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- "Die Beschäftigung mit User Experience ist kein Luxus mehr, sondern Pflicht!"
"Die Beschäftigung mit User Experience ist kein Luxus mehr, sondern Pflicht!"

Michael Bechinie Head of Experience Design USECON - The Usability Consultants GmbH (Bild: USECON)
marktforschung.de: Herr Bechinie, was erwartet die Besucher der diesjährigen RoX?
Michael Bechinie: Es gibt wie immer Vorträge zu verschiedensten Themen einerseits von USECON und andererseits von Partnerunternehmen, die über ihre Erfahrungen zu diesem Thema berichten. Ziel ist jedenfalls, die Besucher zu Gedanken über den Tellerrand hinaus zu inspirieren.
marktforschung.de: Unter anderem wird ja auch "Motivation im digitalen Zeitalter“ ein Thema sein. Was versteht man darunter?
Michael Bechinie: Das ist ein vielfältiges Thema, bei dem es unter anderem darum geht, Menschen dazu zu motivieren, etwas anderes zu machen, als sie bisher gemacht haben, also im Prinzip um Verhaltensänderung. Ein Beispiel dafür sind Fitness-Apps, bei denen es um Belohnung geht. Sie können messen, was User bisher erreicht haben und sorgen für Motivation. Digitale Applikationen können dabei wesentlich unterstützen, zum Beispiel durch Geräte, die ich immer bei mir trage. Es wird auf der Konferenz aber auch darum gehen, wie das Design gestaltet sein muss, sodass es anregend, motivierend ist. Wer arbeitet schon gerne mit unattraktiven Systemen? Man darf im Zusammenhang mit User Experience nicht immer nur an Konsumenten denken, sondern auch an Mitarbeiter, die in einer Firma beispielsweise Maschinen oder Systeme nutzen. Wenn die Bedienung der Maschine beziehungsweise des Systems nicht angenehm ist, kann das zur Demotivierung von Mitarbeitern führen und diese sogar krank machen. Es geht ja nicht nur immer um die Visualisierung, sondern auch um die Ergonomie.
marktforschung.de: Welchen Zugang haben Unternehmen aktuell zum Thema User Experience?
Michael Bechinie: Es gibt so etwas, wie einen Reifegrad von Unternehmen in Hinblick auf User Experience, besser gesagt einen menschenzentrierten Designansatz. Dieser Reifegrad besteht aus verschiedenen Stufen. Je mehr sich Unternehmen mit dem menschenzentrierten Designansatz beschäftigen, also ihre eigenen Prozesse dahingehend gestalten, desto reifer sind sie und desto bereiter sind sie Maßnahmen in ihrem Unternehmen zu implementieren. Die Frage ist daher, wie organisations- oder technologiegetrieben Unternehmen sind beziehungsweise inwiefern sie sich auf die Bedürfnisse ihrer Kunden oder Benutzer konzentrieren. Es gibt Unternehmen, die sich damit mehr beschäftigen und einzelne Projekte in diesem Bereich durchführen. Sie haben teilweise Teams oder Mitarbeiter, die sich mit der Thematik auseinandersetzen, sozusagen ein internes User Experience Management oder Customer Experience Management. Aber es gibt auch andere Unternehmen, die gar nicht darüber nachdenken. Wenn man als Unternehmen wächst, besteht oft die Gefahr, dass man diesen Bereich vergisst.
marktforschung.de: Gibt es Unterschiede in Bezug auf Branchen, was die Sensibilität für User Experience anbelangt?
Michael Bechinie: Im E-Commerce Bereich wird schon mehr auf User Experience geachtet als in anderen Branchen. Denn der Verkauf von Produkten über das Internet hängt von der Gestaltung der Website ab. Andere Beispiele dafür sind Online-Sportwettenanbieter oder Direktversicherungen, die man Online abschließt. Hier geht es um die Conversion Rate. Also überall dort, wo das direkte Geschäftsmodell über die Website läuft, spielt User Experience tendenziell eine größere Rolle.
marktforschung.de: Kann man auch in Hinblick auf die Unternehmensgröße Unterschiede in Bezug auf den Umgang mit User Experience feststellen?
Michael Bechinie: Die Sensibilität für User-Experience hat wenig mit der Unternehmensgröße zu tun. Betrachten wir zum Beispiel Start-Ups: Diese haben oft tolle Ideen, aber wenig Kundenorientierung. Sie betreiben zwar Marktforschung, aber überlegen sich selten, wer die Menschen sind, die das Produkt, das man anbietet, nutzen sollen. Aber gerade das wäre wichtig. Weiters sollte man Prototypen entwickeln und diese gemeinsam mit dem Enduser testen, um Verbesserungspotentiale herauszufinden. Dazu sind natürlich Investitionen wichtig. Aber sowohl Start-Ups als auch große Unternehmen machen sich hierzu noch zu wenig Gedanken.
marktforschung.de: Wie schätzen Sie die Sensibilisierung für User Experience im deutschsprachigen Raum im Vergleich zu anderen Ländern ein?
Michael Bechinie: Im angloamerikanischen Gebiet ist dieses Thema schon länger etabliert, weil es aus diesem Raum kommt. Dort beschäftigt man sich schon lange damit, dass das Maß des Menschens einen Einfluss darauf hat, wie gut er eine Maschine bedienen kann. Im deutschsprachen Raum passiert die Beschäftigung mit diesem Thema eher zeitverzögert.
marktforschung.de: Wie kommt es eigentlich dazu, dass sich Unternehmen mit User Experience auseinandersetzen?
Michael Bechinie: Der Reifegrad jedes Unternehmens ist sehr unterschiedlich. Teilweise beschäftigen sich Unternehmen damit, weil sie wissen, dass sich auch die Konkurrenz damit auseinandersetzt. In manchen Fällen erfolgt der Weckruf durch neue Mitarbeiter im Unternehmen, die darauf hinweisen, dass in diesem Bereich nichts gemacht wird. Eine weitere Möglichkeit darauf aufmerksam zu werden ist, wenn ein Unternehmen etwas auf den Markt bringt, das nicht funktioniert. Dann startet ebenfalls der Überlegungsprozess. Vor allem in Zeiten von Social Media bekommt man relativ schnell Feedback zu seinen Produkten und Dienstleistungen. Die Schwelle für Beschwerden von Kundenseite ist viel niedriger als das früher war, als man noch einen Kundenbrief mit der Hand schreiben musste. Unternehmen sollten dieses Feedback über sozialen Medien daher auch als Ohr am Markt nutzen.

marktforschung.de: Wie gehen Sie bei der Analyse eines Unternehmens vor?
Michael Bechinie: Wir nutzen qualitative und quantitative Methoden und kombinieren beides. Zuerst führen wir eine Analysephase durch. In der Analysephase geht es meistens darum herauszufinden, wer sind die Nutzer, was ist der Kontext und wir gehen hin und beobachten das Umfeld direkt vor Ort. Dazu gehört, dass man sich die Tätigkeiten der Nutzer genau ansieht und anschließend mit ihnen spricht. Wenn es beispielsweise um ein Produktupdate einer Website geht, machen wir einen Usabilitytest und finden das Optimierungspotential sowie das, was nicht geändert werden soll, heraus. In der Analyse ist das qualitative wertvoller. Danach folgt eine Spezifikationsphase, in der das Analysierte niedergeschrieben und daraufhin ein Prototyp entwickelt wird. Dazu gibt es dann mehrere Schleifen. Wichtig ist, dass man die User in jeder Phase einbindet.
marktforschung.de: Was sind die wichtigsten Grundsätze von User Experience?
Ein wichtiger Aspekt ist die Verständlichkeit von Systemen und damit in Verbindung die Wiedererkennbarkeit. Ein Beispiel dafür sind wiedererkennbare Interfaces, wie beispielsweise bei Apple. Ein anderes Beispiel sind Gartengeräte von Gardena – der bewegliche Teil ist immer orange, das Zwischenteil immer grau und das eigentliche Werkzeug ist türkis. Somit weiß der Kunde immer ganz genau, wie er das Produkt zu bedienen hat – die Zusammenstellung jedes Produkts ist nachvollziehbar. Das ist unter anderem das Erfolgsgeheimnis von Gardena im Vergleich zu anderen Firmen, die das nicht einheitlich durchziehen. Ein weiterer Punkt ist, dass ein Unternehmen bei der Entwicklung seiner Produkte nie das eigentliche Ziel aus Sicht des Kunden aus den Augen verlieren darf. Das ist bei einem IPod das Musik hören, bei einer Landkarten-App, den schnellsten Weg zu finden, bei einem Diktiergerät die Sprachaufnahme. Es muss verstanden werden, was das Ziel ist und welche Bedürfnisse, Sorgen und Ängste die Konsumenten haben. Das ist die Grundlage für die Entwicklung eines Produkts.
marktforschung.de: Was ist beispielsweise bei einem Webshop ein persuasives Design?
Michael Bechinie: Es geht auch hier darum, das Ziel im Auge zu behalten. Man möchte ein Produkt kaufen oder einer Person etwas schenken, zum Beispiel indem man online Blumen bestellt. Der Kunde wünscht sich, dass die Blumen rechtzeitig ankommen – das ist das Ziel und das Interface muss mich dabei unterstützen, dieses Ziel möglichst schnell zu erreichen, möglichst effizient, effektiv und zufriedenstellend. Zudem ist Vertrauensbildung im E-Commerce sicher ein Thema. Die Kunden bezahlen ja online. Vertrauen kann durch verschiedene Dinge gesteuert werden, beispielsweise durch Produktbewertungen, durch die Anzahl der Bestellungen oder durch die Dauer des Bestehens der Website. Grundsätzlich ist es auch wichtig, dass der Kunde nicht zu viel über den Einkaufsvorgang nachdenken muss und der Kaufprozess selbst kurz gestaltet ist. Also von der Auswahl des Produkts, über die Bestellung bis hin zum Kaufabschluss sollen es nur wenige Klicks sein. Die gefühlte Dauer soll so kurz wie möglich sein. Es geht immer um die Metapher: Es darf nichts im Weg sein.
marktforschung.de: Sie beschäftigen sich ja mit unterschiedlichsten Branchen und Produkten. Wie wichtig ist Expertenwissen für Sie, um Ihre Kunden in Hinblick auf User Experience beraten zu können?
Michael Bechinie: Der Kunde muss bereit sein, uns die Chance zu geben, seinen Kontext kennenzulernen. Das bedeutet, dass der Kunde uns vorab Demos zeigt, Schulungen anbietet, uns die Möglichkeit gibt, direkt vor Ort ein Bild von seinem Bereich machen zu können. Ein Grundverständnis ist demnach wichtig für uns. Aber der noch größere Teil unserer Beratung erfolgt domainunabhängig. Egal, ob es sich um die Bedienung eines E-Mailprogramms, einer E-Commerce Website, einer großen Maschine handelt – wenn es darum geht, den "Weiter-Button" zu bedienen, ist die Vorgehensweise immer dieselbe. Die Nutzer werden in beiden Fällen versuchen, etwas zu finden, wo sie Sinn darin sehen. Das heißt, sie suchen beispielsweise einen Button, wo "Weiter" draufsteht. Dieser Button muss eine bestimmte Größe und eine bestimmte Beschriftung oder Farbe haben. Aus Benutzersicht sind solche Sachen von Bereich zu Bereich austauschbar. Wenn wir als Berater in einem Gebiet nicht das notwendige Expertenwissen haben, so können wir dem Kunden trotzdem sagen, ob ein Button groß genug ist, ob man ihn einfach findet, ob die Beschriftung deutlich genug ist. Das ist der große gemeinsame Nenner aller Systeme. Basierend darauf gibt es das Domainwissen, das man dann innerhalb kürzester Zeit lernen kann, wie jeder Mitarbeiter in einem Unternehmen. Im Regelfall kommt man also mit wenig Domainwissen aus, um gut beraten zu können.
marktforschung.de: Wie könnte man Unternehmen noch stärker für User Experience Management sensibilisieren?
Michael Bechinie: Unternehmenserfolg definiert sich über Kundenzufriedenheit beziehungsweise Kundenbindung. Nur wer sich nachhaltig darum kümmert, dass sich die Kunden mit den Produkten identifizieren können, wird erfolgreich sein. Das muss man den Unternehmen klarmachen.
marktforschung.de: Wie wird sich das Thema User Experience Management entwickeln?
Michael Bechinie: Ich formuliere es immer so: User Experience Management ist kein Luxus mehr, sondern es ist eine Pflicht. Jene, die sich damit nicht beschäftigen, werden langfristig nicht so erfolgreich sein, wie die anderen. Man macht das nicht, weil man nichts anderes zu tun hat, sondern weil es den Unternehmenserfolg prägt. Das erkennen Unternehmen nach und nach. Es ist eine Art Evolution.
marktforschung.de: Sie sind ja auch Regional Director für die EMEA Region bei der UXPA International. Was ist das genau?
Michael Bechinie: Es gibt eine internationale Interessensvereinigung, das ist die UXPA (User Experience Professional Association) mit Sitz in den USA. Das ist ein Zusammenschluss mit mehr als 4.000 Mitgliedern weltweit, die sich dem Thema Experience Design angenommen haben, um Menschen, die in diesem Bereich auf professioneller Ebene arbeiten, zu unterstützen. Dabei ist der gegenseitige Austausch sehr wichtig. Es gibt jedes Jahr eine Konferenz mit 600-700 Teilnehmern, auf der Vorträge und Workshops zu Themen wie der Erstellung von Personas oder der Planung einer Eye-Tracking-Studie gehalten werden. Zudem bietet diese Organisation Weiterbildungsmöglichkeiten in Form von Kursen und Webinaren an. Es gibt außerdem auch über 60 lokale Organisationen weltweit mit verschiedenen Events. Ziel ist es, diese Organisation, die es seit 1991 gibt, zu erweitern. In meiner Funktion als Regional Director für die EMEA Region bin ich unter anderem dafür zuständig, diese Idee der Vernetzung und die Fortbildungsmöglichkeiten zu fördern und auch lokale Gruppen zu unterstützen. marktforschung.de: Was erwartet die Besucher auf der diesjährigen RoX-Konferenz?Michael Bechinie: Es gibt wie immer Vorträge zu verschiedensten Themen einerseits von USECON und andererseits von Partnerunternehmen, die über ihre Erfahrungen zu diesem Thema berichten. Ziel ist jedenfalls, die Besucher zu Gedanken über den Tellerrand hinaus zu inspirieren.
marktforschung.de: Vielen Dank für das Gespräch!
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