Melanie Sommer, Geschäftsführerin RSG Marketing Research Die neue Ernsthaftigkeit

Äußere Einflüsse wie der Klimawandel oder die Digitalisierung beeinflussen das Konsumverhalten. Melanie Sommer, Geschäftsführerin von RSG Marketing Research, erklärt, wie der Mensch mit Reizüberflutung umgeht und was das für die Unternehmen bedeutet.

Melanie Sommer, RSG Marketing Research

Melanie Sommer, RSG Marketing Research

 

 

Niemand wird bezweifeln, dass wir in einer Zeit des Umbruchs leben. Der Klimawandel erfordert ein deutliches Umdenken hinsichtlich unseres Konsumverhaltens, die fortschreitende Digitalisierung verändert nicht nur die Arbeitswelt, sondern bestimmt gleichermaßen unser Kaufverhalten. Die Bedeutung der sozialen Medien insbesondere für die jüngere Generation, hat das Informationsverhalten grundsätzlich verändert und macht diese Zielgruppe für klassische Kommunikationskanäle fast unerreichbar. Dies hat mit Sicherheit zu einem Verlust an Orientierungssicherheit geführt. Wir wissen nicht mehr so genau, wie es weitergeht.

Psychologisch gesehen führt dies zu einem Konflikt zwischen unseren beiden Bewusstseinsebenen, unserem emotional gesteuerten SELBST und unserem rationalen ICH. Unser ICH nimmt täglich neue Informationen zur Veränderung der Welt auf, ohne hieraus Antworten für das eigene Verhalten ableiten zu können. Aufgrund der entstehenden Orientierungslosigkeit entwickelt unser SELBST Angstgefühle. Es fühlt sich in seinem Wohlergehen bedroht.

Treten solche Konflikte auf, dann entwickelt unser Bewusstsein Lösungsstrategien, die unsere Angst besänftigen sollen. Diese Lösungsstrategien können wir bereits in vielfältiger Form beobachten:

Protest/Aggression:

Wir wehren uns gegen jede Veränderung. Die Proteste in Frankreich sind ein gutes Beispiel hierfür. Oder wir glauben, dass nur der Protest, Veränderungen zu erzielen vermag. Die Demonstrationen der Bauern in Berlin zeigen dies sehr deutlich. Greta Thunberg ist wahrscheinlich gleichfalls typisch hierfür. Sie klagt an, ohne jedoch wirkliche Lösungen zu forcieren.

Rückzug:

Wir ziehen uns in unser engeres Umfeld von Familie und engen Freunden zurück. Wir versuchen durch Vorsorge, und Sparsamkeit wieder Sicherheit zu gewinnen. Umfragen zeigen bei der Generation Z genau diese Entwicklung.

Verdrängung:

Wir negieren einfach die Probleme und glauben, dass es schon nicht so schlimm kommen wird oder bisher alle Probleme technisch lösbar waren. Donald Trump aber auch andere können als prototypische Vertreter hierfür genannt werden.

Delegation:

Wir sehen uns selbst nicht in der Pflicht. "Was kann schon der Einzelne verändern?". Hierum müssen sich der Staat und die großen Wirtschaftsunternehmen kümmern.

Aber selbst die beste Lösungsstrategie unseres Bewusstseins lässt uns nicht beruhigt aufatmen. In unserem Unterbewussten schwelt der Konflikt weiter und bricht wieder hervor. Es bedarf einer grundsätzlichen Lösung, wie später noch dargestellt wird.

Die Reaktion der Unternehmen

Unternehmen reagieren auf eine solche "anxietey economy" zumeist mit Zurückhaltung und Beschwichtigungen und versuchen eine schöne Welt aufrecht zu erhalten. So schaltete Volkswagen in den USA einen TV-Spot "Es werde Licht":

Zuerst sieht man nur einen dunklen Bildschirm. Dann betritt ein Volkswagen-Mitarbeiter ein Unternehmensgebäude, die Lichter bleiben zunächst weitgehend aus. Man hört Ausschnitte von Nachrichtensendungen, in denen über die Softwaremanipulationen bei Dieselfahrzeugen des Konzerns berichtet wird. Schließlich beginnt ein einsamer Designer nachts an seinem Zeichentisch mit ersten Entwürfen für ein neues Auto. Danach übernehmen Roboter die Arbeit, eine große Autobatterie wird angehoben. Am Ende des TV-Spots macht der von VW angekündigte Elektrobus ID-Buzz seine Scheinwerfer an und rollt im besten Sinne des Wortes aus der Dunkelheit.

Es mag psychologisch geschickt erscheinen, den Dieselskandal als einen Wechsel von der Dunkelheit zum Licht zu symbolisieren, jedoch kommt die Dunkelheit eher schicksalhaft über einen als das man sie selbst verursacht. So stellt sich Volkswagen nicht den Vorwürfen, sondern man sieht, wie ein einzelner Mitarbeiter Volkswagen in die Zukunft führt. Aus dem Weltkonzern wird plötzlich ein kleines Ingenieurbüro. Auch hier bleibt ein Wir als Unternehmen stehen dazu und werden es ändern, auf der Strecke.

Auch Bayer glaubt das Problem Glyphosat durch eine Anzeigenkampagne mit der Headline: Wir haben zugehört. Und verstanden. zu lösen. Ähnlich wie Volkswagen spricht Bayer nur von seinen Anstrengungen, in Zukunft alles besser zu machen. Ob man daraus wirklich schließen darf, dass Bayer "verstanden hat" darf man bezweifeln.

Dies sind nur zwei Beispiele und viele weitere könnten aufgeführt werden, die alle zeigen, das viele Unternehmen die Zeichen der Zeit nicht verstanden haben. Selbstverliebtheit und Egozentrierung wird nicht mehr zum Erfolg führen.

Purpose driven Strategien

Wir können versuchen, wie bereits beschrieben, uns des Konfliktes ausgelöst durch die Veränderung der Welt zu entziehen. Wir können uns aber auch dem psychologischen Konflikt stellen und unsere Position in der Gesellschaft neu bestimmen. Dies bedeutet, dass wir für uns selbst darüber klar werden, welche Aufgabe wir in unserer Gesellschaft übernehmen wollen oder anders ausgedrückt, welchen Sinn wir unserem Leben geben möchten. Viktor Frankl, der Psychoanalytiker, der die Frage nach dem Sinn in den Vordergrund seiner Arbeit gestellt hat, sagt:

Es geht dem Menschen letztlich darum, Sinn zu finden, d.h. durch Hingabe an Werte an der Welt Anteil zu nehmen.

Dieser Gedanke ist inzwischen auch in der Wirtschaft angekommen, die beginnt zu erkennen, dass es so nicht weiter geht und der Zweck eines Unternehmens nicht nur im Erwirtschaften von Gewinnen besteht. Charles-Edoard Bouée CEO von Roland Berger formuliert das so:

Es liegt in der Natur des Menschen, einen Sinn in seinem Leben zu suchen. Für die Wirtschaft gilt: Unternehmen, die nach Sinn in ihrem Handeln suchen, schaffen größere Werte und überdauern länger.

 

Und selbst Larry Fink CEO von Blackrock, der mit Sicherheit Gewinnmaximierung nicht in Frage stellt, sagt:

Es reicht nicht, dass ein Unternehmen finanziell erfolgreich ist. Es muss etwas zu dieser Gesellschaft beitragen.

Immer mehr Fondsgesellschaften fragen sich, ob sie überhaupt noch Geld in Unternehmen ohne einen klaren Beitrag zur Gesellschaft investieren sollen, nicht nur aus ethischen Gründen, sondern auch weil sie an einen langfristigen Erfolg dieser Unternehmen nicht glauben.

Der neue Trend heißt: Purpose getriebene Unternehmensführung.

 

Es geht nicht mehr darum, nur Gewinne zu erwirtschaften, sondern jedes Unternehmen, das in Zukunft erfolgreich sein will, muss deutlich machen, welchen Beitrag es zur Entwicklung der Gesellschaft und zum Wohl des Menschen leistet. Das übergeordnete Unternehmensziel ist somit der Zweck des Unternehmens für die Gesellschaft. Marketing erhält hierbei die Aufgabe, dieses Unternehmensziel zu kommunizieren und hierdurch die Attraktivität des Unternehmens und seiner Produkte zu steigern. Dies bedeutet den Purpose des Unternehmens in konkrete Aktionen umzusetzen und sich von netten Kampagnen und auch einmal etwas Gutes zu tun. Die Zeit der Gimmicks ist vorbei.

Sein Unternehmen auf einen Purpose auszurichten heißt im Einzelnen:

  • Welche Auswirkungen hat unser Wirtschaften auf Gesellschaft und Umwelt?
  • Welchen Beitrag leisten unsere Lösungen für eine lebenswerte Zukunft?
  • Wie schaffen wir einen Heimathafen für unsere Mitarbeiter?
  • Wie schaffen wir einen Sehnsuchtsort für unsere Kunden?

Gerade die jüngere Generation zeigt in ihrer Suche nach Sinn eine zunehmende Affinität zu Unternehmen und Produkten, die sich einem attraktiven und relevanten Purpose verschrieben haben und diesen auch leben. Viele Start-ups, die von jungen Leuten gegründet wurden, haben für sich einen Purpose definiert. Beispiele sind hierfür recup – ein Mehrwegsystem für Coffee-to-go, das einen Kaffeegenuss ohne schlechtes Gewissen erlaubt, fritz-kola – eine Kola, die besser als alles ist, was die großen Brausekonzerne anbieten, myChoco – richtig gute Schokolade, mit der auch Kindern in Entwicklungsländern geholfen wird.

Die Idee des Purposes ist im Grundsatz sehr alt und wird bis heute von den Genossenschaften beispielsweise den Volks- und Raiffeisenbanken umgesetzt, die eine Wertorientierung zur Basis ihres Handelns gemacht haben. Die Kampagne macht deutlich, dass sich die Raiffeisen- und Volksbanken als Partner sehen, um den Menschen zu helfen, ihre Ziele zu erreichen. Dies steht in deutlichem Gegensatz zu dem Streben nach Gewinn mancher Großbank gleichgültig, wie groß das Risiko für unsere Gesellschaft hierbei ist.

Ein zweites gutes Beispiel ist Werner&Mertz, die mit der Marke Frosch schon seit langem umweltschonende  Haushaltsreiniger vermarkten und immer wieder Innovationen wie Kunststoffflaschen aus recyceltem Kunststoff anbieten. Werner&Mertz geht mit seiner Initiative Frosch über die Vermarktung ökologisch sinnvoller Produkte hinaus und engagiert sich generell für ein ökologisches Verhalten.

Purpose gilt nicht nur im Bereich der Ökologie und Nachhaltigkeit, sondern beschreibt auch eine Haltung innerhalb unserer Gesellschaft. Nike beschreibt seinen Purpose wie folgt:

"Our purpose is to unite the world through sport to create a healthy planet, active communities and an equal playing field for all."

 

Das dies nicht nur leere Worte sind, wird in der Kampagne von Nike für Colin Kaepernick deutlich. Diese Kampagne hat Nike kurzfristig geschadet, jedoch langfristig genutzt.

Aber auch Konzepte, die sehr stark auf ein soziales Engagement ausgerichtet sind, verpflichten sich einem Purpose. share ist in diesem Zusammenhang ein sehr spezifisches Angebot. Mit dem Kauf jedes Produktes hilft man einem Menschen in Not. Wesentlich hierbei ist, dass die Produkte ungefähr gleich teuer sind als vergleichbare Produkte. Produkte von share werden von REWE und dm derzeit angeboten und verstärken so auch das Bild eines verantwortlichen Händlers.

Aber auch viele kleinere Unternehmen haben für sich ihren Purpose definiert und leben diesen auch. Hierzu ist das Unternehmen Sterntaler ein gutes Beispiel. Seine Produkte sind nicht auf die Wünsche der Eltern, sondern auf die Bedürfnisse der Kinder ausgerichtet.

 

Alle diese Beispiele zeigen, es verändert sich derzeit etwas. Purpose wird zu einer wirkungsvollen Strategie für immer mehr Unternehmen.

Fazit

Unternehmen und deren Marketing müssen mit neuen Strategien auf eine sich verändernde Welt reagieren. Insbesondere die jüngere Generation fordert mehr als schöne Bilder und Marketing-Gimmicks. Sie wird nur Unternehmen und Marken vertrauen, die sich ihrer Rolle in unserer Gesellschaft bewusst sind und im Sinne und für unsere Gesellschaft handeln, also Purpose getrieben sind. Dies bedeutet so zu leben und sich auch aufrichtig so zu verhalten.

Über die Autorin

Als Psychologin ist es Melanie Sommer wichtig, die psychologischen und häufig unbewussten Mechanismen des Verbraucherverhaltens aufzudecken und diese in handlungsrelevante Empfehlungen für ihre Kunden umzusetzen.

 

Diskutieren Sie mit!     

  1. Michael Schiessl am 11.03.2020
    toller artikel, Gratulation aus Berlin!

Um unsere Kommentarfunktion nutzen zu können müssen Sie sich anmelden.

Anmelden

Weitere Highlights auf marktforschung.de