Interview mit Bernd Wachter & Bettina Klumpe, ADM, zur ÖVP-Korruptionsaffäre „Die Neutralität der Forschenden muss immer gewährleistet werden.“

Angesichts der Rolle, die zwei Demoskopinnen im ÖVP-Korruptionsskandal spielen sollen: Welche Richtlinien und Kodizes regeln, wie sich Meinungsforschende grundsätzlich zu verhalten haben? Gegen welche Richtlinien, ganz abgesehen von Gesetzen, scheint hier verstoßen worden zu sein?
Bernd Wachter: Die beschuldigten österreichischen Marktforscherinnen unterliegen nicht dem Standesrecht der Deutschen Markt- und Sozialforschung. Die Vorwürfe lauten unter anderem Bestechlichkeit und Manipulation von Umfrageergebnissen, wobei noch völlig offen ist, wie diese erfolgt ist. Handelte es sich etwa um „Gefälligkeitsmarktforschung“ mit tendenziösen Fragen, wurden Interviews gefälscht oder gar nicht durchgeführt oder „echte“ Ergebnisse nach Belieben verändert? Dazu ist noch zu wenig bekannt, um konkret sagen zu können, gegen welche Richtlinien und Kodizes verstoßen wurde.
Klar ist aber, dass gegen verbindliche Vorgaben zu gesetzeskonformen, fairen und mit ethischen Verhalten verstoßen wurde, wie sie unter anderem im ESOMAR-Kodex formuliert sind.
Wenn Research Affairs Mitglied im ADM wäre, wie würde der Verband mit der aktuellen Situation umgehen müssen? In der jetzigen Situation, wo noch die Unschuldsvermutung gilt, aber auch wenn sich die Vorwürfe der Manipulation von Umfragen bewahrheiten sollten.
Bernd Wachter: Zunächst würde das Institut aufgefordert, Stellung zu den Vorwürfen zu nehmen. Sollte nachgewiesen werden, dass Studien gefälscht oder tendenziös manipuliert wurden, entscheidet die Mitgliederversammlung des ADM, ob das Institut ausgeschlossen wird. So geschehen im Jahr 2018. Aufgrund von Fälschungsvorwürfen, die von den betroffenen Instituten nicht glaubhaft widerlegt wurden, kam es zum Rauswurf von zwei Instituten. Dazu muss nicht notwendigerweise das Urteil eines öffentlichen Gerichts abgewartet werden.
Gerade in der Wahlforschung sind Korrekturen und Anpassungen von Umfragen gang und gäbe, bevor die Sonntagsfrage veröffentlicht wird. Wo verläuft hier die Grenze zur Manipulation, wie sie Sabine Beinschab und ihrem Institut vorgeworfen wird?
Bettina Klumpe: Wenn Daten gefälscht werden, zum Beispiel Befragungen erfunden oder mit krimineller Energie bewusst Ergebnisse, in die eine oder andere Richtung manipuliert werden, um so jemandem einen Vorteil zu verschaffen, so kann man das wohl Betrug nennen und das sollte strafrechtlich verfolgt werden.
In der Statistik gibt es allerdings eine Vielzahl von Gewichtungs- und Modellverfahren, die genutzt werden, um zum Beispiel soziodemografische Abweichungen auszugleichen oder Erfahrungswerte einfließen zu lassen. Hier spricht man sicherlich nicht von Manipulation im negativen Sinne, sondern von notwendigen statistischen Anpassungen.
Veröffentlichungen von Ergebnissen der Wahlforschung enthalten neben der reinen Darstellung der Ergebnisse häufig auch Interpretationen dieser oder auf diesen begründete Empfehlungen. Soweit diese von Ergebnissen der empirischen Erhebung gestützt werden, ist das ein Bestandteil der angewandten Forschung. Sind Interpretationen oder Empfehlungen nicht durch empirische Erhebungen gestützt, handelt es sich um persönliche Meinungen oder Ansichten, die bei der Veröffentlichung von Ergebnissen der Wahlforschung zu unterlassen sind. Neutralität der Forschenden muss immer gewährleistet werden.
Gibt es irgendwelche wie auch immer gearteten Umstände, die so einen Fall hierzulande weniger wahrscheinlich machen? Oder ist so ein Fall genauso auch in Deutschland vorstellbar?
Bettina Klumpe: Spielen Sie darauf an, dass das beschuldigte Institut in Österreich höhere Werte für die ÖVP veröffentlicht haben soll als andere Institute?
Die Sonntagsfrage wird von verschiedenen Instituten in Deutschland regelmäßig erfragt und veröffentlicht. Portale wie wahlrecht.de stellen die entsprechenden Ergebnisse in Übersichten zusammen. Dass Ergebnisse der Sonntagsfrage sich in den statistischen Schwankungsbreiten bewegen und die Werte einer Partei mal höher oder niedriger sind, ist natürlich auch in Deutschland der Fall. Würde ein Institut dauerhaft bei einer Partei höhere Werte veröffentlichen, wäre das sicherlich fragwürdig. Verschiedene Universitäten in Deutschland forschen auf diesem Gebiet. Eine Veröffentlichung, die dieses belegen würde, ist uns nicht bekannt.
Bei Markt- und Meinungsforschung geht es ja sehr häufig darum, dass Umfragen Entscheidungen stützen oder Trends aufzeigen können. Ich kann mich an einen Fall erinnern, als ich als junger Forscher eine in den Augen des Auftraggebers zu niedrige Bekanntheit für eine Marke auswies und Ärger mit dem Marketingleiter dafür bekam. Der Wert stimmte schon, aber das Ergebnis war nicht genehm. Wie sollten Marktforscher reagieren, wenn Auftraggeber Ergebnisse gerne anders hätten?
Bernd Wachter: In jedem Falle sollten sie sich selbstbewusst auf die Ergebnisse der empirischen Erhebung stützen, auch wenn der Auftraggeber andere Ergebnisse erwartet hat. Am Ende nützt es dem Auftraggeber nichts, wenn weitreichende Entscheidungen auf Basis falscher Zahlen getroffen werden. So etwas kann folgenschweren wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Schaden verursachen.
Es geht hier auch um den Missbrauch von Steuergeldern, da die Umfragen, obwohl sie wohl in erster Linie der ÖVP dienten, vom Finanzamt bezahlt worden sind. Kann man das einem Institut überhaupt vorwerfen oder ist das nicht nur die Sache des Auftraggebers, aus welchen Töpfen Rechnungen bezahlt werden?
Bernd Wachter: Steuergelder sollten niemals missbraucht werden, egal von wem. Das hat neben dem strafrechtlichen Thema auch etwas mit Moral und Anstand zu tun.
Das Interview führte Holger Geißler
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