Die Suchmaschine, der Zufall und ich

Oliver Tabino (Q | Agentur für Forschung)

Oliver Tabino (Q | Agentur für Forschung)

Von Oliver Tabino

In der März-Ausgabe der brand eins wird der Internetaktivist Eli Pariser (aktuelles Buch: Filter Bubble – Wie wir im Internet entmündigt werden) zu den Themen Internet, Suchmaschinen und die Wissensgesellschaft im 21. Jahrhundert interviewt.

In dem wirklich lesenswerten Interview wird von der brand eins folgende Frage gestellt, die meines Erachtens eine hohe Relevanz für Markt- und Sozialforscher hat (brand eins, 14. Jahrgang, Heft 03 März 2012, Seite 62 bis 67):

"Vielleicht erspart uns die Software nur den Blick auf Irrelevantes, das ablenkt und unsere Zeit verschwendet?"

Die Angst vor der Informationsflut kenne ich auch. Immer wieder werden wir in unserer Arbeit damit konfrontiert. Vor allem im relativ neuen Zweig "Social Media Forschung" stellen sich immer wieder ähnliche Fragen: Sind alle Informationen wichtig für mich? Entgeht mir etwas Wichtiges? Wie gehe ich mit der Informationsflut um? Und natürlich: Wie setze ich Analysezeit richtig ein, um letztendlich effizient arbeiten zu können. Denn das spart Zeit und Kosten. Big Data ist ein weiteres Zauberwort, das umhergeistert und irgendwie kann ich es ja verstehen, viele Menschen setzen ihre Hoffnungen auf ein "Übertool", das per Knopfdruck Erkenntnis ausspuckt. Bevor ich meine Meinung kundtue, hier noch die Antwort von Eli Pariser auf die oben gestellt Frage von brand eins:

"Es ist ein faustischer Pakt. Auf kurze Sicht ist es sicher bequem, wenn mir etwa Google nur die Suchergebnisse vorsetzt, die meinen Vorlieben und früheren Abfragen entsprechen, oder Facebook die Vorlieben meiner Freunde besonders gewichtet. Was dabei verloren geht, ist ein umfassendes Bild der Welt und der Wirklichkeit."

Harte Worte und meines Erachtens vollkommen richtig. Und, ein entscheidender Punkt, der uns als Markt- und Sozialforscher komplett in die Karten spielt. Fast zeitgleich macht in der Mafo-Szene die Meldung die Runde, dass Google nun auch Tools für die Marktforschung anbietet. Im englischsprachigen Raum hat diese Ankündigung für große Diskussionen gesorgt, zumindest in den sozialen Medien. In Deutschland war das die eine oder andere Meldung wert, aber so richtig in Gang kam die Diskussion nicht, zumindest nicht in der Öffentlichkeit, die ich wahrnehme. Die meisten Posts, Artikel und Meldungen, die ich gelesen habe, waren eher ängstlicher Natur. Das Motto: "Oh je, jetzt mischt auch noch der Gigant Google die Mafo-Welt auf. Das wird knallharte Konkurrenz geben. Da muss man sich wappnen." Um es kurz zu machen: Ich habe keine Angst. Wieso auch? Dass ein Einstieg von einem Unternehmen wie Google Folgen haben und Veränderungen nach sich ziehen wird, ist klar. Aber, wenn unsere Branche zukunftsfähig werden und bleiben will, dann müssen wir Antworten auf solche Angebote finden bzw. uns unserer Stärken bewusst machen und darauf reagieren.

Zudem können wir uns die Worte von Eli Pariser nochmals vergegenwärtigen: Wir sprechen von Tools und Algorithmen. Wir sprechen darüber, dass Daten gesammelt, geordnet und strukturiert werden. Wir werden getracked und wir lassen tracken. Unsere "Spuren" hinterlassen wir selbst genauso wie unsere "Befragten" und Zielgruppen die ihren hinterlassen. Dennoch, es gibt zwei entscheidende Punkte, die die Technologie nicht im Griff hat und dafür braucht es uns: Wir geben den Daten Sinn! Wir erzählen was die Daten bedeuten (und was nicht). Wir Forscher sind diejenigen, die Ableitungen treffen, die Empfehlungen aussprechen und dadurch einen Mehrwert für unsere Kunden schaffen (egal ob betrieblicher Marktforscher oder Institutsmarktforscher). Und zudem haben (oder sollten wir haben und erwerben) wir die Fähigkeit diese Ergebnisse auch noch auf eine didaktisch kluge Art zu vermitteln. Kann das ein Algorithmus oder ein Tool?

Zudem bin ich davon überzeugt, dass wir noch eine Fähigkeit haben, die in Zukunft noch wichtiger wird. Auch bei diesem Punkt, möchte ich nochmals die brand eins und Eli Pariser zitieren:

Die brand eins fragt: "Suchmaschinen zeigen immerhin an, wie viele zig Hunderttausend Seiten sie in ein paar Millisekunden durchforstet haben. Ist das für Sie kein nützlicher Hinweis?"

Eli Pariser antwortet: "Das Problem ist, dass die Auswahl im Verborgenen erfolgt. Wer einen Software-Filter in Aktion sehen will, muss eigentlich zwei Computern gleichzeitig dieselbe Frage stellen oder einem Partner über die Schulter schauen. Dann sieht er, dass jeder andere Resultate präsentiert bekommt, aber das wissen die wenigsten. Und sie machen sich deshalb auch keine Gedanken darüber, was ihnen entgeht."

Und nun schließt sich ein Kreis, der auf der GOR 12, aber auch hier auf marktforschung.de heftig diskutiert wurde, nämlich das Thema Repräsentativität als Symbol für methodisch gute und valide Forschung. Ich denke, dass wir eine Art "Quality Manager" für Markt- und Sozialforschung werden und letztendlich arbeiten wir oder zumindest meine Kollegen und ich ja schon so. Wenn wir einen Felddienstleister für eine Studie brauchen, dann treffen wir  eine Auswahl nach bestimmten Kriterien. Wenn wir ein Studio anmieten ebenso. Wenn wir Tools oder technische Hilfsmittel für Mobile Research oder eine Datenbanklösung zur Auswertung von Interviews nutzen, dann haben wir immer Kriterien, die für die Entscheidung ausschlaggebend sind. Kriterien können der Preis sein, die Qualität der Rekrutierung, der Einrichtungsstil des Studios, das Catering, die Zuverlässigkeit, die Chemie, die technischen Details der Datenbank, die innovative Technik, das Handling, der Umgang im Alltag, etc. Das alles gibt uns Sicherheit bei der Entscheidung, die wir dann gegenüber unserem Kunden rechtfertigen und dafür einstehen. Für mich gilt genau das gleiche für die Auswahl von Tools oder Systemen im Bereich Social Media. Wir müssen firm sein, wir müssen bei Bedarf die Vor- und Nachteile kennen und einschätzen können, aber wir müssen die Tools auch kreativ nutzen. Tools produzieren blinde Flecken. Shit in, shit out. Menschen auch, aber wir haben die Chance sie zu korrigieren und außerdem sind Menschen kreativ, Tools alleine nicht.

Das Interview mit Eli Pariser in brand eins kann unter www.brandeins.de abgerufen werden.

 

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