Das Wahre Leben Kolumne – Jens Krueger Die Branded Solution und das Hinterzimmer sind tot. Warum hoffentlich Open-Source gewinnt

Geschützte Wort-Bildmarken, Algorithmen, Berechnungen und Indizes, deren Komposition nur das Institut kennt. Ist eine solche Art der Abgrenzung noch zeitgemäß? Oder spricht nicht viel dafür, sich gegenseitig in die Karten schauen zu lassen? Jens Krüger mit seinem Plädoyer, warum das methodische Hinterzimmer in der Marktforschung ausgedient hat.

Statt Pokerface und Abschottung besser mit offenen Karten spielen? Jens Krüger plädiert für mehr Offenheit in der Marktforschung (picture alliance/dpa/TASS | Dmitry Feoktistov).

Im Verborgenen oder im Sichtbaren wirken?

Am Rande der #WdM wurde es schon einmal diskutiert, die Stimmen werden aktuell lauter. Stimmen, die fragen, ob es eigentlich noch zeitgemäß ist, dass wir uns als Dienstleistende lieber im Hinterzimmer mit unseren Kunden treffen, um unsere Tools feilzubieten, anstatt uns mit unseren neuen Ansätzen dem gesamten Markt zu präsentieren.

Ich finde das irgendwie voll 90er-mässig. Die Zeiten, in denen jedes Institut gefühlt fünfzig Wort-Bildmarken beim Patentamt angemeldet hatte, um sein vermeintlich absolut einzigartiges Produkt zu schützen (vor was eigentlich?). Nachmacher, Trittbrettfahrer – sind doch wohl vorbei, oder? Zumal die Halbwertszeit von Wissen sich wahrscheinlich um ein Vielfaches weiter verkürzt.

Ich weiß nicht, ob meine Beobachtung tatsächlich stimmt, aber in jedem Fall ist die Kommunikation und die Werbung zu solchen gebrandeten Marktforschungs-Produkten stark rückläufig.

Warum ist das so?

Sind Branded Solutions, also Lösungen mit „Blackbox“ (also, nicht-veröffentlichten Algorithmen/Indizes) nicht mehr zeitgemäß? Im Zeitalter von Open Source, Blockchain und jetzt noch ChatGPT entsteht täglich Neues. Oder Bestehendes wird weiterentwickelt. Auch für und innerhalb unserer Branche.

Wir nutzen zum Beispiel bereits eine KI für die automatische Kontrolle von Analyse-Scripts. Die KI bedient sich hier aus bereits veröffentlichten Scripts. Wahnsinn! Damit minimieren sich Programmier- und vor allem der Kontrollaufwand um ein Vielfaches, was angesichts knapper Ressourcen auch sinnvoll ist.

Gerade die Softwarebranche öffnet sich immer mehr und schneller. Die Unternehmen haben erkannt, dass Closed-Shops eher hinderlich sind und die heute notwendige Innovationsgeschwindigkeit bremsen. Nur wer sich öffnet und kooperiert, wird langfristig gewinnen.

Der eine Algorithmus

Auch in der Marktforschung geht es immer weniger um den einen Algorithmus, der wie ein Schatz gehütet und verschlossen gehalten werden muss. Viele Modelle im Bereich der Marken- und Innovationsforschung haben sich eh überholt. Die Customer Journey hat sich massiv verändert und ist komplexer geworden. Und die oft eindimensionalen Modelle kommen hier an die Grenzen. Dinge entwickeln sich immer schneller und eben nicht mehr linear. Und nicht zuletzt wollen sich auch unsere Kunden immer weniger an das eine Tool binden. Am Ende entscheidet zunehmend, wer aus seinen Zahlen und seiner Expertise mehr macht. Die Kunden wollen flexibel sein. Selbst ihren Trackingansatz bestimmen und über die Zeit selbst weiterentwickeln und sich nicht 10 Jahre und länger an ein Institut binden.

Gewinnen werden die, die vielleicht das bereits Vorgedachte weiterdenken. Und nicht die, die das einmal Gedachte konservieren.

Aber wie wollen wir uns dann differenzieren?

Differenzierung ist nicht mehr eine Frage der sichersten Blackbox und des besten Algorithmus. Heute nicht mehr, sondern zunehmend eine Frage, wie gut ein Institut beziehungsweise die Menschen dort zum Kunden passen. Und die Bandbreite ist wahrlich groß – wenn man nicht nur nach Selbstähnlichkeit einstellt (aber das ist ein anderes Thema).

Unlängst habe ich selbst mit einem Kunden gesprochen und unser aktuelles Servicemodell hinterfragt. Ich hatte eine Idee für einen anderen Ansatz. Aber der Kunde war da sehr klar: „Die Kollegen bei ihnen haben unsere DNA aufgesogen, die wissen genau, was wir brauchen. Das ist unbezahlbar und wichtiger als immer die beste (Produkt-)Lösung zu haben.“

Da wo Produkte immer weniger differenzieren, entscheidet der Faktor Mensch. Das Image, der Fit, die Geschwindigkeit, der vorherrschende Pragmatismus und die Beratungsqualität. Und auch die Transparenz.

Man kann das bestimmt auch ganz anders sehen.

Nicht mehr in die Zeit passend

Ich glaube, dass Branded Solutions tatsächlich nicht mehr in die Zeit passen. Es ist gut zu wissen, dass sich Institut und Forschende in diesem Feld gut auskennen, also wirkliche Expertise haben. Aber das ist nicht mehr alles.

Macht Euch lieber Gedanken, wie Eure Daten in die richtige Geschichte passen und nicht umgekehrt. Und macht Euch mehr Gedanken darüber, wie ihr selbst wirkt.

Und vielleicht müssen wir uns auch als Branche mehr Gedanken machen, wie wir nach außen wirken wollen. Als die Hüter der besten Methode im Elfenbeinturm oder als offene Menschen, die gut zuhören, schnell (auch voneinander) lernen, messerscharf analysieren und sich selbst vielleicht auch nicht so wichtig nehmen.

Vielleicht können wir tatsächlich die neuen Beratenden sein, die mit echtem Wissen von der Welt und den Menschen da draußen überzeugen und sich nicht hinter Algorithmen und Blackboxen verstecken. Ich würde mir das für die Zukunft wünschen.

 

Über die Person

Jens Krüger ist seit 2019 CEO von Bonsai Research. Der Consumer-Experte war zuvor über zehn Jahre Geschäftsführer bei Kantar/TNS Infratest. Der studierte Soziologe und Sozialpsychologe engagiert sich in mehreren Beiräten (u. a. im Zukunftsforum und dem VKE-Kosmetikverband), ist Speaker und Autor zahlreicher Publikationen zu den Themen gesellschaftlicher Wandel, Consumer-Trends, Ernährung und Handel der Zukunft.

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