Sechs Jahrzehnte Marktforschung Die Geschichte der Marktforschung am Beispiel des IFAK Instituts

Die 50er gehen in die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland als das Jahrzehnt des Wirtschaftswunders ein. "Soziale Marktwirtschaft" heißt die neue Wirtschaftsordnung und "Wohlstand für alle" soll sie bringen. Das Wirtschaftswunder kam in Fahrt und wie! Damit stieg auch das Interesse der Unternehmer am bis dahin unerforschten Kunden. Wer sind diese? Was wünschen sie sich? Mit welchen Produkten können wir bei ihnen punkten?

Um hierauf Antworten zu finden gründeten sich die ersten Marktforschungsinstitute. Die Markt- und Sozialforschung steckte in den frühen 50er Jahren in Deutschland noch in den Kinderschuhen, insbesondere weil die Nationalsozialisten während des zweiten Weltkriegs Markt- und Sozialforschung unterbanden und renommierte Wissenschaftler in die USA emigrierten.
"Totalitäre Systeme benötigen keine Markt- und Sozialforschung. Der Staat glaubt zu wissen, was die Menschen brauchen. Deshalb ist Markt- und Sozialforschung ein Teil der Demokratie", so Martina Winicker, seit 1994 Geschäftsführerin des IFAK Instituts. Erst nach dem zweiten Weltkrieg hatte die Markt- und Sozialforschung also wieder eine Chance.
Andreas Ketels, der schon seit 1953 als Marktforscher bei Emnid tätig war, wurde 1958 durch enge Kontakte zu Unternehmern dazu bewogen, das IFAK Institut ins Leben zu rufen. Der Fokus lag zu Beginn auf der Ermittlung von Absatzpotenzialen in verschiedenen Branchen. Dabei kam bereits die gesamte Bandbreite der damals bekannten quantitativen und qualitativen Methoden zum Einsatz.
Die 60er Jahre: Boom der Grundlagen- und Absatzforschung
In den 60er Jahren lag der Fokus des Instituts weiter auf der Konsumforschung, genauer gesagt auf der Grundlagenforschung und der Bewertung der Absatzsituationen. Ein Beispiel dafür ist der IFAK Index Elektrotechnik. Die kontinuierlichen Absatz-Untersuchungen bei 800 Geschäften des Rundfunk- und Elektrohandels waren für die Unternehmen der Elektro-, Rundfunk- und Fernsehindustrie eine wichtige Informationsquelle.
Zeitgleich stieg die Produktvielfalt enorm an. IFAK führte zu dieser Zeit zahlreiche Gruppendiskussionen durch, um die für Produkte gegebenen Absatzvoraussetzungen zu ermitteln. Darüber hinaus wurden durch Produkttests Waren im Hinblick auf ihre Eigenschaften, z. B. dem Geschmack aber auch auf mögliche Verpackungsformen, getestet.
Auch die Grundlagenforschung stand hoch im Kurs, wusste man in der Zeit doch die wenig bis gar nichts über die allgemeinen Gewohnheiten, Wünsche und Bedürfnisse von Verbrauchern. Ein Beispiel dafür ist die breit angelegte IFAK-Studie "Frau in der Küche", in der der "Lebens- und Wirkungsraum" von Frauen in den 60ern erforscht wurde.
Die 70er und 80er Jahre: Die steigende Medienvielfalt befeuert die Forschung
Die 70er und 80er Jahre waren geprägt von steigender Medienvielfalt und dem Interesse an Daten über deren Nutzung. Ein Beispiel dafür ist der Siegeszug des Farbfernsehens, der vor allem durch die Fußball-WM 1974 im eigenen Land Fahrt aufnahm.
In diesem Rahmen wurde IFAK 1977 erstmals mit der Erhebung der ma (Media-Analyse) betraut. Die Reichweitenforschung und Markt-Media-Studien wurden in den 80er Jahren von dem damaligen Geschäftsführer Robert Ulrich weiter vorangetrieben. Was mit wenigen Printmedien begonnen hatte, umfasst heute - die Gebiete Fernsehen, Radio, Kino, Plakat und Online-Medien und die damit verbundenen Studien.
Die groß angelegten Reichweitenstudien wurden zunächst noch als persönlich mündliche Interviews auf Papier erfasst, in den 80ern erfolgte die Erhebung mit der Verbreitung von Festnetztelefonen zunehmend telefonisch. Neben der Implementierung neuer CATI-Techniken wurden hierfür auch neue Stichprobenverfahren entwickelt. Mit der Wiedervereinigung Deutschlands stagnierte der CATI-Trend allerdings vorübergehend, denn in den neuen Bundesländern war die Versorgung mit Festnetztelefonen zu gering. Die Forschung ging für einige Jahre zurück zum persönlich mündlichen Interview.
Durch die weiter steigende Nachfrage wurden die Räumlichkeiten für IFAK in Wiesbaden zu klein. 1978 stand daher der Umzug ins benachbarte Taunusstein an - in den 70er Jahren noch auf der grünen Wiese.

Die 90er Jahre: Im Zeichen der Pharma- und Mobilitätsforschung
Mit den Veränderungen im Pharmamarkt stieg auch in dieser Branche der Bedarf an fundierten Daten über das Marktgeschehen. Seit Mitte der 90er Jahre steht daher auch die Pharmaforschung im Fokus von IFAK.
Zu Beginn standen hier besonders die am weitesten verbreiteten Krankheiten und deren Behandlungsmethoden im Vordergrund. Der Pharmabereich war geprägt durch große KPI-, brand-recall-, Call-after-visit- sowie Therapietrackings, die telefonisch oder face-to-face mit Ärzten durchgeführt wurden. Es war die Hochphase großer Pharma-Außendienste und ständig neuer Blockbuster-Therapien. Es war auch die Hochphase der qualitativen Feld-Forschung mit für den Pharmabereich vielen Befragten: So waren Feldstudien deutschlandweit mit einstündigen Tiefeninterviews mit 60-80 Ärzten keine Seltenheit.
Ein Großprojekt beflügelt Mobilitätsforschung
1999 hat sich die Mobilitätsforschung bei IFAK als eigenständiger Bereich mit einer kontinuierlichen Fluggastbefragung der Lufthansa etabliert. Die Abbildung von Reiseströmen stellte den zentralen Inhalt dieses Großprojektes dar. 17 Jahre lang an 365 Tagen im Jahr führten IFAK Interviewer insgesamt 5 Millionen Interviews auf allen deutschen Flughäfen durch. Für die technischen Entwicklungen war diese Studie ein großer Treiber bei IFAK. Zur Verarbeitung der großen Datenmenge wurde z.B. im Sinne der Qualität- und Effizienzsteigerung ein spezielles Datenbanksystem entwickelt.
Das neue Jahrtausend: Der Beginn der Digitalisierung
Die letzten beiden Jahrzehnte standen in der Marktforschung im Zeichen des digitalen Wandels. Auch zuvor schritt die Technik schon unaufhaltsam voran, aber die Geschwindigkeit hat deutlich zugenommen.
In einigen Bereichen hat sie zu Vereinfachungen und Kostenreduzierung geführt. Bei Face-to-Face Umfragen z.B. ist Paper Pencil zunächst mehr und mehr den Laptops und PDAs gewichen. Heute nutzen die Interviewer vorwiegend Tablets. Die Technik hat hier vieles vereinfacht, aber die Fragestellungen wurden eigentlich nur geringfügig verändert. Andere Bereiche sind komplett neu entstanden oder erforderten eine umfassendere Anpassung bisheriger Vorgehensweisen.
Bei den anfangs belächelten - aber längst etablierten Onlineumfragen -, konnte z.B. nicht einfach ein bestehender Fragebogen 1:1 auf das Onlinemedium übertragen werden. Auch der Anspruch, Verbraucher so authentisch wie möglich zu erfassen und sie situativ betrachten zu können, bekam mit den Möglichkeiten der Online-Welt frischen Wind. In Online Communities konnten Teilnehmer gegen Ende des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrtausends auf einmal orts- und zeitunabhängig ausführlich über ihre Gewohnheiten, Einstellungen und Bedürfnisse diskutieren und Ideen bewerten. IFAK hat hier für die ersten Gehversuche wie einige andere Institute auch zunächst eine eigene Community-Software entwickelt. Ein Beispiel dafür, wie breit das Spektrum des Marktforschers geworden ist.
IFAK heute
Rückblickend hat sich IFAK und die Marktforschungsbranche stets synchron mit den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und technischen Veränderungen entwickelt. Die Schnelligkeit des Wandels und die damit verbundenen stetig wachsenden Möglichkeiten für Unternehmen und Verbraucher sind allerdings nicht ganz vergleichbar mit früheren Zeiten. Darauf reagieren die Institute mit unterschiedlichen Strategien. Effizienzsteigerungen und Schnelligkeit bei Beibehaltung der Qualität sind aber für alle Institute entscheidende Punkte. Moderne Technik unterstützt Institute wie IFAK dabei.
So können z.B. bis zu 200.000 Interviews pro Monat im Rahmen einzelner Studien erhoben werden – Anfang der 60er waren es noch 20.000. Und dauerte die Auswertung und Ergebnislieferung früher mehrere Monate, so werden heute automatisiert bis zu 5.000 kommentierte und unkommentierte Berichte zeitnah nach Feldende ausgeliefert. Teilweise werden die erhobenen Daten dabei sogar zusätzlich noch mit Daten aus anderen Projekten oder Datenquellen angereichert.
Die Mafo-Branche lebt also weiter davon, neue Themen aufzugreifen und nutzbar zu machen. Die Digitalisierung unseres Lebens wird dabei wesentlicher Treiber der Entwicklung neuer Methoden und Fragestellungen sein.
Technische Ausstattung - Achtung Lochkarten

Gearbeitet wurde damals mit elektronischen Sortiermaschinen und Lochkarten. So wurden in ein aus Karton bestehendes Speichermedium Löcher gestanzt, deren Position jeweils einem Code entsprach. Zur Dekodierung wurden die Lochkarten bzw. die Löcher in den Karten durch eine Leseeinheit abgelesen und einer bestimmten Funktion zugeordnet. Um, sagen wir mal, alle verheirateten Frauen zwischen 40 und 50 Jahren auszuwerten, kamen alle Karten in das Lesegerät. Zunächst wurden nur die Frauen aussortiert, dann wurde im Kartenstapel "Frauen" nach den Frauen zwischen 40 und 50 Jahren selektiert und dann wurden im dritten Durchgang die Frauen gesucht, deren Lochkarte bei der Frage nach dem entsprechend Familienstand ausgestanzt war. War vorher beim Selektieren ein Fehler unterlaufen, musste die Auswertung von vorne gestartet werden.
IFAK qualitativ

Gruppendiskussionen, die wie auf dem Bild zu sehen ist einem "Kaffeekränzchen" ähnelten, wurden bereits in den 60er Jahren durchgeführt. In diesen frühen Jahren wurde schon das Image von Unternehmen und Marken untersucht. Aber auch in Hinblick auf neue Produkte wandten sich Unternehmen zwecks eines Produkt- und Verpackungstests an Marktforschungsunternehmen.
Eigenkreationen – technisch state of the art in den 60ern

Für die qualitative Forschung bei IFAK wurden vom Centre de Psychologie Clinique et Professionelle eigens zwei Geräte entwickelt:
• die elektronisch-tachistoskopische Produktbühne, mit deren Hilfe erste Entwürfe oder fertige Anzeigen, Produkte oder Packungen realitätsgetreu dargestellt und getestet werden konnten.
• die Greifbühne mit Fotosilen-Zellen und Kontakten entwickelt, die bei Wegnahme des Produktes genaue Zeiten registrierte.
Heute sagt man Eye Tracking

Zwei Bewegtbild-Kameras, zwei Video-Rekorder und ein Fernsehapparat ergeben das Eye Tracking der späten 60er Jahre. Diese Geräte kamen in zwei Bereichen zum Einsatz: einmal zur Beobachtung von Kaufvorgängen in Kaufhäusern, zum anderen für die Untersuchung des Leseverhaltens bei Zeitschrift. Das Verhalten beim Lesen einer Zeitschrift wurde so untersucht, dass Gesichtsausdruck und Dauer der Beschäftigung mit den einzelnen Abschnitten einer Zeitschrift durch zwei Fernsehkameras festgehalten wurden, die synchron geschaltet waren. Die Auswertung der Bänder ließ genau erkennen, wie lange sich der Leser mit den einzelnen Abschnitten beschäftigt hatte. Mit der zweiten synchron geschalteten Kamera konnte exakt der Ort der augenblicklichen Beschäftigung festgestellt werden – eine frühe Form des Eye Tracking also.
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