sinn?
Crowdsourcing in der Forschung bedeutet, die Schwarmintelligenz im Netz nutzbar zu machen, um Ideen oder Konzepte zu entwickeln oder zu evaluieren. Dabei ist das Entscheidende, dass es sich um selbst rekrutierte, temporäre Gruppenstrukturen handelt, die in diesem Prozess Kreativität entfalten. Die Teilnehmer des Projektes sind damit in keiner Weise homogen oder festgelegt, die Vielfalt maximal.
Aber: Mache man sich nichts vor. Wo Schwarmintelligenz ist, ist auch Schwarmdummheit möglich. Man kann nicht davon ausgehen, dass es ohne Weiteres gelingt, sich aus dem Netz Lösungen zu „fischen“, die die eigene Produktentwicklung oder Strategieabteilung trotz systematischer Suche bislang nicht gefunden hat. Dies kommt vor, ist aber die absolute Ausnahme.
Der Nutzen liegt also nicht darin, auf absolut Neues zu stoßen. Der Nutzen liegt darin, bestehende Ideen zu optimieren, Gewichtungen und Erwartungen zu erfahren und eine Handvoll von Ansätzen zu erhalten, die so aus den eigenen Reihen noch nicht eingebracht wurden.
Wer Crowdsourcing-Projekte erfolgreich durchführen möchte, der benötigt viel Know-how, eine gute Crowd, die richtige Fragestellung und differenzierte qualitative Analysemethoden. Auch eignen sich nur bestimmte Fragestellungen für diesen Ansatz. Viele Themen lassen sich über die im Netz derzeit aktiven Crowds nicht oder nur unzureichend lösen.
Welche Voraussetzungen muss eine „Crowd“ erfüllen?
1. Es sollte eine große „Grundcrowd“ vorhanden sein, damit sich genügend Menschen finden, die ein spezifisches Interesse an der Fragestellung haben. Und sie müssen intrinsisch motiviert sein und sich freiwillig der Aufgabe stellen. Das heißt: Das Projekt findet nicht sie, sondern sie finden das Projekt, an dem sie teilhaben möchten.
2. Die Crowd sollte heterogen genug sein, um eine maximale Perspektivvielfalt sicherzustellen. Dies gelingt nicht, wenn man – wie in der Forschung üblicherweise angeraten – eine sehr homogene und fest definierte Zielgruppe zur „Crowd“ zusammenstellt. Die Selbstrekrutierung der Teilnehmer und eine möglichst uneingeschränkte Zugänglichkeit für unterschiedliche Personen sollte garantiert werden.
Wie kann die Kreativität der Teilnehmer forciert werden?
Erfolgsfaktoren eines gelungenen Crowdsourcing-Projektes sind in der Regel drei Aspekte: die Attraktivität des Projektinhaltes, die Passung der Fragestellung und die Attraktivität des zu erreichenden Ziels. Alle drei Aspekte sollten im Vorfeld genau definiert und geprüft werden, und nur dann, wenn bei allen drei Dimensionen ein hoher Erfüllungsgrad vorliegt, lohnt sich der Einsatz von Crowdsourcing.
Welches Ergebnis erhält man?
Für die Auswertung eines Crowdsourcing-Projektes ist es wichtig, die gewonnenen Erkenntnisse nicht mit dem Schema üblicher Analyseverfahren zu bewerten. Es muss eine eigenständige Methode der Analyse etabliert werden, die die vorliegenden Informationen zwar bereinigt, aber nicht zu sehr verkürzt oder auf vorgegebene Kategorien hin zu stark zusammenfasst. Das Ergebnis ist stärker Teil eines Prozesses als ein Bericht und muss entsprechend dargestellt werden.
Welches Budget muss angesetzt werden?
Es ist verfehlt zu glauben, Crowdsourcing sei eine „billige“ Methode, um schnell an neue Ideen zu gelangen. Das Verfahren ist aufwendig und kompliziert, die Investitionen sind entsprechend ähnlich gelagert wie bei hochwertigeren qualitativen Forschungsansätzen.
Es wird deutlich, dass die Entwicklung und Verankerung von Crowdsourcing als festes Instrument der Marktforschung durchaus keine kleine Aufgabe darstellt. Sie lohnt sich sicher dennoch, da mit Crowdsourcing im Bereich der „Zukunftsforschung“, bei Trendanalysen, Konzepttests, aber auch auf dem Feld klassischer Produkttests eine attraktive Alternative zu den herkömmlichen Methoden verfügbar wird. Dies ist hilfreich, denn in vielen Fragestellungen ist es zielführender, auf die kreative Kraft von Menschen als auf die Zielgruppenpassung zu setzen.
Ausblick
Crowdsourcing ist sicher nur ein Baustein im Bereich Social-Media-Research und wird ergänzt werden um eine Reihe weiterer innovativer digitaler Forschungsmethoden. Es ist ein wichtiger Baustein, weil er etwas wirklich Neues einbringt und damit sehr gut an bestehende Methoden anknüpft.
Um erfolgreiche Zukunftskonzepte zu etablieren, wird man solche Innovationen unbedingt einbeziehen, aber auch ergänzen und erweitern müssen. Man kann somit sehr gespannt sein, wie sich unsere Branche in den kommenden Jahren entwickelt und was es an weitergehenden Impulsen geben wird.
Die Möglichkeiten jedenfalls nehmen von Tag zu Tag zu: Themen wie der 3D-Drucker, das Internet der Dinge, Augmented Reality und Ähnliches haben nicht nur als Gegenstand von Markforschungsstudien ihre Bedeutung. Sie werden in ihren Konsequenzen und Wirkungen genauso wenig vor der Marktforschung Halt machen wie vor allen anderen Branchen. Zukünftig erfolgreich sind dann die Forschungsinstitute, die sich die enorme Innovationskraft dieser Entwicklungen für die eigene Arbeit optimal zunutze machen – so schwierig das im Einzelfall auch erscheinen mag.
result – Institut für digitalen Wandel hat sich im Bereich Crowdsourcing mit dem Partner Atizo zusammengetan. Die Crowdsourcing-Plattform zählt über 17.000 registrierte Community-Mitglieder. Wir sind gespannt auf die ersten gemeinsamen Erfahrungen in diesem Jahr und werden darüber natürlich weiter gerne berichten. Entweder an dieser Stelle oder auf http://www.wirkungsblog.de
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