Kolumne von Prof. Dr. Dirk Lippold Die größte Missetat im Vertrieb ist „Luftnummern“ verfolgen

(Bild: picture alliance / Westend61 | Evrymmnt)
Ob bei der Vermarktung von Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen, technischen Anlagen, Ersatzteilen, Werkzeugmaschinen, Produktkomponenten, Telekommunikationseinrichtungen, ERP-Systemen oder Marktforschungsleistungen, die Akquisition – also der persönliche Verkauf – ist hauptverantwortlich für den Markterfolg.
Gleichzeitig ist der persönliche Verkauf aber auch das teuerste Handlungsfeld im B2B-Bereich überhaupt.
Diese wichtige Erkenntnis bekommt dadurch noch eine besondere Note, wenn man bedenkt, dass die teuerste Aktion innerhalb des gesamten Vertriebsbereichs wiederum die Verfolgung von „Luftnummern“ ist. Somit ist ganz entscheidend, dass die „Luftnummern“ – also die Kontakte ohne seriösen Hintergrund – sehr frühzeitig herausgefiltert werden, da sonst die teuren vertrieblichen Ressourcen unnötig vergeudet werden.
In meiner Kolumne zum „ausgedienten“ Sales Funnel habe ich über „Luftnummern“ berichtet, die im Rahmen des Sales Cycle herausgefiltert werden. Grundlage dazu ist der Sales Filter, der fälschlicherweise häufig als Sales Funnel (Trichter) bezeichnet wird. Doch was sind eigentlich „Luftnummern“ und wie kann man sie identifizieren?
Monatliche Vertriebsmeetings meist wenig erhellend
Dazu stellen wir uns folgende Situation vor: Wir sind im B2B-Bereich mit seinem direkten Vertriebsweg. Im Rahmen des monatlichen Vertriebsmeetings stellen die verantwortlichen Vertriebler die Erfolgswahrscheinlichkeit beziehungsweise Ernsthaftigkeit ihrer vertrieblichen Kontakte vor. Einen Monat später kommen dieselben Kontakte mit derselben Ernsthaftigkeit wieder zur Sprache. Einen weiteren Monat später das gleiche Prozedere und das Entscheidende: Kaum einer der Kontakte (Leads) konnte zwischenzeitlich in einen Abschluss umgemünzt werden. Monat für Monat wird so die verantwortliche Geschäftsleitung vertröstet. Mit teilweise fatalen Folgen, denn an die Durchführung vieler Aufträge sind Investitionen (in Personal und Sachmittel) geknüpft.
Was läuft hier falsch?
Der angesprochene direkte Vertriebsweg kann sehr erfolgreich, aber auch sehr teuer sein. In jedem Fall ist er der bedeutendste Kostenfaktor im Vermarktungsprozess von erklärungsbedürftigen Produkten und Leistungen. Jede Stunde, die der Vertriebsmitarbeiter mit vertrieblich unproduktiven Tätigkeiten verbringt, fehlt für die qualifizierte Vertriebsarbeit. Bereits in den 1980er Jahren wurde im Rahmen einer Untersuchung festgestellt, dass vertrieblich unproduktive Tätigkeiten etwa die Hälfte aller Vertriebsaktivitäten ausmachen (siehe Abbildung).
Der größte Zeitfaktor dabei ist: „Luftnummern verfolgen“.
Mit vier Fragen den scheinbar ernsthaften Vertriebskontakt entzaubern
Um solche Luftnummern rechtzeitig zu erkennen, bietet es sich an, bereits direkt im Verkaufsgespräch oder im Vertriebsaudit Akquisitionsschwellen zu setzen. Wichtige Fragen in diesem Zusammenhang sind:
- Stimmt das Anforderungsprofil des Kundenunternehmens (z.B. aus der Ausschreibung/dem Pflichtenheft) auch wirklich mit dem Produkt- bzw. Leistungsprofil der angebotenen Lösung überein?
- Wann soll das Projekt gestartet werden und wann ist die Einführung der Problemlösung geplant?
- Ist ein angemessenes Budget (und wenn ja, welches) für die Realisierung/Einführung der Problemlösung vorhanden?
- Wer entscheidet letztendlich über die Vergabe des Auftrags, d.h. wird in der Endphase des Akquisitionsprozesses auch mit dem richtigen Ansprechpartner (Entscheider) verhandelt?
Sollten keine zufriedenstellenden Antworten auf diese oder ähnliche Fragen gegeben werden, so ist die Ernsthaftigkeit des Vertriebskontakts mehr als in Frage gestellt. Ggf. ist der Kontakt aus der Auftragserwartung zu streichen.

Tätigkeiten eines Vertriebsbeauftragten im High-Tech-Bereich
Filterfragen sind der wichtigste Hebel
Zusammen mit solchen Filterfragen ist der Einsatz von Informations- und Kommunikationssystemen der stärkste Hebel zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit im Vertrieb.
Im Vordergrund steht das Customer Relationship Management (CRM), das eine konsequente Ausrichtung des Unternehmens auf seine Kunden und die systematische Gestaltung der Kundenbeziehungsprozesse zum Gegenstand hat. Die dazu gehörende Verfolgung (Historie) von Kunden- und Interessentenbeziehungen ist ein wichtiger Baustein und ermöglicht ein vertieftes Beziehungsmanagement. Gerade im B2B-Bereich sind Beziehungen zwischen Anbieter und Kunden langfristig ausgerichtet. Mit Hilfe von CRM-Systemen werden diese Kundenbeziehungen gepflegt und eine differenzierte Kundenbetreuung (z. B. Fokus auf „wertvolle“ Kunden) ermöglicht. Gleichzeitig dienen die CRM-Daten der Vorbereitung und Durchführung des Kundenbesuchs.
Filter und nicht Trichter
Dabei erfolgt die Verwaltung und Dokumentation von Geschäften, die sich in Anbahnung befinden, nach den einzelnen Stufen des Verkaufsprozesses (Sales Cycle). Auf diese Weise ist es möglich, Vertriebsanalysen, Auftragswahrscheinlichkeiten und Erfolgsquotenmessungen je Kontaktstufe vorzunehmen. Es hat sich dabei durchgesetzt, die einzelnen Kontaktstufen eines Sales Cycle in Form eines „Vertriebstrichters“ (engl. Sales Funnel) abzubilden. Allerdings ist diese Bezeichnung verwirrend, denn bei einem Trichter kommt alles, was man oben in ihn hineingegeben hat, auch unten wieder heraus. Das ist beim Akquisitionsprozess ganz anders, denn auf jeder Kontaktstufe werden Kontakte, die nicht weiterverfolgt werden sollen, herausgefiltert und erreichen nicht die nächste Kontaktstufe. Daher ist „Vertriebsfilter“ die treffendere Bezeichnung.
Kennzahlen im Vertrieb
Für den Vertriebsbereich bietet sich eine ganze Reihe wichtiger Kennzahlen (engl. Key Performance Indicators – KPIs) als Steuergrößen bzw. verdichtete Informationen über quantifizierbare Tatbestände im Akquisitionsprozess an. Allerdings gibt es nicht die „besten Kennzahlen“ oder das „beste Kennzahlensystem“ – zu unterschiedlich sind Ziele und Strategien einzelner Unternehmen und Branchen.
Kennzahlen sind unternehmensindividuell und sollen Potenzial für Verbesserungen aufzeigen und nicht als pure Kontrolle missverstanden werden. Kennzahlen sollten nicht isoliert betrachtet werden.
Kennzahlen steuern die Vertriebsorganisation als Ganzes
Ihre größte Aussagekraft entfalten sie erst im Gesamtzusammenhang des Kennzahlensystems in einer langfristigen Entwicklung. Für eine erfolgreiche Vertriebssteuerung ist es daher wichtig, die für das Unternehmen wirklich relevanten Kennzahlen auszuwählen und zeitnah zur Verfügung zu stellen. Denn mit einem effektiven Vertriebskennzahlensystem besitzt das Unternehmen ein umfassendes Informationsinstrument für sämtliche Absatz-, Kunden-, Wettbewerbs- und Marktsituationen. Vertriebskennzahlen bilden die Zielvorgaben für einzelne Vertriebsprozesse und steuern somit die Vertriebsorganisation als Ganzes als auch den einzelnen Vertriebsbeauftragten [vgl. Bitkom 2006, S. 2 ff.].
Vertriebskennzahlen füllen in erster Linie drei Funktionen aus. Sie dienen
- als die Grundlage für die Vertriebsplanung,
- dem Controlling als Grundlage für das Aufspüren von Verbesserungspotenzialen und
- der Motivation der Mitarbeiter, indem sie die einzelnen Vertriebsleistungen bewerten und vergleichen und damit Basis für die Berechnung von variablen Vergütungsanteilen sind.
Zur Vertiefung der Vertriebsproblematik im B2B-Bereich siehe hier.
Über die Person
Prof. Dr. Dirk Lippold ist Dozent an verschiedenen Hochschulen. Seine Lehrtätigkeit umfasst die Gebiete Unternehmensführung, Marketing & Kommunikation, Personal & Organisation, Technologie- und Innovationsmanagement sowie Consulting & Change Management. Zuvor war er viele Jahre in der Software- und Beratungsbranche tätig – zuletzt als Geschäftsführer einer großen internationalen Unternehmensberatung. Auf seinem Blog www.dialog-lippold.de schreibt er über aktuelle betriebswirtschaftliche Themen.
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