Die ePrivacy Verordnung und die Marktforschung - oder: Der kleine Unterschied zwischen gut gemeint und gut gemacht

Claudia Dubrau, Geschäftsführerin AGOF (Bild: AGOF
Von Claudia Dubrau
In Zusammenhang mit digitaler Forschung wird vor allem der Artikel 8 Abs. 1 d heiß diskutiert. Denn er enthält zunächst das Privileg, weiterhin ohne eine ausdrückliche Zustimmung (also ein Opt-In) Reichweitenmessungen durchzuführen. Also scheinbar alles gut für Reichweitenerhebungen wie zum Beispiel die der AGOF – könnte man meinen. Einzige Voraussetzung: Der Teilnehmer muss eine "Web analytics agency" sein und diese muss im öffentlichen Interesse oder für den wissenschaftlichen Zweck handeln. Hier wird es kniffelig: Denn was ist eine "Agency" und wann sind die genannten Gründe erfüllt? Ist also die digitale Währungsforschung im öffentlichen Interessen und gilt für sie der Wissenschaftsvor¬behalt? Dazu wird in der Verordnung keine klare Aussage getroffen. Es steht also zu befürchten, dass diese Entscheidung die spätere Rechtsprechung für jeden Fall bzw. Anbieter einzeln treffen wird – und damit der bisherige Schutz, den Marktforschung gerade in Deutschland genießt, überhaupt nicht mehr gewährleistet ist.
Doch der noch viel gefährlichere Fallstrick verbirgt sich in Artikel 10. Denn selbst, wenn Forschung und unabhängige Reichweitenmessung durch den Artikel 8.1 d legitimiert werden sollten: Der Artikel 10 lässt diese Privilegien ins Leere laufen!
Denn Artikel 10 will die Browser-Hersteller dazu zwingen, die Default-Einstellungen so vorzugeben, dass alle Third Party Aktionen geblockt werden. Damit wären Reichweitenmessungen, die aktuell vorwiegend über Cookies erfolgen, auf einen Schlag ausgesperrt – auch wenn sie von etablierten Marktinstanzen wie der AGOF durchgeführt werden. Befürworter der Verordnung weisen Beschwerden darüber gerne mit dem Argument zurück, im Rahmen der Installation werde der Nutzer ja einmalig nach seinen Einstellungspräferenzen gefragt. Doch das ist ehrlichweise Augenwischerei! Es ist völlig unrealistisch zu glauben, dass eine solche Rückfrage im Rahmen der Installation differenziert betrachtet wird und der Nutzer die Bedeutung sowie Tragweite erkennen kann. Vielmehr müssen wir damit rechnen, dass die meisten Nutzer, einer ersten Intuition folgend, alle Third Party Cookies blocken werden. Und damit, egal ob neutral, wissenschaftlich oder im öffentlichen Interesse, digitale Forschung verhindern.
Und genau an dieser Stelle wird es momentan besonders spannend: Wer soll diesen Konflikt lösen? Dass dabei nicht nur die Ansichten, sondern auch die Erwartungs-haltungen sehr unterschiedlich sein können, konnte ich vor wenigen Tagen selbst bei einem Fachgespräch im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie erleben. Hier wurden Ideen laut, dies müsste doch durch eine entsprechende technische Einstellung lösbar sein und die Ausnahmen nach Artikel 8.1 d damit problemlos umsetzbar sein. Getreu dem Motto: Im Internet ist das doch alles möglich.
Eben das ist es nicht und das muss hier allen Beteiligten eindeutig klar werden! Solche Ausnahmeregelungen sind technisch nicht realisierbar. Darüber hinaus kann der Browser-Betreiber nicht die Verantwortung dafür übernehmen, welche Speicherung von Daten im System zulässig und welche unzulässig ist. Nach welchen Kriterien, in welchem Abstand, mit welchen Mitteln sollte so etwas erfolgen? Eine derartige Verantwortung können nur die Webseiten, über die die Datenerhebung erfolgt, tragen. Eine solche Lösung als Ausweg aus dem Dilemma ist ein gefährlicher Ansatz, wie ich finde, denn damit wird das Problem auf später verlagert – wo es gegebenenfalls nicht mehr lösbar sein wird!
Die Folgen der ePrivacy Verordnung sind für den digitalen Markt und digitale Werbung verheerend, darüber konnten wir in den letzten Wochen bereits einiges lesen. Insbesondere aber die neutrale Marktforschung ist mit dem derzeitigen Entwurf nachhaltig in Gefahr! Mit einem derart schwammig formuliertem Artikel 8 und einem Artikel 10, der jede vorangehende Privilegierung wertlos macht, wird sie in einen unklaren Schwebezustand versetzt, dessen Auswirkungen auf den "Livebetrieb“ keiner abschätzen kann.
Grundsätzlich erkennt die Verordnung die Notwendigkeit von neutraler Forschung und möchte ihr damit gewisse Freiheiten erlauben. Das sollte man als positives Signal werten. Allerdings wird die aktuelle Umsetzung zum oft zitierten "Gut gemeint ist nicht gut gemacht“. Doch genau ein "Gut gemacht“ brauchen wir dringend in so einer weitreichenden Angelegenheit! Wir brauchen eine klare Anerkennung und Privilegierung der Marktforschung wie sie Instanzen wie die AGOF oder ähnliche leisten – und das in allen Bereichen der ePrivacy Verordnung, auch in Artikel 10. Mit guter Absicht oder der Hoffnung auf eine spätere Lösung im realen Betrieb dürfen wir uns keinesfalls zufrieden geben!
Die Autorin
Claudia Dubrau ist seit Februar 2009 Geschäftsführerin der AGOF. Die studierte Psychologin ist seit Ende 2003 in verschiedenen Funktionen für die AGOF tätig. Zunächst war sie in der der Technischen Kommission (TK) und verschiedenen AGs aktiv, 2005/2006 war sie stellvertretende Vorstandsvorsitzende und von 2007 bis 2008 Sprecherin der Technischen Kommission, die die methodische Verantwortung für die Forschungsprojekte der Arbeitsgemeinschaft, insbesondere die Markt-Media-Studie daily digital facts, trägt.
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