Hartmut Scheffler, Berater für Marktforschung und Markenführung Die beratungsforschenden Multi-Talente

Die Insights-Manager von morgen – Welche Skills müssen Marktforschende zukünftig mitbringen? Wie stillt die Branche ihren Personalbedarf von morgen?
Die Antwort auf diese Frage ist die Eier legende Wollmilchsau. Das klingt unlösbar, ist es aber gar nicht. Es gibt ein recht klares Vorstellungsbild dazu, was Insights-Manager von morgen können müssen, was das für die Ausbildung heißt.
Anspruchsvoll? Ja.
Machbar? Ja.
Einfach? Nein.
Soweit das Resümee. Die Insights-Manager von morgen: ein Dossier, zu dem eine ganze Reihe erfahrener Praktiker und Praktikerinnen mit universitärem, betrieblichem wie auch Institutshintergrund geschrieben haben. Für mich – vielleicht für andere nicht – überraschend: die Antworten ergeben ein ebenso homogenes und klares wie auch selbstbewusstes Bild. Alle Autoren und Autorinnen im Dossier haben natürlich einen anderen Schwerpunkt gesetzt, anders fokussiert und das macht jeden der Beiträge auch im nachhinein noch lesenswert – aber der rote Faden steht.
These: Es gibt ein recht homogenes und klares Anforderungsprofil, was Insights-Manager aus der Marktforschung in Zukunft können müssen.
Über alle Artikel hinweg lassen sich sechs Bereiche herausarbeiten, die in der Summe eine Art Zielprofil ergeben. Dabei sind die Unterschiede zwischen dem Zielbild betrieblicher Insights-Manager einerseits und denen auf Institutsseite andererseits gering. Auf Betriebsseite kommt natürlich der Aspekt der organisatorischen Einbindung der Berichtslinie hinzu, kurz: der Stärke der Position im Entscheidungsmanagement des Unternehmens. Ansonsten haben die Autoren und Autorinnen Themenfelder und Forderungen herausgearbeitet, die die Branche zum Teil schon sehr lange beschäftigen, die in der einen oder anderen Aussage nicht neu sind, in der Summe aber ein interessantes Gesamtbild und ein realistisches Forderungsprofil ergeben.
Die (neue) Rolle
Schon bei der (neuen) Rolle findet sich ein Phänomen, das sich über viele der sechs Felder erstreckt: ein „sowohl als auch“.
Die neuen Insights-Manager müssen Forscher, Vermittler UND Berater sein. Mag beim Forschenden eine gewisse Introvertiertheit erwartet oder zumindest akzeptiert sein, so hat der Insights-Manager extrovertiert zu sein.
Das kann helfen, gerade auf betrieblicher Seite im ersten Schritt zum Gatekeeper zu werden. Über diese Funktion sollten alle marktforscherischen Aktivitäten im Unternehmen laufen: in zentraler Verantwortung gebündelt, interpretiert, in Beratung übersetzt und umgesetzt werden. In dieser Rolle sind Insights-Manager auch (interne) Verkäufer mit dem – auf Wissen basierten – selbstbewussten Anspruch der Erklärungs- und Deutungshoheit für Daten und datenbasierte Erkenntnisse und Empfehlungen.
Genau dieser Schritt vom Forscher und Entwickler zum selbstbewussten, Deutungshoheit beanspruchenden Manager macht den Unterschied. Dazu gehören darüber hinaus Netzwerke und Beziehungen im Unternehmen und unternehmensübergreifend. Und dazu gehört nicht allein die Bereitschaft, sondern auch die Forderung, bei Entscheidungsfindung und Implementierung der entschiedenen Maßnahmen mindestens beratend dabei zu sein.
Generalist und Spezialist
Dies ist eine seit Jahren immer wieder geführte Diskussion. In der Rolle eines Insights-Managers schließt sich nun sicherlich das reine Spezialistentum aus. Bleibt immer noch die Frage: reicht Generalist oder Generalist und Spezialist.
Und hier ist sich die Autorenschaft einig: Spezialist UND Generalist!
Durch eine Spezialisierung, sei es im Bereich der Sozialpsychologie, der Empirie, einzelner Methoden oder ähnlichen entsteht nicht nur handwerkliches Know-how. Hinzu kommt das Verständnis für die Grenzen und Möglichkeiten der Marktforschung, dafür, was geht, was nicht geht und wie es geht.
Beim Insights-Manager kommen dann noch weitere Fähigkeiten hinzu: Die Verbindung der Fachkenntnisse der Branche mit Kenntnissen aus BWL und Jura, mit dem Verstehen der Aufgaben von Marketing, CX, Category Management und vieles mehr.
Als Generalist ist man in der Lage, die speziellen Kenntnisse in das Große und Ganze der betrieblichen Strukturen und Entscheidungsprozesse einzubinden. Man ist in der Lage, den forscherischen und den betriebswirtschaftlichen Teil zu kombinieren. Man ist in der Lage, verschiedene Interessen auf dem Weg zur Entscheidungsfindung zu kennen, zu berücksichtigen, gegebenenfalls zu moderieren. Das erlernte Spezialwissen vermittelt die notwendige Sicherheit, es gibt quasi die Lizenz, als Generalist überzeugend, weil mit Hintergrund, agieren zu können.
Müßig zu erwähnen, dass die Generalisten-Rolle im Institut andere Schwerpunkte und andere Inhalte hat als die im Betrieb. Die Fähigkeit, Forschung und datenbasierte Erkenntnisse in einen größeren, entscheidungsrelevanten Rahmen einbinden zu können – und damit ist die fachliche wie die menschliche Fähigkeit gemeint – ist auf beiden Seiten gleich. Und was auch gleich ist: ohne Datenkompetenz geht es natürlich nicht.
Offen für Neues
Durch die Digitalisierung, aber auch durch Globalisierung, beschleunigte Einstellungs- und Verhaltensänderungen von Menschen entstehen nicht nur ständig neue Methoden und Lösungsmöglichkeiten, sondern auch neue Herausforderungen für Geschäftsmodelle, Marketing und Markenführung in den Unternehmen. Als Insights-Manager, in so dynamischen Zeiten up-to-date zu bleiben, ist nur mit hoher Innovations- und Veränderungsbereitschaft möglich. Gute Insights- Manager bringen es fertig, Bewährtes beizubehalten und ständig durch Neues zu ergänzen. Aktuellstes Beispiel in der Marktforschung: KI (aktuell fast täglich: ChatGPT) in all ihren Chancen und Grenzen, neuen Optionen wie Gefahren.
Teamfähig
In der Rolle als Generalist gilt es, unterschiedlichste Expertisen zu bündeln, zu orchestrieren, für die Lösung eines gemeinsamen Ziels einzusetzen. Nur mit hoher Teamfähigkeit ist es möglich, die Vielzahl der Spezialisten und deren Fähigkeiten im Sinne der Sache zu bündeln, klassische Marktforscher und Data Scientists zusammenzubringen, Problemstellungen und Lösungen aus Institutssicht und aus Sicht des beauftragenden Betriebes zu sehen.
Datenkompetenz
Warum dies gar nicht so selbstverständlich ist, wie es scheint, macht das Interview mit Roland Abold, ADM-Vorstand, deutlich. Datenkompetenz ist eine Aufgabe der ganzen Branche. Umso mehr gilt das für Insights-Manager. Die Quellen und Herkunft genutzter Daten, die Möglichkeiten der Datenmanipulation, der Fehlinterpretation, der Multiplikation über neue Medien und vieles mehr: Man muss sie kennen, um Grenzen datenbasierter Ergebnisse und Entscheidungen, um Risiken, um vor allem aber auch die vielen Einsatzmöglichkeiten und Chancen verantwortungsbewusst zu beachten und einzusetzen.
Ausbildung
Die zweite Unterfrage des Dossiers war, wie die Branche ihren Personalbedarf von morgen stillen kann – von vielen Autoren als die Frage nach der notwendigen Ausbildung verstanden. Hier fließen die oben genannten Aspekte ein: eine sehr stark wissensbasierte, methodisch-statistisch basierte Ausbildung, ergänzt um praxisorientierte Elemente bis hin zur – idealerweise – dualen oder quasi dualen Ausbildung. Mit Recht genannt wurde weiterhin die notwendige interdisziplinäre Ausrichtung: der ganze Kanon aus Sozialwissenschaften, BWL, Mathematik und Informatik, Jura und so weiter. Und damit der Wurm dem Fisch, nämlich den potenziellen Auszubildenden, auch schmeckt: mehr spezialisierte und eigenständige Studiengänge und vielleicht auch unter einem attraktiven Namen!
Wenn das alles gewollt und erfolgreich umgesetzt wird, dann steht erfolgreichem Insights-Management nichts mehr entgegen!?
Antithese: Das ist alles nur lautes Pfeifen im dunklen Wald.
Und was ist, wenn Marktforschung als zu langsam oder teuer gesehen werden? Wenn Verhaltensdaten samt abgeleiteter Algorithmen reichen, Silos in den Unternehmen bestehen bleiben und Generalisten nicht gewollt, nicht gesucht werden? Wenn Differenzierung durch (vermeintlich) einfache Lösungen ersetzt wird? Wenn fehlende Datenkompetenz und sinkendes Qualitätsbewusstsein die Beratungsresistenz bei Entscheidern erhöht? Was, wenn Institutsmarktforschung wie betriebliche Marktforschung es nicht schaffen, die geschilderte Theorie in gelebte Insights-Management-Praxis zu übersetzen? Darauf sollten wir zumindest vorbereitet sein und eine Antwort haben.
Synthese: So kann das klare Bild der Insights-Manager von morgen erreicht werden!
Wir sollten einen kleinen Kanon von Themen ernst nehmen und immer wieder bespielen. Und dies nicht nur nach innen (auch dieses Dossier von Marktforschern für Marktforschern wirkt eher nach innen), sondern nach außen!
Die Themen sind einerseits die genannten: (neues) Rollenverständnis, Generalisten-Rolle, Innovationsstärke, Teamfähigkeit, Datenkompetenz, Ausbildung. Es sind daneben starke Branchen-Kommunikation und nicht zuletzt Erfolgsbeweise, also die Relevanz durch impactstarke Erkenntnisse. (Ein Thema für ein weiteres Dossier?) Ziel und auch die Wege zum erfolgreichen Insights-Manager von morgen sind – hoffentlich nicht nur nach der Autorenschaft im Dossier – wenn nicht leicht, so doch benennbar. Keine schlechte Ausgangsposition…
Über die Person
Hartmut Scheffler ist Diplom-Soziologe und Stadt –, Raum – und Regionalplaner. Von 1980 an in der Marktforschung tätig, seit 1990 bis 2020 Geschäftsführer des Emnid Institutes Bielefeld, später TNS Emnid, dann TNS Infratest, Kantar TNS, Kantar Deutschland. Mitglied in verschiedenen Beiräten und Branchenverbänden, unter anderem ADM (12 Jahre Vorstandsvorsitzender, seit 2021 Ehrenmitglied), BVM (dort 2009 als Forscherpersönlichkeit des Jahres geehrt). Seit Juli 2020 im Ruhestand, seit Januar 2021... mehr
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