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Die disruptive Kraft des digitalen Shifts – wie Pure Player etablierten Marken das Leben schwer machen
Von Peter Eck, metoda
Hersteller und Händler sehen sich heute mit weitgehend transparenten Märkten und schnellen wie wendigen Wettbewerbern konfrontiert, die in tradierten Geschäftsfeldern die Karten regelmäßig neu mischen. Die Beispiele für disruptive Innovationen, die aus dem digitalen Business heraus ganze Branchen und Geschäftsmodelle verändert haben, sind zahlreich. Keine zehn Jahre lagen beispielsweise zwischen dem Beginn des kometenhaften Aufstieg Dells als digitaler On-Demand-Produzent von Computersystemen und dem Verkauf des PC-Geschäfts von IBM an den chinesischen Lenovo-Konzern, der den De-facto-Ausstieg des ehemaligen Markt- und Technologieführers aus diesem einstmals lukrativen Marktsegment markierte. In den ersten zehn Jahren von Ryanair setzte der Billigflieger, der heute nach Fluggastzahlen Europas größte Airline ist, im Ticketverkauf auf eine konsequente Online-Only-Strategie. Der Verzicht auf eine kostspielige Vertriebsinfrastruktur und mitverdienende Zwischenhändler machte die schlanke Kostenstruktur überhaupt erst möglich und ist der Grundstein der Billigstrategie des irischen Senkrechtstarters. Messenger-Dienste wie das beliebte WhatsApp haben dem einst florierenden Geschäftsfeld SMS binnen kürzester Zeit fast gänzlich das Wasser abgegraben und wer heute noch Gebrauchtwagen oder eine neue Wohnung über Wochenanzeiger sucht, der dürfte mittlerweile Schwierigkeiten bekommen, fündig zu werden. Wie groß die vom Internet im Allgemeinen und Amazon im Speziellen verursachten Verwerfungen sind, lässt sich kaum bemessen. Die Mechanismen haben sich in den vergangenen 20 Jahren jedoch kaum verändert. So kann derzeit etwa am Beispiel des Amazon-Musterschülers Zalando live mitverfolgt werden, wie E-Commerce-Innovation althergebrachte Modelle und Milliardenmarken in helle Aufregung versetzt.
Die Herausforderungen im E-Commerce sind für Markenartikler und Hersteller also groß. Konsens ist aber auch, dass der boomende Onlinehandel mehr Chance als Risiko ist. Verlockende Wachstumsraten und eine so spendier- wie experimentierfreudige Kundschaft versprechen bei allen Hürden und Schwierigkeiten gute Geschäfte im Netz. Und in der Tat wird in immer mehr Unternehmen digital gedacht und gehandelt. Das hat nicht nur mit dem vielfach zitierten digitalen Shift, sondern auch mit der jungen Generation der Millennials zu tun, die mit Macht von den Universitäten ins Management drängen und neues, digitales Denken mitbringen. In den Chefetagen spricht sich langsam herum, dass das Onlinegeschäft mehr als nur Beifang sein kann. Laut Berechnungen des Handelsverbands Deutschland (HDE) setzte der E-Commerce in Deutschland im Jahr 2015 nicht weniger als 41,7 Milliarden Euro um. Und während der Einzelhandel insgesamt im vergangenen Jahr eine Wachstumsrate von 3,1 Prozent vorzuweisen hatte, wuchs das Umsatzvolumen im Onlinehandel um weit überdurchschnittliche 12 Prozent. Ein Ende ist vorerst nicht in Sicht. Ganz im Gegenteil: Der HDE rechnet für das laufende Jahr mit 11 Prozent Onlinewachstum auf 46,3 Milliarden Euro und einem Gesamtplus inklusive klassischem Handel von noch 2 Prozent.
Marktwissen ermöglicht Markterfolg
Der Onlinekanal brummt und lockt mit guten Aussichten auf sattes organisches Wachstum. So ist auch am Stellenmarkt abzulesen, dass die Industrie an einer Professionalisierung interessiert ist; E-Commerce-Spezialisten sind heiß begehrt. Eine Entwicklung, die durchweg zu begrüßen ist, denn in vielen Unternehmen wurde der E-Commerce in den vergangenen Jahren fast sträflich vernachlässigt. Dennoch ist Vorsicht geboten! Wer sich blindlinks in den Onlinekanal stürzt, erlebt schnell sein digitales Wunder. Im E-Commerce steht der Markt nie still und in vielen Segmenten haben sich Online-Pure-Player als echte Marktgrößen etabliert, die im stationären Geschäft mitunter keinerlei Rolle spielen. Quasi unter dem Radar klassischer Retail-Könige hat sich ein gänzlich neues Wettbewerberfeld entwickelt, das viele Nischen erfolgreich besetzt hat. Und das Onlinebusiness kennen diese Spezialisten, die zumeist im Sog von Amazon mit dem Marketplace groß geworden sind, aus dem Effeff. Im üblichen Wettbewerberfeld etablierter Markenartikler finden diese Pure Player oftmals überhaupt nicht statt. Daher betreten Hersteller heute vielfach Märkte, die nicht auf sie gewartet haben und in denen auch ein großer Namen zunächst einmal einer unter vielen ist.
Für Erfolge im Onlinebusiness ist es daher unabdingbar, den Onlinemarkt und das Ziel-Marktsegment exakt zu kennen. Ansonsten laufen Investitionen ins Leere, werden die falschen Produkte der falschen Zielgruppe angeboten und wichtige Wettbewerber nicht rechtzeitig identifiziert. Das verheißungsvolle E-Commerce-Wachstum wird dann nicht realisiert, weil essentielles Marktwissen fehlt. Das Geschäft machen weiterhin die Pure Player.
Um sowohl Pure Playern als auch klassischen Retailern valide Absatzdaten zu liefern, hat E-Commerce-Marktforscher metoda Market Genius entwickelt. Das neue Angebot liefert Verkaufszahlen direkt aus dem digitalen Warenkorb der Amazon-Plattformen. Als Software-as-a-Service-Angebot bildet Market Genius somit tagesgenaue Verkaufszahlen ab. Anhand dieser Absatzdaten, die ganze Märkte, vollständige Kategorien oder auch ein Set an Produkten erfassen können, lässt sich ein Bild der Markt- und Wettbewerbssituation schaffen, das die Basis für Umsatzberechnungen, Marktanteilsvergleiche sowie weitere wichtige Marktfakten aus dem Onlinebusiness bildet.
Der Pure Player, die unbekannte Marktmacht
Wie so ein Onlinemarkt aussehen und vor welchen Herausforderungen die "klassische" Wirtschaft stehen kann, wird im Folgenden exemplarisch am Markt für Lampen und Leuchten erklärt. Das Marktsegment adressiert klar den Massenmarkt und umfasst auf der deutschen Amazon-Plattform mehr als 1,3 Millionen Angebote. Für mehr Übersichtlichkeit wird die Unterkategorie "Deckenbeleuchtung" mit immerhin noch mehr als 370.000 Produktlistungen in den Fokus gerückt. Diese umfasst maßgeblich festmontierte Lampen und Deckenspots mit integriertem Leuchtmittel.
Das Marktsegment vereint die großen Marken im Milliardenmarkt Beleuchtung sowie ein breites Wettbewerberfeld aus Pure Playern und Spezialisten. Einige wenige Namen sind weithin bekannt. Seit bald 100 Jahren sorgt zum Beispiel der Traditionshersteller Osram für Erleuchtung in deutschen Schlafzimmern und Küchen. Auch der niederländische Philips-Konzern spielt im Konzert der Großen in der ersten Reihe mit. Untersucht wurde die Nachfrage im Zeitraum Mitte April bis Mitte Mai 2016. Die Ergebnisse zeichnen das Bild eines stark segmentierten Markts, auf dem zahlreiche Anbieter ihre Chance suchen. Basis der Analyse bilden mehr als 16.021 erfasste Verkaufsbewegungen. Der Umsatz in der Produktkategorie „Deckenbeleuchtung“ auf der Plattform Amazon.de erreichte im genannten Zeitraum über 614.000 Euro.

Das Angebot der Lampenabteilung des örtlichen Baumarkts, aus dem Einrichtungshaus auf der grünen Wiese oder vom lokalen Großdiscounter dürfte bekannt sein. Im Einzelhandel dominieren klar die großen Marken. Also sollten Osram und Philips doch auch das Onlinegeschäft weitgehend unter sich ausmachen, oder? Mitnichten! Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Beide Weltmarken spielen im untersuchten Segment, das bei Osram zum Kerngeschäft gehört und bei Philips immerhin zu den margenstarken Säulen mit strategischer Bedeutung zählt, nur eine Nebenrolle. Der Münchner Osram-Konzern belegt im Umsatzranking den sechsten Platz, Philips rangiert auf Platz zwölf. Wie weit abgeschlagen die beiden Retail-Größen im Onlinekanal tatsächlich sind, verdeutlichen die Marktanteile. Auf Osram-Produkte entfielen im untersuchten Zeitraum nur 4,8 Prozent der Einnahmen. Philips liegt mit 3,25 Prozent noch weiter hinten. Marktführer mit sage und schreibe 23,25 Prozent Marktanteil ist hingegen die weitgehend unbekannte Ardic & Tekin GbR aus Nürnberg. Mit einer konsequenten Onlinestrategie hält der Mittelständler aus Franken die Marke Tevea LED auf Erfolgskurs. Und auch die folgenden Anbieter sind zumeist nur Branchenprofis ein Begriff. Sweet LED aus Coburg (7,13 Prozent Marktanteil), der Kölner Anbieter Hofstein (5,87 Prozent) oder auch Steinel aus Herzebrock-Clarholz bei Gütersloh (5,83 Prozent) zeigen mit einer zeitgemäßen Onlinestrategie, wie erfolgreicher E-Commerce funktioniert.

Online sind Produktmerkmale wichtiger als Namen
Nur sehr bedingt hat das übrigens etwas mit dem Preis zu tun. Einzig Osram fällt hier mit einem Durchschnittspreis von rund 61 Euro aus dem Rahmen. Philips hingegen gehört mit einem Durchschnittswert von 27 Euro zu den günstigeren Anbietern, während die beiden Segmentführer mit rund 36 bzw. 39 Euro im preislichen Mittelfeld operieren. Die führende Stellung der erfahrenen E-Commerce-Profis liegt also in anderen Faktoren begründet, die von der neuen E-Commerce-Marktforschung eindeutig identifiziert werden. Denn anders als das traditionelle Retailgeschäft liefert das Onlinebusiness direkt Rückmeldung über das Einkaufsverhalten der Kundschaft. Und da Market Genius den Abgleich der wesentlichen Produktmerkmale mit der Verkaufszahlenmessung erlaubt, werden die tatsächlich erfolgsrelevanten Features sichtbar. Die Analyse zeigt, dass Marken wie Tevea oder Sweet LED passgenau die Produkte liefern, die der Markt nachfragt. Beispielsweise entfielen bei Angeboten aus insgesamt sieben Energieeffizienzklassen satte 45 Prozent der Umsätze im untersuchten Zeitraum auf Lampen der Klasse A+. In dieser besonders stark nachgefragten Effizienzklasse haben aber sowohl Osram als auch Philips mit jeweils zwei Produkten nur wenige Eisen im Feuer. Ganz anders zum Beispiel Sweet LED, deren gesamtes Sortiment von zehn Produkten in der genannten Kategorie auf ebendiese besonders beliebte Energieeffizienzklasse ausgerichtet ist.

Auch in Stilfragen treffen die großen Hersteller den Kundengeschmack häufig nicht. Auf die Designvarianten "Modern" und "Klassisch" entfielen im untersuchten Zeitraum zusammen rund 84 Prozent der Umsätze. Während die Marken Tevea und Sweet LED als erfahrene Onlineretailer mit dem Ohr beim Kunden diese Nachfrage direkt bedienen, sind Philips und Osram schwächer positioniert. Bei Tevea etwa beläuft sich der Umsatzanteil der beiden Hitstile auf überragende 97,4 Prozent. Auch Sweet LED ist nah am Kunden und erzielt 83,7 Prozent der Einnahmen mit Lampen im klassischen oder modernen Stil. Philips hält mit 60 Prozent Umsatzanteil noch Fühlung, während Osram mit lediglich 25,6 Prozent abfällt. Dabei könnten höhere Umsätze realisiert und größere Marktanteile erobert werden, wenn die Trends konsequent bedient würden.

Anderes Feature, gleiches Resultat: Ganz offensichtlich bevorzugt der Konsument bei der Deckenbeleuchtung Lampen mit einer vergleichsweise niedrigen Lichtleistung. Leuchtmittel zwischen 200 und 4.500 Lumen finden sich im Amazon-Angebot. Fast 52 Prozent der gemessenen Umsätze wurden jedoch mit Produkten mit einer Lichtleistung bis maximal 1.000 Lumen gemessen. Tevea und Sweet LED bedienen dieses Segment par excellence. Der Nürnberger Hersteller erzielt 95 Prozent seiner Einnahmen mit Produkten exakt zum Nachfrageschwerpunkt. Bei den Oberfranken von Sweet LED liegt der Wert mit 94 Prozent ähnlich hoch. Und Osram und Philips? Die beiden Global Player sind sichtlich noch nicht so weit. Philips hat mit einem Umsatzanteil von immerhin 68 Prozent zwar die richtige Fährte aufgenommen, kommt an die Marktführer aber nicht heran. Osram erreicht knapp 19 Prozent Umsatzanteil und bedient die Nachfrage nur unzureichend.
Die Betrachtung weiterer Produktmerkmale wäre möglich, würde an dieser Stelle aber keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn bringen. Offensichtlich wird, dass die Retail-Marktführer mit einem professionellen Außendienst und langjährigen Händlerbeziehungen sehr gut in die Fläche reinverkaufen, diese Erfahrungen und Kontakte im Onlinebusiness aber zumeist nicht weiterhelfen. Im Laden hat der Kunde häufig nur eine eingeschränkte Auswahl – schon allein die begrenzt verfügbare Regalfläche setzt dem Sortiment hier natürliche Grenzen. Online aber wendet sich das Blatt. Der Konsument kann aus einer neuen Vielfalt an Produkten und Anbietern wählen – und tut dies auch. Wichtiger als die Marke wird in der Kaufentscheidung, dass die konkreten Anforderungen des Kaufinteressenten erfüllt werden. Die E-Commerce-Marktforschung liefert hierfür die richtigen Antworten auf die wirklich wichtigen Fragen. So lassen sich beispielsweise mit Market Genius erfolgsrelevante Produktmerkmale identifizieren und detaillierte Bilder des Onlinewettbewerbs zeichnen. Die Beispiele zeigen aber auch, dass selbst großen Marken ohne digitale DNA im Netz selten ein Licht aufgehen wird und die flexiblen Pure Player ihre lukrative Stellung nicht kampflos räumen werden.
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