Ali Mahlodji, Gründer whatchado Die Arbeit der Zukunft braucht menschliche Fähigkeiten

Die Arbeitswelt hat sich verändert, aber was bedeutet das für den Menschen? Ali Mahlodji fordert eine neue Führungskultur, die im Zeitalter der Automatisierung grundlegende menschliche Eigenschaften fördert und fordert.

Ali Mahlodji, watchado.com

Ali Mahlodji, watchado.com

Die Arbeitswelt ist der mit Abstand stärkste Spiegel unserer Gesellschaft, wenn es darum geht zu beobachten, wie wir Menschen uns selbst, unser Zusammenleben und unser Wirken betrachten. Nirgendwo zeigt sich die Angst vor der Zukunft so stark wie am Arbeitsplatz und zugleich verbringen wir an keinem Ort mehr Zeit als genau dort.

"Die Arbeitswelt ist im Umbruch" – keine Konferenz, auf der man nicht diesen Satz hört. Doch was bedeutet dies für uns als Menschheit?

Arbeiten ohne Sicherheiten?

Vor 20 Jahren war es üblich, von der sicheren Ausbildung und vom lebenslangen Job zu sprechen. Heute gibt es keinen Konzern mehr, in dem eine Führungskraft dem Mitarbeiter eine Jobgarantie bis zur Rente geben kann. Wer heute in Europa die Schule beendet, hat bis zur Rente in der Regel über zehn Anstellungsverhältnisse. Auf eine Arbeitszeit von 40 bis 50 Jahren kommt also alle vier bis fünf Jahre ein Jobwechsel. Das sind die Zeichen einer dynamischen Welt. Die Menschen sind jetzt gefordert, die Veränderungskraft, die in ihnen steckt, zu nutzen.

Auch die viel besungene Rente als Ziel, die uns nach der Arbeitswelt endlich die Möglichkeit gibt, unser Leben zu genießen, ist Teil einer Vergangenheit. Ja, unsere Jugend wird höchstwahrscheinlich eine Rente erhalten, jedoch nicht in der Höhe und Art und Weise, wie ihre Großeltern-Generation dies noch erlebt hat.

Nüchtern betrachtet, existieren die drei großen Sicherheitsfundamente der Vergangenheit – eine sichere Ausbildung, ein lebenslanger Arbeitgeber und eine gute Rente – nicht mehr.
Was heute mehr denn je zählt, ist die Erkenntnis, dass Sicherheit nicht mehr in der äußeren Welt beim Chef oder beim Staat zu suchen ist, sondern bei uns selbst: bei unseren Potenzialen, Stärken und Träumen, die uns Menschen seit den Tagen unserer Kindheit zu dem gemacht haben, wer wir sind.

Wir Menschen haben das Recht, Kinder in die Welt zu setzen, dürfen Regierungen wählen und mit über hundert Sachen auf der Autobahn fahren. Am Arbeitsplatz verlieren wir jedoch viele unserer Entscheidungsfreiheiten. Wir sind eine Jobposition und haben eine Job-Description umzusetzen. Selbst der Zeitpunkt, wann wir frei haben, liegt in den Händen einer anderen Person.

Wir setzen also um, was erwartet wird. Das hat in der Vergangenheit auch gut funktioniert, da es jemanden gab, der die Richtung vorgegeben hat. Dank des Wachstums durch die Industrialisierung haben wir unglaublichen Wohlstand erreicht und dafür unsere Lebenszeit gegen Lohn eingetauscht.

Die Industrialisierung und ihre Folgen

Vor der Industrialisierung war der Großteil der Deutschen und Österreicher selbstständig tätig. Erst durch die Fabriken wurde es notwendig, Menschen "managen" zu können. Fixe Arbeits- und Urlaubszeiten sind nicht angeborene Wünsche, wir haben es so gelernt. Würden wir Menschen nicht nur knappe 80 bis 90, sondern 400 Jahre alt – wir könnten uns sogar noch daran erinnern, dass die Art und Weise, wie wir heute Arbeit definieren, nicht immer so war.

Die Industrialisierung hat uns auch unglaublich schöne Geschenke bereitet, die wir heute reflektiert durch unseren Wohlstand und unsere Zivilisation erkennen können. Aber die Wirtschaft ist im Umbruch.

Wo früher in Unternehmen eine Führungsriege wusste, wie die Zukunft auszusehen hat, rauchen heute die Köpfe hinsichtlich der Komplexität einer globalisierten und zudem hoch digitalisierten Welt, in der ein Anbieter aus China mit einem Zehntel der Belegschaft dem deutschen Vorzeigekonzern gefährlich werden könnte.

Chefs der alten Denkschule des "Mitarbeiter sollen machen, nicht denken" degradieren sich selbst zum Bottleneck des Zukunftswachstums. Wer am Tisch sitzt und denkt, er wisse, wie es läuft, beschneidet alle anderen Köpfe am Tisch ihres Potenzials, ihrer Sichtweisen und verhindert die Möglichkeit, Lösungen aus mehreren Blickwinkeln zu betrachten.

Ein neuer Führungsstil ist gefragt

Was es heute braucht, ist eine Haltung, bei der der klassische Chef auf Augenhöhe agiert und zum Coach wird. Ähnlich einem Fußballtrainer liegt die neue Führungsaufgabe darin, die eigenen Spieler in ihren Stärken zu kennen und diese genau dort einzusetzen, wo sie optimal aufspielen können. Der Chef gibt Strategien vor, schwört die Mannschaft gemeinsam auf das Spiel und die ganze Saison (Geschäftsjahr, Vision, Mission) ein und achtet darauf, dass alle wissen, wohin die Reise geht. Doch dann lässt er diese auf dem Spielfeld machen. Er steht daneben, beobachtet, erkennt Muster. Bei Bedarf trifft er personelle Entscheidungen. Und selbst wenn der entscheidende Elfmeter ansteht, bei dem es um alles oder nichts geht, lässt er seinen besten Spieler schießen – er tritt nicht selbst an, auch wenn er vor einiger Zeit einmal ein Weltklassefußballer war. Der Coach ist die Führungskraft, der es ein ehrliches Anliegen ist, die Mannschaft wachsen zu sehen und von der Seitenlinie aus ihr Wachstum zu fördern.

Dieser Führungsstil gelingt jedoch nur, wenn man die Haltung vertritt, dass jeder Mensch ein Potenzial hat, das an einer entsprechend geeigneten Stelle sinnvoll und nutzbringend eingesetzt werden kann. Wer denkt, dass es Mitarbeiter gibt, "die wollen", und eben welche,"die nicht wollen", der sieht die Zukunft nur in Schwarz oder Weiß.

Motivation ist angeboren

Um diese Einstellung zu erreichen, hilft es, sich klar zu machen, dass jeder Mensch am Tag seiner Geburt nicht wusste, dass es seine Muttersprache und das Gehen auf zwei Beinen gibt. Beide Fähigkeiten gehören laut Forschung zu den schwierigsten Dingen, die wir Menschen lernen.

Die Muttersprache ohne Grundwortschatz aus dem Nichts heraus in Rekordzeit zu lernen und beim „Training“ für das aufrechte Gehen als Baby täglich 50 bis 100 Mal hinzufallen, bedarf einiger Fähigkeiten, die wir heute mehr denn je in Organisationen brauchen:

  • intrinsische Motivation
  • Fehlerkultur
  • Hartnäckigkeit
  • Neugier

Fakt ist, dass kein Mensch jemals aufgegeben hat, die wichtigsten Dinge, die wir zum Leben und Überleben brauchen, zu lernen. Obwohl es unbekannt und mühsam war. Und daran müssen wir uns heute im Personalwesen und in der Führung wieder erinnern. Dann können wir die Kompetenzen der Mitarbeiter nutzen, um mit unseren Organisationen Antworten auf die Fragen der Zukunft zu finden.

Mitarbeiterzufriedenheit ist der wichtigste KPI

Die Frage ist zum Beispiel nicht, ob Home-Office oder nicht, die Frage ist: Können wir es uns leisten, unsere Mitarbeiter nicht so einzusetzen, wie sie als Mensch am besten agieren können? Macht es wirklich Sinn, Home-Office nicht zu erlauben, nur weil wir meinen, dass dann unsere Mitarbeiter z. B. um 20 Prozent weniger produktiv sind? Können wir es uns leisten, die Mitarbeiterzufriedenheit nicht zur wichtigsten KPI zu ernennen, wenn wir doch an ihr erkennen, wie gut unsere Struktur für die Zukunft gerüstet ist?

Sind wir ehrlich, wissen wir, dass wir nicht wissen, wie die Welt in 20 Jahren aussieht. Sehen wir aber genauer hin, erkennen wir die Muster, die unsere Welt prägen: Alles um uns herum verändert sich rasant und wir wissen nicht, welche Auswirkungen unser Handeln genau haben wird. Doch was wir erleben, ist, dass in einer Welt der Automatisierung der Mensch mit seinen Fähigkeiten die einzige Konstante bleibt.

Der Arbeitsmarkt steht jetzt erst am Punkt, an dem wir begreifen, was es bedeutet, Mensch und Maschine zu kombinieren. Ein Beispiel: Walmart, einer der größten Arbeitgeber der Welt, hatte im Zuge der Digitalisierungsbemühungen viele seiner Filialen auf automatisierte Kassensysteme umgestellt. Mit dem Ergebnis, dass die Kundenzufriedenheit im Keller war und das Management die Mitarbeiter wieder zurückholen musste, damit sich diese um die Kunden kümmern. Die automatisierten Kassen sind geblieben und die Mitarbeiter durften endlich Mensch sein. Ihre Aufgabe ist es heute, die Wünsche der Kunden zu erkennen,  und ihnen bei Bedarf zu helfen.
Also das, was wir Menschen allen Maschinen voraushaben.

Die Skills der Zukunft

Das World Economic Forum hat im Rahmen seiner Forschungen festgestellt, dass die Skills, die wir am ehesten bis 2020 brauchen, genau die Fähigkeiten sind, die nicht automatisierbar sind:

  • komplexe Probleme lösen
  • kritisches Denken
  • Kreativität
  • People-Management
  • sich mit anderen koordinieren
  • emotionale Intelligenz
  • Serviceorientierung
  • Verhandlungsfähigkeiten
  • kognitive Flexibilität

Betrachten wir diese Liste, erkennen wir, dass uns all diese Fähigkeiten angeboren sind. Wir verstehen, dass die Zukunft am Arbeitsplatz darin besteht, die Job-Description zum Teufel zu jagen und der Potenzialentfaltung Raum zu geben.

Zum Autor:

Ali Mahlodji ist EU-Jugendbotschafter, Trendforscher und Gründer der Berufsorientierungsplattform whatchado.com. Er kam als Flüchtling nach Europa, war Schulabbrecher und hatte in seinem Leben über 40 verschiedene Berufe – von der Reinigungshilfe bis zum Lehrer. Heute begleitet er Menschen und Organisationen dabei, sich auf die neue Welt der Arbeit einzustellen und vorzubereiten. Er ist Autor des Work Reports 2019, das beim Zukunftsinstitut erschienen ist.

 

Diskutieren Sie mit!     

  1. Beate Meyer am 08.11.2018
    Ein absolut lesenswerter Artikel, der Vieles auf den Punkt bringt! Bleibt zu wünschen, dass möglichst viele Team-Leader dies lesen und beherzigen. Gewinnen würden alle.
  2. Martin Permantier am 12.11.2018
    Sehr guter Artikel,
    was aus meiner Sicht zu ergänzen wäre: Auch eine Führungskraft kann ihre Haltung entwickeln. Was nicht funktioniert, ist mal schnell den Führungsstil zu wechseln wie sein Hemd, sondern sich tatsächlich auf den Weg zu machen, um nach einer kürzeren oder längeren Entwicklungsreise so führen zu können, dass Potenzialentfaltung möglich wird.

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