Dr. Jörg Munkes & Dr. Stephan Telschow, GIM "Die Beantwortung der Fragen erfolgt auf empirischer Basis und nicht aufgrund von Expertise."

Was unterscheidet den traditionellen Marktforscher vom Berater oder "Datensammler"? Und wie wird die Zukunft dieses Berufs aussehen? Wir sprachen darüber mit den GIM-Geschäftsführern Dr. Jörg Munkes und Dr. Stephan Telschow.

Dr. Stephan Telschow: Jörg, wir haben einen Fragebogen von marktforschung.de bekommen. Und ausnahmsweise optimieren wir keine Frageformulierungen, sondern dürfen Antworten geben. Machst Du das?

Dr. Jörg Munkes: Lass es doch gemeinsam machen. Fang mal an.

Dr. Stephan Telschow: Eine schöne projektive Frage für den Start: Du bist auf einer Party und wirst nach deinem Beruf gefragt. Was sagst Du?

Dr. Jörg Munkes: Wenn ich von meinem Beruf als Marktforscher auf einer Party erzähle, dann bildet sich sofort eine Menschentraube um mich und alle hängen mir gebannt an den Lippen. Aber ernsthaft: Häufig kommt die Reaktion ‚Du bist also derjenige, der mich abends anruft‘ und man merkt sehr schnell, dass das Image des Marktforschers nur knapp über dem des Politikers oder Journalisten rangiert. Erklärt man aber genauer was für Studienarten wir machen und vor allem auch warum wir dies tun, dann kommt dann doch häufig ein ‚das ist aber interessant‘.

Gegenfrage: Wie stellst du jemand Fremdes die GIM vor?

Dr. Stephan Telschow: Ja, Marktforschung ist eben erklärungsbedürftig. Das geht uns auch als Unternehmen so. Ein paar Stichworte tauchen aber immer wieder auf: Wir sind in erster Linie Forscher mit vielfältiger und tiefgehender methodischer Kompetenz, wir sind eines der großen unabhängigen Institute Deutschlands, wir forschen mit echter Leidenschaft für den menschlichen Konsumalltag und sehr starker Orientierung an der Umsetzbarkeit und Verwertbarkeit unserer Ergebnisse für den Kunden. Dennoch, es ist nicht immer leicht zu sagen, was Marktforschung denn ist oder was Marktforschung nicht ist. Was gehört für Dich zur Marktforschung?

Dr. Jörg Munkes: Für mich ist zentral, dass sich Marktforscher mit der Beantwortung von Fragen beschäftigen, die im weitesten Sinne einen Bezug zu Konsum und Konsumenten haben. Die Beantwortung der Fragen erfolgt dabei auf empirischer Basis und nicht aufgrund von Expertise. Das grenzt uns einerseits von reinen Beratern oder Experten ab, die bestenfalls einen schwachen empirischen Bezug haben. Und andererseits von "Datensammlern", die keine Forschungsfrage leitet sondern – abstrakt formuliert – die Prozesse steuern wollen. Google nutzt beispielsweise Nutzerdaten um Werbung auszuspielen, verfolgt aber damit keine Forschungsabsicht.

Nach dieser allgemeinen Definition – wie würdest du konkret CX und UX einordnen?

Dr. Stephan Telschow: Ich sehe es da ganz ähnlich. Die Frage ist immer, was steht im Mittelpunkt? Möchte ich eine methodisch begründete Einschätzung, wie es um Customer Experience bestellt ist und will ich mich bemühen, sie auch möglichst ganzheitlich zu erheben oder steht im Vordergrund eigentlich nur die Einführung eines Direct-Marketing-Tools, das auch noch ein bisschen psychografisch clustern soll. Letztlich ist das aber auch kein Entweder-Oder, sondern in vielen Bereichen auch eine Frage, wie Kunde und Forscher zusammenarbeiten. Bei vielen unserer Kunden gibt es ja z.B. nach anfänglicher Divergenz zwischen UX-Forschung hier und "echter" Forschung dort wieder ernsthafte Zusammenarbeit. Für das diffuse Thema Data Science würde ich das ähnlich sehen. Was meinst Du?

Dr. Jörg Munkes: Ja, genau. Es ist eigentlich unerheblich, woher die Daten kommen. Wichtig ist nur, dass man weiß woher sie kommen und welche Limitationen damit verbunden sind bzw. für wen mit diesen Daten Aussagen getroffen werden können. Mit Daten aus einer Fitness-App kann ich natürlich keine Aussagen über das Fitnessverhalten der Bevölkerung ableiten. Ansonsten kommt es auch hier auf das Ziel der "Data Science" an: Steht der Erkenntnisgewinn im Vordergrund, dann ist das aus meiner Sicht (Markt-)forschung.

Sollten wir solche "benachbarten" Disziplinen denn eigentlich stärker umarmen? Oder ist das perspektivisch ein Fehler und wir sollten lieber Abstand halten?

Dr. Stephan Telschow: Beide Perspektiven finde ich zu kurz gegriffen. Marktforschung lebt ja schon immer von einer paradigmatischen Offenheit, muss sich aber zugleich fragen, was ihre Kernleistung sein will. Insofern würde ich eher von Lernen und Kooperieren als Umarmen sprechen. Dabei muss aber eben das Grundversprechen, nämlich empirisch fundierte Forschung und Umsetzungsberatung bestehen bleiben. Dabei fällt mir eine schöne Diskussion mit unserer Zürcher Kollegin Susan Shaw ein, die ja auch Präsidentin des Schweizer Mafo-Verbandes ein. Der vsms hat sich ja dezidiert für benachbarte Branchen geöffnet. Wäre das auch ein Modell für die deutschen Verbände?

Dr. Jörg Munkes: Bei unseren Kunden betone ich immer, wie wichtig eine klare Botschaft und ein eindeutiger Markenkern ist. Eine generelle Öffnung beinhaltet immer die Gefahr, dass dieser Markenkern aufgeweicht wird. Wir sollten vor einer Öffnungsdiskussion uns besser auf unsere Stärken besinnen und diese selbstbewusst kommunizieren. Hüten sollten wir uns vor methodischen Grabenkämpfen und viel mehr den Nutzen von Marktforschung in den Vordergrund stellen. Auch das erzählen wir ja immer unseren Kunden: Den Benefit und nicht den Reason to Belief in den Vordergrund stellen.

So, jetzt abschließend: Inwieweit wird sich die Marktforschungsbranche verändern müssen?

Dr. Stephan Telschow: Die große Herausforderung ist aus meiner Sicht, die Relevanz methodisch begründeter und zugleich nutzbringender Forschung zu vermitteln, ohne dabei kompliziert zu wirken und zu überfordern. Das ist für mich nicht unbedingt eine Veränderung im Sinne einer völligen Verwandlung, sondern ein kontinuierliches Lernen. Und Lernen bedeutet eben auch immer wieder zu schauen, wie machen das Andere; Lernen bedeutet aber nicht, einfach nur nachzumachen.

gu

Fünf Fragen an Jörg Munkes

Dr. Jörg Munkes ist seit 2003 bei der GIM tätig und erweitert seit 2019 die Geschäftsführung. Er ist Leiter des quantitativen Forschungsbereichs. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen psychografische Zielgruppen-, Werte- und Markenforschung. Zuvor hat er in Sozial- und Persönlichkeitspsychologie promoviert.

Wie sind Sie in Ihrem jetzigen Beruf gelandet? Mir hat Forschung großen Spaß gemacht. Ich wollte aber nicht in der universitären Forschung bleiben, da mir diese zu langsam und zu alltagsfern war. Durch eine Initiativbewerbung bin ich bei der GIM gelandet und war begeistert, wie handlungsrelevant Forschung sein kann: Als ich nach einer meiner ersten Studien die Umsetzung der Ergebnisse im Kühlregal bewundern konnte - es war natürlich ein Packungstest.
Sind Sie gerne geschäftlich unterwegs? Oder verbringen Sie lieber Zeit im Büro? Ich bin gerne unterwegs komme aber auch sehr gerne zurück ins Büro. Die Mischung ist mir wichtig.
Mit wem würden Sie gerne einmal zusammen Mittagessen? Das kann ich nicht beantworten. Ich treffe in meinem Alltag so viele spannende und interessante Menschen, dass ich nicht das Gefühl habe, dass mir jemand fehlt, mit dem ich unbedingt mittaggegessen haben sollte.
Gibt es ein Buch oder einen Film, der Sie verändert hat? Welcher/s und warum? Mich haben viele Filme und noch viel mehr Bücher beeindruckt und bewegt. Wahrscheinlich haben sie mich auch verändert… jedes ein kleines Stück, aber das ‚eine‘ Buch oder den ‚einen‘ Film kann ich nicht benennen.
Wie verbringen Sie am liebsten Ihren Sonntag? Am liebsten mit der Familie… Unsere vier Kinder schlafen gerne lange, so dass die Sonntage tatsächlich erholsam sind – alles Erziehungssache :)

Fünf Fragen an Stephan Telschow

Dr. Stephan Telschow ist seit 2019 Mitglied der GIM Geschäftsführung. Der promovierte Sozialwissenschaftler ist seit über 15 Jahren bei der GIM tätig und leitet seit 2008 das Berliner Büro. Die Schwerpunkte seiner forscherischen Tätigkeit liegen im Bereich des PoS­ und Shopper Researchs sowie der qualitativen FMCG- und Near­Food-Forschung.

Wie sind Sie in Ihrem jetzigen Beruf gelandet? Durch pure Neugier: Eine Stellenanzeige in der Zeit mit methodischen Begriffen, die mir sehr vertraut waren in einem Feld, von dem ich keine Ahnung hatte – Marktforschung.
Sind Sie gerne geschäftlich unterwegs? Oder verbringen Sie lieber Zeit im Büro? Jedes zu seiner Zeit. Wobei das Unterwegssein schon ein großer Motivator ist: es ist eben auch die Gelegenheit Neues kennenzulernen – Kunden, Marken, Konsumfelder, Kulturen.
Mit wem würden Sie gerne einmal zusammen Mittagessen? Da inspiriert mich echter Alltag mehr als Prominenz. Daher: Mit einer hessischen Hausfrau, einem Marktverkäufer in Jakarta oder einem Schreiner in Mexiko.
Gibt es ein Buch oder einen Film, der Sie verändert hat? Welcher/s und warum? Ich fände es merkwürdig, durch Bücher oder Filme verändert zu werden. Vielleicht bewegt, vielleicht inspiriert, mindestens aber gut unterhalten. Alles zusammen vielleicht zuletzt bei „The Crown“ – faszinierend, wie schwierig es ist, eine soziale Inszenierung wie die Monarchie zu organisieren.
Wie verbringen Sie am liebsten Ihren Sonntag? Bevorzugt bei 4 Windstärken von Nord-West segelnd im Hiddenseefahrwasser.
 

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