Thomas Ebenfeld, Gründer und Managing Partner, concept m Die Psychologie der Influencer

Thomas Ebenfeld, ©concept m
Nichts hat den Alltag des modernen Menschen so sehr verändert wie die Einführung des Smartphones, die in Gestalt des iPhones nunmehr gerade einmal elf Jahre zurückliegt. Es hat sich eine Kultur des "Always on" entwickelt, in der Alltag und Medien unauflösbar miteinander verwoben sind. Das Smartphone ist ständiger Begleiter, dient als ausgelagertes Gedächtnis, als Universalwerkzeug sowie als nimmermüder Unterhalter.
In dauernder Gesellschaft eines Smartphones zu sein, führte zu einer außerordentlichen Flexibilisierung von Mediennutzung und Kommunikationsverhalten – Mails und Nachrichten werden rund um die Uhr beantwortet, Videos und andere Inhalte werden nicht mehr zu festen Zeiten konsumiert, sondern wenn einem gerade danach ist. Auch die Art der Bindung zu den Inhalten hat sich verändert: Es hat sich eine "Spontanerregungskultur" herausgebildet, es wird ein "Visual Snacking" betrieben, die User springen auf immer neue Erregungshäppchen an.
Das Smartphone leitete auch eine Entwicklung ein, an deren Zielpunkt vermutlich das Ende der linearen Massenkommunikation stehen wird.
Der Nutzer von heute bewegt sich in Filterblasen, oder – anders ausgedrückt – er ist in einem selbst gezimmerten Medientunnel unterwegs, in der von ihm präferierte Inhalte ausgespielt (und durch Algorithmen noch verstärkt) werden. Von den allgemeinverbindenden, gesellschaftsübergreifenden Themen früherer Tage bleibt nur noch eine ferne Sehnsucht.
Damit sind die sozialen Medien zu einem bedeutenden Einflussfaktor für Konsumentscheidungen gewachsen. Die Aneignung relevanter Stilwelten und die Identifizierung mit Marken erfolgt heute vorzugsweise über deren Präsenz in den Social Media Kanälen, wobei insbesondere den Hashtags eine große Bedeutung zukommt, die personenungebunden die Abdeckung größerer Interessenfelder erlauben.
Auch das mobile Onlineshopping ist in seiner gegenwärtigen Ausrichtung eher ein fließender Übergang von schwelgerischen, verspielten Stilinspirationen hin zu einer lässigen Kaufentscheidung, die noch halb im Entspannungsmodus getätigt wird.
In dieser Welt der medialen Revolution tauchte nun vor einiger Zeit ein neues Wesen auf, das erst belächelt und dann bestaunt wurde: der Influencer. Dass der Influencer etwas bewegen kann, ist mittlerweile angesichts von Branchenstars mit siebenstelligen Followerzahlen klar. Doch wie genau vollzieht sich der psychologische Mechanismus der Beeinflussung? Warum vertrauen Menschen fremden Internetstars? Und wie können Unternehmen und Marken angesichts der Erosion klassischer Kanäle davon profitieren?
Die Superkraft der Influencer liegt im Imagetransfer: Wenn der persönliche Lieblingsblogger ein Produkt für gut befindet, ist auch das Interesse des Followers geweckt.
So mauserte sich beispielsweise die bis dato kaum bekannte Uhrenmarke Daniel Wellington via Social Media zu einem erstzunehmenden Konkurrenten von Fossil, Casio & Co.
Solche Erfolge sollen nicht davon ablenken, dass es auch kritische Stimmen gegen das Influencer Marketing gibt. Von einem Hype ist die Rede, und von verbotener Schleichwerbung, die durch nicht ordentlich kenntlich gemachtes Product Placement betrieben werde.
Insbesondere in Bezug auf die Auszeichnung der Beiträge ist in der Tat ein erheblicher Nachholbedarf festzustellen, aber die Vermutung, es handele sich um ein schnell vergängliches Phänomen, geht ins Leere, wenn man sich die psychologischen Mechanismen des Influencer Marketings genauer anschaut. Influencer sind gekommen, um zu bleiben.
Der Medienumbruch hat dazu geführt, dass die Nutzer in der digitalen Welt ihren Medienhaushalt sehr individuell organisieren. Dabei werden in lockerer Weise vier Mediensphären vernetzt:
- General Interest (z. B. SPIEGEL Online)
- Umsetzbare Impulse (z. B. Youtube-Tutorials)
- Digitale Zerstreuung (z. B. Katzenvideos)
- Tagtraumhafte Inspirationen (z. B. Fashionblogs auf Instagram)
Die Zusammenstellung der genutzten Angebote ist nicht in Stein gemeißelt, sondern permanent fluktuierend; ständig entwickelt sich das Relevant Set weiter. Der Mediennutzer verknüpft sein Bewusstsein im Tagesablauf mit dem Medienstream, der assoziativ, unbewusst gesteuert, von äußeren und inneren Impulsen und Erregungen bestimmt, auf die Behandlung von Stimmungen und Übergängen ausgerichtet ist.
Es entwickelt sich eine mediale "All-Gier", die beständig nach Manifestationen sucht und für jede Erregung die passende Ausdrucksform findet.
Wer beispielsweise seine eigene Identität auszubilden versucht, begleitet womöglich einen Youtuber wie Montana Black bei seiner exemplarischen Lebensführung.
Wer in sich eine Erregungsbereitschaft oder Unruhe verspürt, findet die Manifestation dieser Verfassung womöglich in einem Politblog.
In dieser fluiden Gemengelage kommen nun die Influencer ins Spiel, die ihren Anhängern in der Internetgemeinde wie ein Best Buddy erscheinen, also ohne die Distanz, die man normalerweise zu Journalisten und anderen Medienfiguren verspürt. Dementsprechend pflegen die Influencer auch gerne den Mythos der kleinen, individuellen Folgerschar – selbst wenn diese in die Millionen geht.
Influencer lösen die Vorbilder und Meinungsbildner der prädigitalen Zeit – Nachrichtenmoderatoren, Supermodels, Musikstars – ab und scheinen auf Augenhöhe mit ihren Followern zu kommunizieren.
Sie bringen Ordnung in die Wirrnis des digitalen Bewusstseinsstroms, indem sie den latenten Antrieben durch konkrete individuelle Storys eine Form geben.
Influencer bewegen sich zwar für die meisten Follower erkennbar in dem Spannungsfeld zwischen Authenzität und Kommerz, gleichwohl genießen sie ein hohes Maß an Street Credibility, zumal bei vielen von ihnen am Anfang des Erfolgs oftmals ein Start in bescheidenen oder sogar prekären Verhältnissen stand. Das schafft Verbundenheit.
Die typischen Spielfelder der Influencer decken sich mit den digitalen Stimmungswelten der Nutzer.
Zwei Beispiele:
(1) Es gibt Modeblogger (u. a.), die eine Schwelgerische Stil-Inspiration betreiben und für Mode- und Lifestylemarken eine Vorbildfunktion einnehmen können. Sie geben sich nahbar und authentisch und vermitteln in einer gewissen Tagtraumlogik das Gefühl: Das könntest auch du sein!
(2) Eine weitere Gruppe von Influencern hat sich dem Umsetzbaren Coaching verschrieben, das heißt, sie agieren gewissermaßen als großer Bruder oder große Schwester, die den Nutzer an die Hand nimmt und durch den Dschungel der Außen- beziehungsweise Konsumwelt geleitet. Beispiele für dieses Genre sind Kochblogs oder Experten für bestimmte Freizeitaktivitäten (z. B. Fotografieren).
Weitere Spielfelder der Influencer sind Missionarisches Überzeugen, Selbstdarstellung/Unterhaltung, Komplexes leicht erklären sowie Special-Interest-Expertentum.
Bei den Motivations- und Karrieremustern von Influencern lassen sich vier wesentliche Linien unterscheiden: Mal wird der Blog als "persönliches Entwicklungsding" gestartet, mal als "mitlaufendes Nebenprojekt", das plötzlich Kultstatus erlangt hat, mal ganz bewusst als "neue digitale Medienkarriere" und schließlich gibt es noch das Modell "Vom Nobody zum Superstar".
Die Fraktion der Entwicklungs-Blogger wird oft durch ihren eigenen Erfolg überrascht und erlebt dann eine Professionalisierung (erweiterter Stab, Sponsoring), die die vormalige Authentizität zumindest infrage stellt. Die Nebenprojekt-Blogger neigen vielfach zu einer anspruchsvollen Spezialisierung und streben in aller Regel nicht danach, möglichst viele Menschen zu erreichen, sondern "die richtigen". Digitale Medienkarrieristen haben meistens einen Hintergrund (Webagentur o. Ä. ) und sind sehr technikaffin. Vertreter der letztgenannten Gattung schließlich leben vor allem durch ihre (exaltierte) Persönlichkeit – und haben bei ausufernder Kommerzialisierung zumindest tendenziell auch das Glaubwürdigkeitsproblem.
Zusammengefasst lässt sich sagen, das Influencer als die neuen Trendsetter die Rolle traditioneller Medien (TV, Print, Werbung) übernehmen und dass sie aufgrund ihres Herkommens in den meisten Fällen authentischer und glaubwürdiger wirken als Superstar-Testimonials, die einerseits ihrer Vorbildfunktion ohnehin nur unvollkommen gerecht werden können und deren finanzielle Motivation jedem Mediennutzer sofort klar ist.
Außerdem lässt sich durch die Auswahl der richtigen Influencer die Zielgruppensegmentierung sehr genau aussteuern und die Präzision des Targetings ausbauen (allerdings mit dem damit einhergehenden Risiko der Fragmentierung).
Dazu drei kurze Beispiele:
(1) Wenn die Brand Story/der Brand Myth oder der emotionale Markenkern kommuniziert werden sollen, sollte dies mit Hilfe von Branded Dream Worlds geschehen, bei denen die Marke als “Super Hero“ idealisiert wird. Guten Resonanzraum für diese Projektionen bieten die Blogger, die der schwelgerischen Stil-Inspiration nachgehen.
(2) Bei Markenfragen in Bezug auf Stil, Tonalität und Zielgruppe erfolgt die Beeinflussungsmechanik über positive Markenassoziationen, was mit Hilfe von Platzierungen und inhaltlich über eine Kommunikation als “Best Fit“ erreicht werden kann. Neben den Stil-Schwelgern kommen dafür auch Blogger der Genres “Missionarisches Überzeugen“, “Selbstdarstellung/Unterhaltung“ und “Komplexes leicht erklären“ infrage.
(3) Funktionale Markenwerte werden am besten durch rationale Darstellung der Benefits kommuniziert – ideal dafür sind die Blogger aus den Gruppen “Umsetzbares Coaching“ und “Special-Interest-Expertentum“.
Fazit: Infolge des medialen Umbruchs kommt den Influencern eine wichtige Brückenfunktion in der Markenkommunikation zu, da sie für die Generationen Y und Z eine Leerstelle der digitalen Revolution besetzen und die Nachfolge einstmals etablierter Vorbilder und Meinungsbildner angetreten haben. Wer als Unternehmen für seine Markenkommunikation Influencer einsetzt, hat große Chancen, ein konsumaffines Publikum zielgenau zu erreichen.
Der Autor
Thomas Ebenfeld ist Gründer und Managing Partner von concept m research + consulting. Er hat Psychologie und BWL in Bonn studiert, eine Ausbildung zum Analytischen Intensivberater und ist Absolvent der Kölner Akademie für Markt- und Medienpsychologie (KAMM). Seit 2011 absolviert er außerdem eine Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten.
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