Melanie Sommer, RSG Marketing Research Die Psychologie des Schmerzes - und was dies für die Markenkommunikation bedeutet

Schmerzen bringen Unordnung in unser Leben. Sie zeigen, dass etwas aus der Balance geraten ist. Aber auch wenn wir versuchen, die wirklichen Ursachen zu verdrängen, sagt unser Unterbewusstsein uns ganz deutlich: "Wir achten zu wenig auf uns und unseren Körper. Wir müssten etwas wieder in Ordnung bringen." Doch was bedeutet dieser Konflikt für die Markenkommunikation?

Schmerzen lösen immer einen psychologischen Konflikt aus zwischen unserem emotionalen SELBST,  das jede Form von Leiden verhindern möchte und dem rationalen ICH, das die schnelle Beseitigung des Schmerzes durch ein Schmerzmittel hinterfragt: "Löst ein Schmerzmittel wirklich das Problem? Tut dir so viel Chemie gut? Solltest du dich nicht mit deinen wirklichen Problemen auseinandersetzen?" Immer stärker hinterfragen wir unseren Lebensstil und dies verstärkt auch unsere kritische Sicht auf Schmerzmittel. Hier stellt sich die Frage, inwieweit die Kommunikation für Schmerzmittel dieser Veränderung Rechnung trägt.  

Marken müssen Lösungen anbieten

Eine erfolgreiche Marke wird diesen Konflikt aufgreifen und eine Lösung anbieten. Dieses Lösungsangebot kann auf der oberflächlichen Ebene der reinen und möglichst schnellen Schmerzbeseitigung bestehen oder es gelingt den tieferen Konflikt von SELBST und ICH zu mildern. Dies gelingt am besten, wenn die Marke eine Geschichte erzählt, die einerseits die Marke als Konfliktlöser inszeniert und andererseits über ein hohes Identifikations-potential mit der Geschichte und dem Protagonisten verfügt. Ferner stellt das Storytelling in einem Markt, der durch hohe Austauschbarkeit der Produkte bestimmt ist, die einzige wirkliche Option dar, sich gegenüber dem Wettbewerber zu profilieren.

Storytelling ist bisher nicht die große Stärke der Markenkommunikation im Bereich OTC als auch bei Schmerzmitteln. Man bedient sich in der Regel eines sehr einfachen Mechanismus. Man zeigt das Problem: "Mir geht es nicht gut, ich leide unter meinen Schmerzen." Man bietet eine Lösung an: "Das Schmerzmittel." Man sieht das Ergebnis: "Ich bin von meinem Schmerz erlöst." Eine Lösung des grundlegenden Konfliktes, wie wir ihn oben beschrieben haben, wird höchstens auf der Website der jeweiligen Marke in Form einer Beratung angeboten.

Werbung für Schmerzgels

Der derzeitige TV-Spot von Voltaren "Was, es gibt Huhn?" (Abb. 1) kann als ein Beispiel dienen, wie richtiges Storytelling funktioniert: Ein etwas fauler Hund wird von der neuen Dynamik seines Frauchens dank Voltaren überrascht. Seine Gegenstrategie besteht in dem Versuch, Voltaren im Garten zu vergraben. Psychologisch gesehen werden die beiden Seiten unserer Persönlichkeit gezeigt. Der Hund symbolisiert unsere Bequemlichkeit, die dann auch zu unseren Beschwerden führt. Diese Bequemlichkeit können wir uns nur erhalten, wenn wir auf Voltaren verzichten, es im Garten vergraben. Frauchen ist hingegen zu einer aktiven Person geworden und hat dank Voltaren nicht nur ihre Schmerzen sondern auch den inneren "Schweinehund" besiegt. Wir finden uns in beiden Protagonisten wieder, unser SELBST gibt aber dann doch dem Frauchen den Vorzug und die Aktivität der Frau überzeugt auch unser ICH von der Wirksamkeit von Voltaren.
 


Abb. 1: Voltaren Schmerzgel - Was, es gibt Huhn?

Kytta hat lange Zeit mit einem Indianer geworben nach dem Motto: "Ein Indianer kennt keinen Schmerz." (Abb. 2) Der Indianer stellt hier einen Mythos dar, der tief in unserem Unterbewusstsein verankert ist. Er lebt in Einheit mit der Natur. Er weiß, wie er die Natur für sich nutzen kann. Er ist ein Symbol für Stärke. Hierbei handelt es sich um ein archetypisches Bild, das eine sehr große Wirkung auf unser SELBST hat. Durch die Geschichte erhält der natürliche Wirkstoff eine hohe Glaubwürdigkeit. Dies stellt unser ICH zufrieden.

Leider wurde dieser TV-Spot durch ein triviales Schmerzerleben beim Tanzen abgelöst (Abb. 3). Der Spot aktiviert zuerst unsere Angst vor dem Schmerz und führt damit zu einer negativen Emotion für das "SELBST". Wer möchte gern an seine Schmerzen erinnert werden? Dann folgt der Spot dem klassischen Mechanismus: "Es geht mir schlecht, ich nehme Kytta, es geht mir wieder gut." Ob das "ICH" überzeugt wird, bleibt zweifelhaft. Es wird ein natürlicher Wirkstoff genannt, im Unterschied zum früheren Spot bleibt es jedoch bei der Behauptung.


Abb. 2: Kytta - Vom Indianer...


Abb. 3: ...zum Nachmittagstanz

Werbung für Schmerztabletten

Während bei Schmerzgels Ansätze zu einem erfolgreichen Storytelling gegeben sind, verbleibt die Werbung für Schmerztabletten bei der Kommunikation des reinen Wirkversprechens. Thomapyrin reduziert seine Botschaft auf "15 Minuten schneller" und "3-fach Power" (Abb. 4). Gezeigt wird, so dürfen wir annehmen, eine junge Mutter, die gerade Arbeit und Kinderbetreuung unter einen Hut zu bringen versucht. Bei Aspirin (Abb. 5) sehen wir eine junge Frau am Bahnhof, die sagt: "Der Schmerz ist weg."

Anders ausgedrückt: Ich bin wieder voll einsatzfähig. Der Kopfschmerz wird so seiner Problematik enthoben und zum selbstverständlichen Teil des Alltags. Warum sich Gedanken machen, wenn es Aspirin gibt. Die dargestellten Personen bieten unserem SELBST keine echte Identifikationsmöglichkeit, sie sind beliebig und austauschbar. Eine echte Begründung für die Wirksamkeit wird dem ICH nicht angeboten. Das eigentliche Problem der beiden Spots ist jedoch in der Verstärkung unseres inneren Konfliktes zu sehen. Es geht nur darum, wieder schnell zu funktionieren und unsere Aufgaben zu erfüllen. Dies entspricht immer weniger dem vorherrschenden Lebensgefühl. Mit Reaktanzen durch unser Unterbewusstsein muss gerechnet werden.
 


Abb. 4: Thomapyrin - Auf den Punkt gegen Kopfschmerz


Abb. 5: Aspirin - Der Schmerz ist weg

Fazit

Während es bei vielen Markenprodukten selbstverständlich geworden ist, durch ein gezieltes Storytelling Identifikationsmöglichkeiten zu schaffen und den Nutzen des Produktes emotional erlebbar zu machen, bleibt dies bei der Werbung für Schmerzmittel die Ausnahme. Die dargestellten Personen sind nur notwendiges Beiwerk, um den Produktnutzen zu kommunizieren. Schnelle Wirkung ist zumeist die einzige Botschaft und macht so die einzelnen Produkte austauschbar. Die emotionalen Bedenken gegenüber der Verwendung von Schmerzmittel werden ausgeblendet und teilweise indirekt verstärkt. Der Konflikt, ob Schmerzmittel wirklich die beste Lösung darstellen, schwelt weiter. Die Suche nach Insights, die zu effektiveren Geschichten führen, sollte beginnen.

Über die Autorin

Als Psychologin ist es Melanie Sommer wichtig, die psychologischen und häufig unbewussten Mechanismen des Verbraucherverhaltens aufzudecken und diese in handlungsrelevante Empfehlungen für ihre Kunden umzusetzen.
Die RSG Marketing Research versteht sich als Problemlöser für den Auftraggeber, mit dem Ziel, den Kunden wirklich zu verstehen und seine Handlungsweisen nachvollziehbar zu machen und hiervon ausgehend adäquate Handlungsstrategien abzuleiten. Unsere Arbeit basiert auf dem bewährten psychologischen Modell vom SELBST & ICH, welches eine differenzierte Erklärung des Verbraucherverhaltens ermöglicht.
 

 

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