Die Datenschutzdiskussion aus ADM-Sicht

Hartmut Scheffler (ADM, TNS Infratest)

Von Hartmut Scheffler, Vorstandsvorsitzender ADM

Über Datenschutzfragen, speziell die Ko- und Selbstregulierung durch die Markt- und Sozialforschungsorganisationen und ganz speziell die besondere Situation in Deutschland u. a. aufgrund der den ESOMAR-Codex noch verschärfenden deutschen Erklärung wird mittlerweile allerorten in Form von Podiumsdiskussionen (siehe GOR 2014), Artikeln und Kommentaren (siehe die aktuelle marktforschung.de-Diskussion), in Form von Statements und Gesprächen diskutiert.

Dies zeigt zunächst eines: Das Thema ist – erneut – von besonderem Interesse. Es ist erkennbar, dass dieses Interesse durch Möglichkeiten und Bedarfe in Folge der Digitalisierung getrieben ist. Geschäftsmodelle sind in Bewegung, Markenführung, Marketing und Marktforschung stehen vor neuen Aufgaben: Dies impliziert automatisch Fragen an das selbstgesetzte Regulierungswerk.

Die vielfältige Diskussion zeigt zum Zweiten aber auch ganz interessante Blickwinkel und Strukturen, die sich über vier Begriffe beschreiben lassen: Unwissenheit, Geschäftschancen, Nachfrage, Privilegien. Diese vier Felder können auch etwas provozierender umschrieben werden mit Populismus, Opportunismus, Realismus, Verantwortung.

Wer sich mit der aktuellen Diskussion beschäftigt und hier verantwortungsvoll Stellung beziehen möchte, muss alle vier Themen einbeziehen, bewerten und dann zu begründeten Aktivitäten kommen. Genau dies ist natürlich vor allem Aufgabe der die Branche vertretenden Institutionen und im Hinblick auf Ko- und Selbstregulierung Aufgabe des ADM.

1. Unwissenheit/ Populismus

Nicht selten wird in Beiträgen und Diskussionen deutlich, dass dahinter eine Unkenntnis der Gesetzeslage, der historisch begründet geführten Diskussionen und erlangten Privilegien steckt. Es ist schlicht nicht bekannt, warum die ESOMAR-Richtlinien genau so entwickelt wurden und zugunsten der Markt- und Sozialforschung Relevanz erlangt haben. Es ist nicht bekannt, warum welche Diskussionen im Rahmen der Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes vor einigen Jahren geführt wurden, warum die dort erreichte Erlaubnisnorm im § 30a so wichtig ist und auch für einen Großteil der Markt- und Sozialforschung in Zukunft wichtig bleiben wird. Wen nur das Ergebnis als zu stark regulierend, als scheinbar gestrig (weil eine jahrzehntelange Historie existiert) erscheint, wer diese Situation nur einfach "irgendwie nicht optimal" findet und dies mehr oder weniger aggressiv kommuniziert … der handelt populistisch. Entsprechende Aussagen können darauf bauen, von einer Vielzahl ebenfalls Nichtwissender mit Kopfnicken oder auch mehr bejaht und unterstützt zu werden. Man könnte diesen Aspekt der Diskussion vernachlässigen, wäre er nicht ziemlich präsent und aufgrund der Marktplatzattitüde (laut und wenig differenziert) durchaus meinungsbildend. Es bleibt zu konstatieren, dass wohl nicht ausreichend durch entsprechende Kommunikation aufgeklärt und informiert wurde.

2. Geschäftsinteressen und Opportunismus


Im Zusammenhang mit der Digitalisierung und der Unmengen in Realtime anfallender Daten (Stichworte: Realtime Measurement, Big Data-Analysen) eröffnen sich neue Möglichkeiten. Die Daten können – auch wenn es dafür vielleicht keine informierte Einwilligung gibt und dies nicht im Interesse des Datengebers ist – kurzfristig und auch sehr langfristig kreuz und quer analysiert werden. Auch wenn dies anonym geschieht, entstehen daraus immer Regeln und Scores, die zumindest indirekt Rückwirkungen auf jedes Individuum, auf jeden Konsumenten haben. Wenn die neuen Verfahren eine Unzahl von individualisierten Informationen z. B. über Smartphones zulassen, dann wird nicht-anonymisierte Nutzung der Informationen interessant. Es liegen nicht mehr nur noch Daten für 1.000 Individuen aus einer Zielgruppe von z. B. 5 Mio. Menschen vor, es liegen Hunderttausende zeitnahe Informationen vor: Das Datenangebot schafft neue Geschäftsideen und Geschäftsmodelle. Wenn dann die Aussage und auch die Anforderung an Politik, Verbände etc. nur noch die ist, zu ermöglichen und zu erlauben, was möglich ist … dann ist das geschäftsgetriebener Opportunismus. Es gilt in allen Geschäftsbereichen und Lebensbereichen, dass aus guten Gründen nicht all das, was irgendjemand nachfragt, was eine Technik ermöglicht, was ein mögliches Geschäftsmodell werden könnte, erlaubt werden sollte und erlaubt wird. Dies gilt vor allem mit dem ethischen Hintergrund auch für Markt- und Sozialforschung: Ausschließlich an Geschäftsinteressen orientierte und opportunistisch getriebene Argumentation im Rahmen dieser Diskussion ist als solche zu kennzeichnen und zu bewerten.

3. Nachfrage und Realismus

Die im zweiten Punkt gemachten Anmerkungen bedeuten nun aber keinesfalls, dass nicht in der Tat neue und nachvollziehbare Nachfragesituationen entstehen (in der Regel durch die schon angesprochene Digitalisierung mit den daraus folgenden Datenmengen und Analysemöglichkeiten). Dies ist nicht selten eine Nachfrage und dann auch ein darauf basierendes Angebot, die durchaus im Interesse von Menschen allgemein, speziellen Konsumentengruppen im Besonderen sein kann. Es ist eine Nachfrage und ein Angebot, dass durchaus ethischen Aspekten standhält. Hierzu darf man wohl die Nachbefragung z. B. nach einem Produkterlebnis, einem Serviceerlebnis verstehen: Zeitnah, persönlich und oft auch mit der Frage verbunden, ob diese Informationen dem Hersteller/ Auftraggeber personifiziert zur Verfügung gestellt werden könne. Das Interesse ist im Sinne der Produkt- und Serviceoptimierung nachvollziehbar, das Vorgehen ist – sofern offen kommuniziert – ethisch unproblematisch und die Einwilligung zur Weitergabe von Daten – wiederum: Sofern eindeutig und klar kommuniziert – kann zu einer ganz bewussten informierten Einwilligung wie auch informierten Ablehnung führen. Sich mit diesem Thema zu beschäftigen, ist Realismus, ist realistische Herangehensweise an den gesamten Themenkomplex. Inwieweit dies allerdings unter der Überschrift "Markt- und Sozialforschung" möglich oder nicht möglich ist, ergibt sich im Zusammenhang mit dem vierten Punkt.

4. Privilegien und Verantwortung

Markt- und Sozialforschung, organisiert über die Verbände und im Hinblick auf Ko- und Selbstregulierung in Verantwortung und federführend durch den ADM, war über Jahrzehnte dabei erfolgreich, der Profession besondere Privilegien auf der einen Seite durch besondere Zusagen und Garantien auf der anderen Seite zu verschaffen. Das wichtigste Privileg ist die Erlaubnisnorm, d. h. die Möglichkeit, ohne vorherige schriftliche Einwilligung im Rahmen von persönlichen, telefonischen, Online-Stichproben kontaktiert werden zu können. Klassische Markt- und Sozialforschung über diese Verfahren nimmt im Zusammenhang mit der Bedeutung neuer qualitativer Verfahren sowie Kundenpanels etc. zwar etwas an Bedeutung ab, wird aber weiterhin ein wesentlicher Bestandteil der Markt- und Sozialforschung bleiben. Die unsinnige Diskussion "Relevanz statt Repräsentativität" wird sich als falsche Aussage totlaufen und daran nichts ändern. (Exkurs: Richtig muss es heißen: Repräsentativität wo nötig, Relevanz immer!)

Die Privilegien sind speziell in Deutschland nur erreicht worden, indem die Markt- und Sozialforschung sich zum Einen konsequent als angewandte Wissenschaft positioniert hat, indem sie vor allem aber die Garantie des Anonymitätsgebotes einerseits und der Trennung von forschungsfremden Tätigkeiten andererseits gegeben hat. Ergänzt um die wichtigen Regulierungsaufgaben in Richtung Ethik und Qualität – auch dies durch die oben angesprochenen Verbände – ist die qualitativ anspruchsvolle und gesellschaftlich akzeptierte und funktionierende Forschungslandschaft entstanden. Dass hierbei nicht jeder Wunsch realisiert werden konnte, dass Garantien hier und Privilegien dort Kompromisse verlangen, dass also am Ende unerfüllte Wünsche übrig bleiben: Dass liegt in der Natur der Sache einer auf Checks and Balances basierenden Entscheidungskultur wie der in Deutschland. Geklagt wird also – Gott sei Dank – auf hohem Niveau – falls nicht rein populistisch oder opportunistisch getrieben (siehe oben).

Was heißt dies aus Sicht der Verbände, speziell des ADM für die nächste Zukunft? Es heißt zum Ersten, deutlich auf die opportunistischen und populistischen Dinge hinzuweisen, wenn allein dies den Kern der Argumentation ausmacht. Hier muss vermutlich mehr informiert werden: Der inhaltlich sachliche Austausch muss sich aber an anderer Stelle und mit anderen Argumenten ergeben.

Es heißt aber mehr denn je auch, sich dem Realismus zu stellen und zu überlegen, wie die nachvollziehbaren Erwartungen durch die Politik der Verbände, durch die konkreten Aktivitäten in Ko- und Selbstregulierung berücksichtigt werden können. Kann dies unter dem Dach der Markt- und Sozialforschung mit ihren Privilegien geschehen oder muss hier (ohne von gut oder schlecht zu sprechen) eine bewusste, klare und nachvollziehbare Trennung vollzogen werden.

Hier sind die Verbände gefragt und es ist enorm wichtig, starke Verbände zu haben, die neben Ethik und Qualität auch diese Datenschutzthematik mit starker Stimme und Relevanz führen. Ein starker Verband ist als anerkannter Gesprächspartner für die Politik eine conditio sine qua non und es wäre – kleiner Exkurs – z. B. hilfreich, wenn Herr Kampik in seinem Interview mit marktforschung.de neben seinem berechtigten Hinweis auf Qualität seines Institutes GIM auch den Schritt gehen würde, seiner Verantwortung in der Profession durch eine Mitgliedschaft im Wirtschaftsverband ADM Nachdruck zu geben.

Die Verbände und damit auch der ADM haben hier eine klare Position. Sie werden gemeinsam trotz aller fordernder Diskussionen die erzielten Privilegien und die rigorose Positionierung in Richtung auf Ethik und Qualität schützen. Täten sie dies nicht, würden wir in wenigen Jahren nicht mehr in der komfortablen Situation stehen, eine qualitativ hochwertige Forschung in Richtung neuer Möglichkeiten öffnen zu wollen. Wir würden dann die Sinnhaftigkeit der Forschung viel intensiver als heute diskutieren. Gerade auch die ethische Komponente – in der Datenschutzdiskussion zumindest als Begriff häufig zu kurz kommend – spielt hier eine wesentliche Rolle. Die schon oben angesprochene Einwilligung zur Weitergabe persönlicher Daten im Rahmen einer Servicebefragung ist sicherlich ethisch unproblematisch … wie ist es mit der Verwendung anonymer Antworten oder anonymer automatisch anfallender Daten für Big Data-Analysen, Datenfusionen, Scoring? Auch diese Fragestellung, vielleicht sogar gerade diese Fragestellung gehört unter die Überschrift des Datenschutzes/ unter die Überschrift "Was ist erlaubt, was nicht?".

Mehr als zuvor geht es aber auch darum, die realistischen Anforderungen nicht unmöglich zu machen. Ein möglicher Weg wird der sein, sehr klar zwischen der anonymen Marktforschung mit ihren Privilegien und einer davon getrennten nicht-anonymen datenbasierten Dienstleistung ohne Privilegien zu unterscheiden. Die Verbände arbeiten an einer klaren Trennungsrichtlinie, die Anbietern wie Nachfragern nachvollziehbar und unzweifelhaft verdeutlicht, ob es sich z. B. bei einer Umfrage um anonyme Marktforschung oder um nicht-anonymisierte Dienstleistungen handelt. Die Verbände und mit dem Datenschutz beschäftigten Personen wollen wichtige Neuerungen nicht blocken, sie wollen nur durch klare Regeln, durch klares Wording das Eine weiterhin tun dürfen (Marktforschung mit Privilegien) und das Andere mit ebensolchen klaren Regeln möglich machen – aber auch abgrenzen.

Datenschutz aus Sicht der Verbände ist aufklärerische Arbeit gegen Opportunismus und Populismus einerseits und realistische, meinungsbildende Diskussion unter Berücksichtigung der Verantwortung für die Branche, für Auftraggeber und Anbieter, für Befragte.

In diesem Sinne sind aktuelle Diskussionen wie die bei marktforschung.de wichtig und weiterführend und es werden nicht die letzten sein.

 

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