Karsten Polthier, Innofact "Die klassische und die moderne Marktforschung ergänzen sich."

Wir sprachen mit Karsten Polthier, CEO von Innofact, darüber, inwieweit sich die Marktforschungsbranche verändern wird und wie es seiner Meinung nach um die Bereiche UX, CX sowie Data Science steht. Ergänzen diese die Marktforschungsbranche oder verdrängen die Disziplinen das Altbekannte?

marktforschung.de: Wenn Sie auf einer Party jemand nach Ihrem Beruf fragt: Wie stellen Sie sich vor?

Karsten Polthier: Ich sage gerne die Wahrheit: Ich bin Marktforscher.

Wie stellen Sie jemand Fremdes Ihr Unternehmen vor?

Karsten Polthier: Vermutlich meist zu detailliert. Den Begriff Marktforschungsinstitut verwende ich aber weiterhin – der trifft es immer noch am besten. Ich verweise dann gerne auf die Vielfalt unserer Themen und Aufgabenstellungen – sowohl bedingt durch die unterschiedlichen Kundenbranchen, die wir bedienen, als auch durch die ständig wachsende Toolbox, mit der wir die unterschiedlichen Kundenaufgaben bearbeiten.

Welche Bereiche und Disziplinen gehören für Sie zur Marktforschung? Wo ziehen Sie Grenzen?

Karsten Polthier: Ich habe nicht das Bedürfnis, die Marktforschung sofort in ein starres Methodenkorsett einzuschnüren. Die Welt der Marktforschung ist für mich bunt und vielfältig – und erweitert sich ständig. Ob etwas zur Marktforschung gehört, ist für mich somit nicht so sehr eine Frage der konkreten Disziplin oder Methode. Vielmehr ist wichtig, aus welchem Grund ein Projekt durchführt wird. Und für "echte" Marktforschung sollte es hier primär immer um Erkenntnisgewinn gehen.

Wie ist es konkret mit den Bereichen UX- und CX-Forschung? Gehört das für Sie zur Marktforschungsbranche? Wenn Ja, warum?

Karsten Polthier: Natürlich ist das Teil der Marktforschung. Jede Untersuchung, die Bedürfnisse und Wünsche von Kunden in den Mittelpunkt stellt, um deren Marktfähigkeit abzuprüfen, ist im besten Sinne Marktforschung. Dazu gehört die Usability einer Website genauso wie Prozesse rund um den Kunden im Rahmen von Customer Centricity.

Wie ist es konkret mit dem Bereich Data Science? Gehört das für Sie zur Marktforschungsbranche?

Karsten Polthier: Hier gilt dasselbe. Die intelligente Auswertung von bestehenden Daten, die zum Beispiel über die Internetnutzung von Probanden entsteht, ist ebenso Marktforschung. Dass die Daten nicht erhoben wurden, sondern im Zweifel entstehen, heißt ja nicht, dass man bei der Stichprobenziehung oder Zusammensetzung der Stichprobe andere Maßstäbe anlegen muss. Für einen großen Telekommunikationsanbieter haben wir beispielsweise eine Stichprobe online gezogen und dann das Such- und Surfverhalten hinsichtlich des Kaufes von Breitbandprodukten drei Monate lang beobachtet. Zusätzlich haben wir übrigens dann diese Stichprobe in mehreren Wellen immer wieder befragt und dann die Befragungs- und Verhaltensdaten übereinandergelegt. Hier sieht man, wie sich die klassische und die moderne Marktforschung ergänzen kann. Natürlich immer unter Wahrung der Datenschutz- und Anonymitätsgrundsätze für die Studienteilnehmer.

Wenn Sie in die Zukunft schauen: Sollte die Marktforschungsbranche benachbarte Disziplinen "umarmen" oder besser auf Abstand halten? Begründen Sie bitte Ihre Meinung.

Karsten Polthier: Natürlich umarmen. Marktforschung hat immer dadurch gewonnen, dass sie sich weiterentwickelt und sich angrenzende Ideen und Konzepte zunutze macht. Entweder methodisch, in dem aus Face-to-Face dann Telefon und dann Online und Mobile wurde. Oder in dem aus der Marketingwissenschaft bekannte Verfahren wie beispielsweise die Preisforschung Eingang in den Instrumentenkoffer der Marktforschung fanden. Marktforschung ist zudem eine interdisziplinäre Wissenschaft, bei der Soziologie, Psychologie, Wirtschaftswissenschaften und Marketing im Speziellen eine Verbindung eingehen.  Heute sind wir mitten in einem dynamischen Prozess, in dem die Digitalisierung uns Marktforschern völlig neue Perspektiven aufzeigt. Es wäre grob fahrlässig, sich dem zu verschließen.

Welche Rolle kommt Ihrer Meinung nach dabei den Verbänden der unterschiedlichen Disziplinen zu? Für die Marktforschung wären das Verbände wie Esomar, ADM, DGOF oder BVM. Sollten die Marktforschungsverbände auf benachbarte Disziplinen zugehen?

Karsten Polthier: Wenn die Marktforschung benachbarte Disziplinen umarmen sollte, dann unsere Verbände erst recht. Nichts ist schlimmer, als wenn Verbände verpassen, maßgebliche neue Entwicklungen, die eigentlich in ihr Feld gehören, abzublocken. Das führt häufig zu einem Bedeutungsverlust desjenigen Verbandes.

Inwieweit wird sich die Marktforschungsbranche ihrer Meinung nach verändern müssen?

Karsten Polthier: Da schwingt immer eine Unterstellung mit, dass sich die Branche nicht verändert oder wandeln will. Dabei ist es einer der innovativsten Branchen innerhalb der Betriebswirtschaft. Insofern sehe ich die Weichen längst gestellt in Richtung Data Analytics, Aufbrechen der qualitativen Methoden in Richtung online sowie Integration von Technologien wie Virtuell Reality oder künstliche Intelligenz. Fakt ist aber auch, dass die Kunden sich noch oft und häufig mit Recht die klassischen Verfahren wünschen. Insofern sind wir in der Marktforschungsbranche gerüstet, sollten aber auch den Kunden im Blick behalten. 

Vielen Dank für das nette Gespräch!

Das Interview führte Gessica Uerling

Fünf Fragen an Karsten Polthier

Karsten Polthier ist CEO der Innofact AG.

Wie sind Sie in Ihrem jetzigen Beruf gelandet? Durch einen Professor während des Studiums, der mich für das Thema begeistert hat und mich auch direkt ins kalte Wasser der Marktforschungs-Projektarbeit hat springen lassen. Das fand ich dann so erfrischend, dass ich es seitdem nicht mehr missen wollte.
Sind Sie gerne geschäftlich unterwegs? Oder verbringen Sie lieber Zeit im Büro? Schwierig zu beantworten – weil natürlich beides seinen Reiz hat. Das Reisen ist auch deshalb spannend, weil es uns Marktforschern quasi als gratis-Nebeneffekt immer neue Einblicke in die Befindlichkeiten verschiedener Zielgruppen ermöglicht. Aber ich bin wirklich auch gerne – und den Großteil meiner Arbeitszeit - mit dem INNOFACT-Team in unserem Düsseldorfer-Office direkt am Rhein.
Mit wem würden Sie gerne einmal zusammen Mittagessen? Wo ist die Antwortoption "weiß nicht", wenn man sie mal im Fragebogen braucht? Ehrlich: Zu dieser Frage habe ich mir noch nie Gedanken gemacht und spontan fällt mir auch Niemand ein. Da hätten Sie mal besser nach Abendessen gefragt.
Gibt es ein Buch oder einen Film, der Sie verändert hat? Welcher/s und warum? Ein einzelnes Buch oder ein Film mit einem Riesen-Veränderungseffekt? Ich glaube nein.
Wie verbringen Sie am liebsten Ihren Sonntag? Gerne sehr vielfältig. Häufig als Mix aus Zeit und Essen mit meiner Frau und meinen Töchtern, Bewegung mit meinem Hund Nacho, Sport mit Freunden, Entspannung am späteren Abend mit einem guten Film – und gelegentlich ohne Groll auch mal zum Aufarbeiten 2 Stunden ins Büro.
 

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